Kein Kochrezept – doch viele Aha-Effekte

Was man über die Kommunikation zwischen den Kulturen des deutschen Sprachraums und Rumänien unbedingt wissen sollte

Übungen im Hof lockern die steife Anfangsatmosphäre – die Teilnehmer sollen schließlich lebhaft miteinander diskutieren.

Diese vier Faktoren spielen in jedem Konflikt eine Rolle.

Das Eisbergmodell verdeutlicht, warum es immer wieder zu Missverständnissen in kulturübergreifenden Kooperationen kommt, obwohl man doch vorher „alles besprochen hat“.
Foto und Grafiken: Nina May

Erwartungsvoll stehen wir im Kreis um die Vortragende. Vorwiegend Herren in Nadelstreif, als Farbtupfer auch ein paar Damen, haben sich zu dem Seminar mit dem vielversprechenden Titel „Konfliktmanagement im interkulturellen Kontext“ eingefunden. Die Bäume wispern trügerisch leise im Hof des in einer Seitenstraße Bukarests gelegenen österreichischen Außenwirtschaftscenters, dem Organisator dieses Workshops für Expats aus dem deutschsprachigen Raum. Adrienne Rubatos versucht, das Eis zu brechen: „Suchen Sie sich einen Partner – möglichst jemanden, den Sie noch nicht kennen, stellen Sie sich vor und diskutieren Sie genau zwei Minuten Ihre Erwartungen an dieses Seminar“, schlägt sie als Blitzdating-Übung vor. Dreimal tauschen wir die Partner, danach hat man das Gefühl, zur Gruppe zu gehören. Ergebnisse fliegen als Stichworte durch die Luft. Dann werden Flaggen gezückt: Österreich, Deutschland, die Schweiz. Schweizer gibt es keinen; ich stehe als einzige Deutsche mit meiner Flagge da, neugierig beäugt von einer geschlossenen Gruppe Österreicher. „Hilft es, dass ich in Österreich geboren bin?“ scherze ich augenzwinkernd. Entwaffnendes Gelächter. Als wir nach weiteren drei vier Übungen in den Seminarraum zurückkehren, herrscht bereits lockere Stimmung – die richtige Ausgangsbasis für einen interaktiven Workshop mit vielen Fragen und lebhaften Diskussionen.

Sich als kuriosen Sonderling erkennen

„Rumänen sind meist nicht an solche Übungen gewöhnt“, springt die Vortragende gleich ins Thema und erzählt von einem älteren Manager, der schon mehrere Coaching-Seminare besucht hatte. „Die Deutschen machen erst immer so komische Spielchen“, erklärte dieser einem Neuling und fügte dann an, „aber irgendwie macht es Spaß.“ Unternehmensberaterin Rubatos kommt selbst aus dem multikulturellen Raum: in Großwardein/Oradea geboren, in München lebend, der Vater stammt aus Sulina, die Mutter aus Siebenbürgen. Eine griechische Großmutter gibt’s auch noch irgendwo, fügt sie lachend an, „doch die Herkunft über Generationen hinweg interessiert eigentlich nur die Rumänen!“ Zum Thema interkulturelles Management kam sie schon während des Studiums in England, als ihr ein Professor sagte, es sei ihre Mission, die Gesellschaft in Rumänien zu ändern. Die Herausforderung nahm sie ernst. Und kam doch zu einem ganz anderen Schluss...

Mit Absicht bietet sie die Kurse zum interkulturellen Konfliktmanagement beiden Kulturgruppen in getrennten Veranstaltungen an. Es geht schließlich ums Verstehen, nicht um Konfrontation. Um offenes Diskutieren von Problemen, ohne dass sich ein Teil der Anwesenden angegriffen fühlt. Aber auch um das Erkennen eigener Vorurteile , die im Folgenden massenhaft an die Oberfläche sprudeln, wie Gasblasen vom Grund eines scheinbar klaren Teichs. Am allerwenigsten geht es darum, den anderen zu ändern. Vielmehr, die eigenen kulturell bedingten Besonderheiten zu erkennen, die sich wie Filter über unser Wahrnehmungssystem stülpen, mit dem wir andere beurteilen. „Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind, sondern wie wir sind“, ziert ein Spruch der französischen Schriftstellerin Anais Nin den Raum.
Dass wir nicht das Maß aller Dinge sind, sondern für unsere rumänischen Kollegen, Geschäftspartner, Mitarbeiter oder Chefs eher kuriose Sonderlinge, zeigt schon die erste Saalübung: „Wer mag Konflikte?“, provoziert Rubatos und verlangt Daumenzeichen nach oben, unten oder neutral. Bei den Österreichern ist das Ergebnis durchwachsen. Ein typischer Satz der Deutschen wäre: Ich liebe würzige Schlagabtauschen und kontroverse Diskussionen. „Sehr zum Leidwesen der übrigen Welt!“, fügt die Vortragende empathisch hinzu. Die Konfliktfähigkeit der Rumänen siedelt sie auf einer Skala von null bis zehn etwa zwischen eins und zwei an. Schon hier prallen Welten aufeinander.

