„Kreativität ist eine Sache, möglichst schnell fertig zu werden, eine andere“

Student Cornel Șimon plädiert für Entscheidungen statt Krisen-Lösungen

Foto: der Verfasser

„In Rumänien werden Appartements mit Fliesen und in Frankreich mit Blick Richtung See oder Meer zum Verkauf angeboten.“ Das ist eine Anekdote, die Cornel [imon aus Temeswar gerne erzählt, sobald es um den missverstandenen Wohlstand geht, den er als Restaurator in Ausbildung zu durchschauen gelernt hat. Aktuell steht Cornel [imon vor dem finalen Examen des Studiengangs für Erhalt und Restaurierung an der Zweigstelle Hermannstadt/Sibiu der Ion-Mincu-Universität Bukarest für Architektur und Städtebau. Er wohnt im ruralen Nachbarort Poplaca in einem alten Haus und Hof, der etliche Jahre nicht mehr bewirtschaftet worden war und ihm gratis zur Verfügung gestellt wurde – unter der Bedingung, dass Cornel [imon Nachbesserungen daran vornimmt. „Ich habe mich oft und gerne über mein Verpassen des Pflichtwehrdiensts beschwert, aber hier habe ich ihn nachgeholt, und noch dazu in einer Situation ohne militärischen Drill.“ Mit Cornel Șimon, der Poplaca nach drei Jahren Studium wieder verlassen wird und ein aufgelassenes Bauernhaus erneut bewohnbar gemacht hat, sprach Klaus Philippi.

Was ist beim Bauen und Restaurieren das, was beim Brotbacken der Sauerteig ist?

Das an Ort und Stelle zu findende Material, also Holz oder Lehm etwa. Ich finde, der Lehm ist es an erster Stelle. Er eignet sich gut für das Verbinden von Ziegeln zu einer Wand ohne Verwendung von Mörtel und taugt auch als Putz, außen wie innen.

Du sagst, Poplaca mausert sich zu einem Viertel Hermannstadts. Wo geht es dabei um Vorteile und welche Schatten breiten sich über dem Dorf aus?

Ich meine, dass die Vorteile langsam zu Nachteilen degenerieren. Die Süd-Umfahrung der Stadt wird hier entlangführen und klar schnellen die Grundstückspreise nach oben, wobei der Höchststand erwartungsgemäß noch nicht erreicht ist. Neue Grundbesitzer in Poplaca in der nur für sie allein glücklichen Situation, rechtzeitig vor der Entscheidung zum Straßenbau Terrain gekauft zu haben, werden dem Sog, es touristisch unsanft auszuschlachten, schwer widerstehen. Dem Dorf ist die Auflösung seines Eigencharakters sicher. Bis auf den gesetzlich geschützten Dorfkern, dessen alten Häusern meiner Vermutung nach kein wenig überraschend mit Styropor oder sonst irgendwie unpassenden Materialien zu Leibe gerückt werden wird. Das ist zwar schlecht, sicher, kann aber nach ein paar zig Jahren rückgängig gemacht werden und den Weg für das saubere Restaurieren frei machen. Das jedoch, was aktuell von Grund auf ganz neu gebaut oder an die Stelle eingestürzter Häuser gesetzt wird, ist der Horror. Leider breitet er sich aus wie heftigster Krebs.

