Kein Glück im Spiel

Ex-Süchtiger erkennt: Wetten und Glücksspiele sind eine Falle

Bunte Welt mit einem Hauch von Las Vegas? Der schöne Schein trügt... | Foto: Pixabay

Wettbüros sind in Rumänien an fast jeder Ecke anzutreffen. Im Temeswarer Dacia-Stadtteil gibt es beispielsweise vier Wettbüros nur wenige Meter voneinander entfernt. | Foto: Raluca Nelepcu

Eines der „harmlosesten“ Glücksspiele ist immer noch das Lotto-Spiel. Doch auch dieses Spiel kann süchtig machen. | Foto: Waldemar/ Unsplash

Casinos können zu Gefängnissen werden, wenn man glücksspielsüchtig ist. | Foto: Kaysha/ Unsplash

„Ich würde niemandem raten, sich auf diese Art von Dingen einzulassen“, sagt Constantin Popescu (Name geändert), ein 34-jähriger Mann aus einem kleinen Dorf im Südwesten Rumäniens. Der engagierte Sportlehrer mit den kurzen braunen Haaren und dem sorgfältig gepflegten Bart spricht vom Glücksspiel und von Wetten, er spricht vom schnellen Geld. Und wird dabei sehr ernst: „Es klingt nach Abenteuer, das Spiel um Glück. Aber davon bleibt nicht viel im Lärm und dem hässlichen Licht der Casinos. Für mich waren diese Orte irgendwann eher Gefängnisse.“ 

Im Alter von 15 Jahren begann Popescu aus reiner Neugierde mit dem Glücksspiel. „Es gab ein Wettbüro um die Ecke und es fing eher harmlos an. Ich habe gar nicht gemerkt, wie es zur Sucht wurde. Andere haben in der Zeit typische Teenagerjahre erlebt, irgendwelche Talente entwickelt, und ich kannte nur den Nervenkitzel des Gewinnens. Aber selbst wenn ich gewonnen habe, hat es nicht mal gereicht, um die Verluste auszugleichen.“ Am Anfang seien es Summen wie 5 Lei, 10 Lei oder 20 Lei gewesen. „Aber dann haben sie die einzusetzenden Summen erhöht und es ging bis zu 200 oder 500 Lei. Mein Wunsch, zu gewinnen, wurde immer stärker, je mehr ich verlor. Dann habe ich immer häufiger gewettet und die Beträge wurden größer und größer.“ Das Wettbüro wurde zu einem seiner Lieblingsorte, doch es genügte ihm bald nicht mehr. 

Er entdeckte Online-Casinos, in denen die Verlockung zum Spielen noch größer war. „Ich dachte immer, ich könnte Geld damit verdienen, aber in der Realität habe ich stets mehr verloren als gewonnen.“ Popescu gab schließlich bis zu 400 Lei pro Nacht für das Glücksspiel aus. Ihm war sogar klar, dass es einen Algorithmus gibt, sodass man am Ende gar nicht gewinnen kann: „Es ist alles eine Falle, aber die Versuchung ist groß, weil es Momente gibt, in denen man Geld gewinnt, und dann will man mehr. Am Ende habe ich aber immer verloren.“ Er schüttelt den Kopf, wenn er an die Zeit zurückdenkt. 

„Es gab dann auch wieder Zeiten, in denen ich große Summen gewonnen habe. Manchmal dachte ich, ich hätte meine Pechsträhne überwunden. Jetzt würde es richtig losgehen. Aber das Geld blieb nie bei mir. Entweder steckte ich es sofort wieder in Wetten und versuchte, noch mehr zu gewinnen. Oder ich musste damit meine Schulden bezahlen, die ich ständig anhäufte. Es war ein Teufelskreis.“ Jedes Mal, wenn er gewann, sagte sich Popescu, dass er damit aufhören und das Geld verwenden würde, um wieder auf die Beine zu kommen. Aber er wettete weiter, verschuldete sich immer mehr und geriet tiefer in Schwierigkeiten. „Jede Wette sollte immer die letzte sein. Aber die Versuchung war zu groß, und die Sucht hat mich immer wieder eingefangen. Ich habe dort nicht nur mein Geld verloren, sondern auch meinen Frieden und meinen Glauben an mich und an das Leben. Nichts anderes erschien mir noch schön oder lohnenswert außer dem Adrenalinkick im Casino.“ 