Verschlagen – oder bloß höflich?

Erklärt sich so die Erfahrung vieler, dass Rumänen oft selbst auf sachliche Kritik und konstruktiv formuliertes Feedback verwirrt oder verletzt reagieren? Dass ein Rumäne freundschaftlich am Telefon plaudern kann – um nach dem Auflegen brüsk die Miene zu verdunkeln und einen Fluch hervorzustoßen? Was der eine als Falschheit empfindet, gehört für den anderen zur unabdingbaren Höflichkeit. Denn jemandem seine Meinung offen zu zeigen oder gar ins Gesicht zu sagen, schlägt in Rumänien so manche Tür für immer zu. „Kulturelles Verbrechen“, nennt Rubatos solche Verhaltensweisen, die am untersten Ende der Fauxpas-Skala liegen. Offene Kritik wird als „Messer in den Rücken stoßen“ empfunden, zitiert sie eine Kursteilnehmerin aus einem Seminar für Rumänen. Weitere Elemente auf der Skala sind: knappe, kurze Anweisungen geben (der Deutsche findet das sachlich), Vergleiche mit der Roma-Ethnie (vom Deutschen aus Unwissenheit bedient oder als Scherz gedacht), Herumtrampeln auf Missständen in Rumänien wie Korruption, schlechte Straßen, etc. – auch dann, wenn der Rumäne selbst damit anfängt und man ihm nur beipflichtet. Man höre und staune!

Reaktionen sind freilich von Mensch zu Mensch verschieden. Ein Patentrezept für den Umgang mit der rumänischen Kultur hat Adrienne Rubatos daher nicht. Sie liefert keine Antworten, nur Anregungen und Beispiele aus eigenem Erleben, die helfen sollen, eine Situation zu reflektieren und die größten Stolpersteine im bilateralen Umgang aufzuzeigen: Bewertungen und Urteile vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen, die irrige Annahme von Gleichartigkeit im Denken und Handeln. Hinzu kommen Vorurteile, unreflektiert übernommene Stereotypen, sprachliche Unterschiede und nonverbale Fehlinterpretationen. In eine Hierarchiebeziehung spielen außerdem noch Ängste, Stress und ein Machtungleichgewicht hinein. Tatsächlich ist eine multikulturelle Zusammenarbeit wie ein Eisberg: An der Oberfläche schwimmen – schön überschaubar – die klaren Rahmenbedingungen. Doch unter dem Wasserspiegel lauert eine unsichtbare Masse an Unwägbarkeiten, die sich ebenso auf das Ergebnis auswirken: Erwartungen, Ängste, Vertrauen, Vorurteile, unterschiedliche Management-Stile...
Je klarer Unterschiede ins Bewusstsein gerufen werden, desto größer sind die Chancen auf eine reibungslose Zusammenarbeit, meint Rubatos. Sich selbst und den anderen zu kennen und diese Verschiedenheit auch anzunehmen, ist der erste Schritt zum Erfolg.

Heilende Selbsterkenntnis

Wie sehr selbst weltoffene Menschen von Vorurteilen durchdrungen sind, bringt die nächste Übung ans Licht. Wir sollen ein Gespräch interpretieren: „Wie lange brauchen Sie, diesen Bericht fertigzumachen?“ fragt darin der Chef. Nachdem sich der Mitarbeiter zu keiner klaren Aussage hinreißen lässt, gibt ihm der Boss 15 Tage. Nach Verstreichen der Frist hakt er nach. „Ich brauche nur noch einen Tag“, versichert dieser – doch weil der Chef sich auf die „Abmachung“ beruft, kündigt er frustriert. Eine übertriebene Reaktion? Wir versuchen, uns in beide hineinzuversetzen: Wer hegt welche Gedanken? Wo klaffen Erwartungen auseinander? Wie mag sich die Gesamtsituation darstellen? „Bestimmt hat er erst einen Tag vorher zu arbeiten angefangen!“ wirft ein Teilnehmer in den Raum. „Wenn der Chef nicht nachgefragt hätte, hätte er den Bericht eh nie gesehen“, witzelt ein anderer. Erfahrungswerte? Vorurteile! Die tatsächliche Hintergrundsituation stellt sich völlig anders dar. Und beschämt...
Die Übung gibt auch Anlass, über unterschiedliche Auffassungen von Bringschuld und Holschuld zu reflektieren. Im deutschsprachigen Kulturraum gilt unausgesprochen die Bringschuld: Der Chef erwartet, dass der Mitarbeiter nur vorspricht, wenn etwas nicht klar ist oder ein Problem vorliegt. Der rumänische Angestellte hingegen hat die Holschuld verinnerlicht: Der Chef verteilt Arbeiten, kontrolliert, fragt nach. Kommt er nicht, ist alles in Ordnung – oder es gibt nichts zu tun.