Zum Thema meiner Diplomprüfung habe ich genau diesen Hof hier gewählt, ihn studiert, mein Eingreifen darin dokumentiert und das noch nicht verunstaltete Dorf in seiner alten Gestalt lieben gelernt. Die gesetzlichen Normen zum Schutz von Ortschaften wie Poplaca erlauben kein Feilschen und sind, was die verpflichtenden Schritte angeht, sehr genau ausformuliert, aber wir alle wissen doch, wie es bei uns im Land leider um das Missbrauchen von Macht steht. Wobei die Eigenmacht Südsiebenbürgens als im besten Sinne westlichster Landstrich Rumäniens nicht zu vernachlässigen ist. Es läge auf der Hand, auch die Region Klausenburg genauso zu bezeichnen, aber das Gefälle von der Stadt zu ihrem ruralen Umfeld ist einfach zu groß. Selbst wenn man dort ein Dorf in gut erhaltenem Zustand kennt, ist es charakteristisch für die rumänische Bauart. Was die Siebenbürger Sachsen rund um Zentren wie Hermannstadt/Sibiu oder Kronstadt/Brașov und die Szekler im Szeklergebiet geschaffen haben, ist genau darum einzigartig. Vielleicht darf ich da vorsichtig anmerken, dass die Siebenbürger Sachsen sich kulturell bekanntlich weit von den Rumänen unterscheiden?

Dass sie ihren Wohlstand besonnen und moderat statt prahlerisch angehäuft haben?

Genau. Kommen sie aus ihrer neuen Heimat hierher in die alte  zurück, sind sie nicht auf Zerstören und neues Bauen aus, nein, ganz im Gegenteil.

Welche Materialien und Werkzeuge für deine eigenen Pläne haben Baumärkte wie Hornbach, Dedeman und Leroy Merlin verfügbar, und wonach musst du andernorts Ausschau halten?
Bei vielen uralten Werkzeugen wüsste ich überhaupt gar nicht, wie sie zu verwenden wären. Finden würde ich sie sozusagen umsonst. Auf Baustellen vor allem der „Ambulan]a pentru Monumente“ und weiterer Vereine hingegen lernt man die Anwendung traditioneller Techniken mit zeitgenössischem Werkzeug von heute. Wir können es uns nicht erlauben, die technologische Entwicklung annullieren zu wollen. Die „Ambulan]a“ nutzt zwar gezielt keine elektrischen Werkzeuge, arbeitet aber mit modernen. Sollte ich doch einmal ein altes Werkzeug aufstöbern, würde ich es wirklich nur gelegentlich zu Demonstrationen hervorholen.

Aber es gibt immer noch wichtige Gegenstände wie zum Beispiel Zimmermannsnägel, die am besten sorgfältig Stück für Stück von Hand hergestellt statt industriell produziert werden.
Stimmt. Nägel habe ich mal auf der Sommerschule der Kirchenburg in Schönberg/Dealu Frumos gemacht. Nicht gegossene, aber doch immerhin geschmiedete. Dazu nahm ich 60 bis 80 Zentimeter lange Eisen-Rohlinge, steckte sie in die Press-Hohlform, legte sie auf den Amboss, schlug in sechs Serien auf das jeweils glühend rot erhitzte Eisen ein, schnitt es mit einem sehr kräftigen und speziellen Meißel in mehrere Stücke der gewünschten Länge und schloss jeden Nagel mit seinem Kopf ab. Dort wurde ein Wettbewerb im Nägel-Machen veranstaltet, den ich nicht gewinnen, ihn jedoch als Chance nutzen wollte, in Rekordzeit mindestens einen gut aussehenden Nagel zu schmieden. Gelungen sind mir mehrere, wovon ich mir selbst auch einige behalten hatte. Leider sind sie heute alle weg, weil ich gerne verschenke.

Und welche Techniken kannst du nur autodidaktisch lernen?

