Im Dorfladen

Foto: George Dumitriu

Wenn wir denn mal – selten genug – in einen unserer Dorfläden gehen, dann verläuft das Gespräch ungefähr so:
„Haben Sie Milch von hiesigen Bauern?“
Die Verkäuferin schüttelt den Kopf und zeigt auf das Milchprodukte-Kühlfach mit den einschlägigen Markenwaren.
„Oder vielleicht Käse, Eier, Butter?“
Statt einer Antwort schwärmt sie: „Wir haben Milch und Butter aus Deutschland. Die Butter lässt sich ganz toll verstreichen, nicht so wie unsere, wo man gleich ein Loch im Brot hat!“ Für  Handcreme, Möbelpolitur oder Schuhpaste ein Qualitätskriterium, aber für Butter...?

„Na gut, dann eben einen heimischen normalfetten Naturjoghurt, stichfest, ohne Frucht- oder Zuckerzusatz und ohne probiotische Bakterienkulturen“, meine ich versöhnlich und sehe mich gleich selbst im Regal um. „Haben Sie nichts von Napolact oder Covalact“, frage ich kurz danach frustriert. „Die führen noch so exotische Dinge wie naturbelassenen Joghurt.“
„Das verlangt hier keiner“, meint die Verkäuferin achselzuckend, während sie hinzufügt: „Die meisten Leute kaufen das, was sie kennen.“ Pause, Fragezeichen in meinem Gesicht. Dann fügt sie hinzu: „Aus der Werbung!“ Willkommen in Europa. Verstohlen studieren wir die Regale: Maggi, Delikat und Konsorten statt Liebstöckel, Thymian und Bohnenkraut, die in jedem Garten kostenlos wuchern. Die glanzverpackte Biscuitroulade mit Buttercreme, Ablaufdatum längst überschritten –  wie gut, dass die Roulade nicht lesen kann. So weiß sie wengistens nicht, wann sie schlecht werden muss.

Das fertig geschnittene Brot im Klarsichtbeutel, bleich als wäre es mit Dero gewaschen und so geschmackvoll wie ein Küchenschwamm. Blassgrüne Essiggürkchen aus Polen mit jeder Menge Zucker im Sud – ob die im Dunkeln fluoreszieren? Im Gefrierschrank neben Pommes-Frites-Beuteln eingeschweißte „Gummiadler“ aus der Massenproduktion mit glücklich lächelndem Vorzeigehuhn auf dem Etikett, das zu spotten scheint: „Iss mich, wenn du dich traust!“ Ob das die Dinge sind, nach denen hier Nachfrage besteht?

„Möchten Sie vielleicht eine Coca-Cola?“ meint die Ladenbesitzerin zu meinem Mann. „Ist im Sonderangebot, zur Zweiliterflasche gibt’s eine kleine Flasche gratis!“ Wir schütteln beide wie auf Kommando den Kopf, während die Frau zu jammern beginnt, wie schleppend das Geschäft trotz Sonderpreisaktionen läuft. Irgendwas möchte ich ihr abkaufen und frage: „Woher ist denn der Knoblauch?“ „Auf dem Etikett steht ‚China‘“. Mein Gott, der ist ja durch die halbe Welt gereist! Und trotzdem billiger als das heimische Pendant. Da kann doch etwas nicht stimmen, wenn man bedenkt, wie teuer die Flugtickets sind!

Wovon leben die Dorfläden in einem Ort, wo in jedem Garten Tomaten und Auberginen reifen, Kartoffeln und Mais auf dem Feld, und die Hühner gackern im Hof? Als Antwort spaziert ein kleines Mädchen herein, nimmt eine Zweiliter Plastikflasche Bier aus dem Kühlschrank und legt einen Zehn-Lei-Schein auf den Tresen: „Für Papa“. Draußen ist der Mond aufgegangen, Popmusik dröhnt aus einem vor dem Laden geparkten Wagen. Ringsum eine Gruppe Jugendlicher, Bierflaschen, Zigaretten, Gelächter. Daneben stieren zwei Arbeiter in Plastikstühlen auf den Boden, zwischen ihnen eine Flasche „Neumarkt“. Wir fassen uns an den Händen und steuern wortlos auf die „Strada Îngerașilor“ zu. Jeder weiß, was der andere jetzt denkt: „Hoffentlich ist die Kuhhirtin oder die Ziegenfrau noch wach!“