Auch unterschiedliche Erwartungen an die zwischenmenschliche Beziehung werden in dem Beispiel deutlich. Der Rumäne erwartet vom Chef emotionelles Feedback und ein gewisses Maß an Sozialisierung. Bleibt dies aus, wird er ihn solange unruhig durchscannen und jede Nuance seines Verhaltens interpretieren, bis er sich klar geworden ist: Mag er mich nun oder nicht? Was denkt er über mich? Wie ordnet er mich ein? Auch die Anforderungen an den Chef sind anders: Nicht nur sollte er einen väterlich-autoritären Führungsstil walten lassen, sondern auch „alles wissen“. Der zur Verantwortung erziehende Kommentar des Vorgesetzten in der Übung – „Sie können doch gut selbst einschätzen, wie lange Sie für den Bericht brauchen“ – wird nicht nur als Unfähigkeit gewertet, sondern auch als Dummheit, diese offen zuzugeben. Wichtig ist, sich unterschiedliche Hierarchiesysteme bewusst zu machen: In einer flachen Hierarchiestruktur, typisch für die USA und teilweise Westeuropa, ist eigenverantwortliches Handeln erwünscht. In der steileren Hierarchie im Osten wird dieses Verhalten nicht gefördert.

Planungssicherheit versus Flexibilität

Eine weitere Übung fördert kulturelle Unterschiede in der Zeitplanung zutage. Während im deutschsprachigen Raum Planungssicherheit an hoher Stelle steht, ist die Mehrzahl der übrigen Völker nur schwer in der Lage, eine entfernt liegende Verpflichtung ständig im Hinterkopf zu behalten, überrascht Adrienne Rubatos. „Langfristige Planung kann von manchen Kulturkreisen einfach nicht gefühlt werden“, erklärt sie und beobachtet: „Rumänen kommen schwer in Gang, brauchen Zeitdruck und Adrenalin, im letzten Moment schaffen sie es dann doch, aber mit übermenschlicher Anstrengung – und sind danach ausgebrannt.“ Freilich wird dieses „Manko“ kompensiert durch höhere Flexibilität, Improvisationstalent, Kreativität. Ein Lösungsansatz? Die Aufgabe in überschaubare Teile strukturieren, Follow-up Meetings mit Zwischenergebnissen und locker im Dialog bleiben. Dem Einzelnen fällt die Einhaltung von Terminen schwerer, beobachtete sie zudem. In einer Gruppe hingegen, wo eine gewisse Dynamik herrscht, ist dies ein geringeres Problem. Auf jeden Fall aber sollte man nicht vergessen, dem anderen vorwurfsfrei zu erklären, welchen Stellenwert für einen selbst Planungssicherheit hat, mahnt die Konfliktmanagerin.

Stößt man trotz aller Diplomatie tatsächlich mal auf ein unüberwindbares Hindernis, hilft eine neutrale Frage mehr als Vorwürfe. Wie wär’s statt einem „Wann lernst du das endlich...?“ mit einem „Wie lösen denn die Rumänen dieses Problem?“ Nicht selten wird man überrascht sein von einer völlig anderen Herangehensweise, die auch zum Ziel führt.
Ein Kochrezept für den multikulturellen Erfolg gibt es nicht, betont die Seminarleiterin immer wieder. Wichtig ist, dass sich beide Seiten die Unterschiede ihrer kulturbedingten Prägung bewusst machen – und sie thematisieren. Der Mittelweg zwischen Anpassung und Dominanz, auch über Hierarchiestufen hinweg, ist stets der Kompromiss. Doch es ist kein fauler, denn Rubatos verrät: Multikulturelle Gruppen sind eindeutig produktiver als monokulturelle – vorausgesetzt man arbeitet entsprechend an ihnen.