Eines Abends, als er allein in seiner Wohnung saß, wurde ihm klar, dass er so nicht weitermachen konnte. „Ich konnte mich selbst nicht mehr ertragen. Das war nicht ich. Ich wollte ruhiges Glück, Stabilität, eine Familie, eine Frau und Kinder.“ Er beschloss, sein Leben in Ordnung zu bringen, seine Schulden abzuzahlen. „Ich höre auf – das sagt sich so leicht und eigentlich wusste ich gar nicht, wie das geht. Das Spiel war ja mein Leben geworden. Es gab kaum etwas anderes. Ich rief einen Freund an. Er war ganz ehrlich zu mir und ich war es dann auch.“ Er sieht nachdenklich vor sich hin. „Ohne meine Freunde hätte ich nicht geglaubt, dass es sich lohnt. Ich hätte nicht wirklich gespürt, dass es noch ein anderes Leben gibt. Sie haben immer wieder davon gesprochen. Oder eher, sie waren der Beweis dafür. Sie versprachen nichts Großes, nur ein ganz normales Leben. Kein Risiko mehr. Ich war so kaputt und so getrieben. Es war vor allem ihr Gefühl von Ruhe, das ich haben wollte.“
 
Heute weiß er auch, dass die Gespräche ihm halfen, aber sie allein waren es nicht. „Ohne professionelle Hilfe hätte ich es nicht geschafft. Ich war wirklich entschlossen, aber das reicht nicht. Ich brauchte eine Therapie und letztlich auch viele Treffen mit einer Selbsthilfegruppe. Jeder Tag war ein Kampf, aber irgendwie habe ich die Kraft dazu gefunden. Ich habe an das normale Leben gedacht und an meine Wünsche, an meine Hoffnungen.“ So hat er es letztlich doch geschafft und ist bis heute nicht rückfällig geworden. Dabei gab es die Gefahr durchaus. 

„Ich wollte damals auch gleich noch Jura in Temeswar studieren. Ich dachte, wenn ich das mit dem Glücksspiel schaffte, könnte ich alles andere auch. Jura bedeutete für mich damals so etwas wie Ansehen und Erfolg – es wirklich geschafft zu haben. Aber das hat dann nicht geklappt“, erklärt er und lacht über sich selbst. „Zwei Jahre brauchte ich, um zu erkennen, dass das nicht der richtige Weg für mich war. Dann habe ich abgebrochen.“ Andere Dinge wurden wichtiger für ihn. 

Er hat jetzt eine Frau und eine Tochter. Sie ist noch ein Baby mit großen blauen Augen, nicht den braunen Augen ihres Vaters. Er lebt wieder in seinem Dorf. Die Kinder im Dorf haben teilweise keine Lehrer, die sie gut auf die großen Prüfungen vorbereiten. Die großen nationalen Prüfungen am Ende der 8. Klasse – die gefürchtete „Evaluare Națională“ – entscheiden über die gesamte künftige Schullaufbahn. Chancengleichheit gibt es für diese Kinder nicht. Daher bietet er diesen Kindern kostenlosen Nachhilfeunterricht in Mathematik an. „Wenn sie es schaffen, dann fühle ich mich belohnt.“ 

Auf keinen Fall sollen seine Schüler ähnliche Wege wie er selbst einschlagen.  Auch aus diesem Grund teilt er seine Erfahrungen. „Man darf mit dem Glücksspiel gar nicht erst beginnen. Es ist eine Falle, die dein Leben zerstören kann, so wie es meines fast zerstört hätte. Leicht verdientes Geld verschwindet genauso schnell wieder und hinterlässt nichts als Schulden und Reue und Getrieben-Sein. Ohne echte Zufriedenheit. “


Der Artikel, den wir auf der heutigen Jugendseite drucken, entstand im Rahmen des Projekts „Schüler schreiben“ an der Deutschen Spezialabteilung (DSA) des Nikolaus-Lenau-Lyzeums in Temeswar/Timișoara. Das Projekt wurde von Katharina Graupe, Deutschlehrerin an der DSA, koordiniert, die auch für die Korrektur der Schülertexte zuständig war. Die Schüler, die die Artikel verfasst haben, stammen allesamt aus der elften Klasse. Für die Wahl und redaktionelle Bearbeitung dieses Textes war ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu zuständig.