Es kommt auf Kreativität an. Wahrscheinlich würden sehr viele traditionelle Techniken, wenn es das Wort „Technik“ nicht gäbe, sich als kreative Arbeitsweisen erklären lassen. Ich glaube, dass genau so allerhand alte Arten für das Verweben von Ziegeln zur Wand oder Modelle für die Verzierungs-Reliefs von hölzernen Dachgiebeln entdeckt und patentiert wurden. Mir ist es wichtig, möglichst ungeschriebene Regeln zu befolgen. Was bisher von anderen kreativ herausgefunden wurde, hat uns einen aktuellen Platz auf der zeitlichen Achse gesichert, von dem ausgehend ich und meine Zunft das fertig Gebaute der Vergangenheit durch die kreativen Mittel der Gegenwart erhalten können, ohne die Option eigenen Intervenierens auszuschlagen. Denn diese traditionellen Bauten erweisen sich als vergänglich. Was ihnen fehlt, ist nicht die Zerstörung, sondern unsere Intervention. Man soll unsere Zeit und die Art und Weise unseres Eingreifens an den alten Gebäuden lesen können. Die in der Zukunft nach uns Lebenden werden wiederum ihr Eingreifen unseren Spuren auftragen. Das heißt Kontinuität. Es ist unnatürlich, etwas so zu bauen, dass es ganz ohne Veränderung fortbestehen soll wie die Welt. Nicht, dass ich alles Kaputtgehende oder Zerstörerische gut finde, nein. Aber so ist der natürliche Lauf der Dinge.

Auch im Hof hier kann man Verschlechterungen sehen, gegen die ich entweder nicht vorgegangen bin oder gar den Platz rundherum so gestaltet habe, dass man das Zerfallende noch besser beobachten kann. Abgeguckt habe ich mir das von Architekt Horațiu Răcășan aus Klausenburg/Cluj-Napoca. Vor seinem Schreibtisch hat er so etwas wie einen Park voller Modelle ausgebreitet liegen, worin er auch einige Materialien in Schatten, in direktem Sonnenlicht sowie bedeckt oder unbedeckt platziert unterbringt, um abzuwarten, wie sie sich unter Einfluss unterschiedlicher Kontexte im Laufe der Zeit verhalten. Ich hatte Glück, diese versteckte Recherche-Technik aus nächster Nähe kennenlernen zu können und habe sie auch in den drei Jahren meines Wohnens in Poplaca genutzt. Niemand sagt dir, dass es hilfreich wäre, so zu verfahren, da man annimmt, ein gutes Stück von der ach so teuren Zeit zu verlieren.

Man findet sich zwangsläufig in Opposition zu genau der Welt wieder, die einem beibringen möchte, das Ergebnis der eigenen Leistung sofort abrufen zu wollen, oder?

Ja, das wären quasi die Einflüsse des Kapitalismus auf alle Bereiche des Lebens. Weil es aber nicht ausdrücklich mein Wunsch ist, mich dem unterzuordnen, fällt mir die Kreativität leicht. Beispielsweise beim Aufhängen frisch gewaschener Kleider, die ich überall im Hof und Garten verstreut zum Trocknen auf Bügeln anbringe statt sie immer alle in ein und derselben Ecke geordnet hängen zu haben. Kreativität ist eine Sache, möglichst schnell fertig zu werden, eine andere.

Wie bist du zum Studiengang Restaurieren gekommen und welche Voraussetzungen gab es zu erfüllen?

Bis einschließlich 2021, als ich mich immatrikuliert habe, reichte für den Zugang zum Studium das Einreichen eines Portfolios. Erst ein Jahr später musste auch eine Aufnahmeprüfung bestanden werden, weil die Anwärter-Anzahl gestiegen war. Ich für meinen Teil habe es nicht als Problem empfunden, ein Portfolio zu erarbeiten, wo ich zuvor in Temeswar Architektur zu studieren begonnen hatte, um es vorzeitig wieder abzubrechen. Aber ich habe dort auch ein Gymnasium für Architektur besucht, und das Fach hat mich immer schon nicht losgelassen. Mein Studium in Temeswar habe ich brüsk unterbrochen, um sechs bis sieben Jahre lang auf eigene Faust alten Häusern nachzuspüren. Meine Erwartungen lagen zu weit ab vom Inhalt des gewählten Studiums. Bereits 2014 als Abiturient wusste ich von dem Studiengang in Hermannstadt, bin aber nicht gleich hierher gekommen, und das war ein unbewusst sehr glücklicher Zufall, wo Cristina Constantin und Cosmin Pavel als Co-Gründer des Büros „abruptarhitectura“ und für guten Geschmack werbende Dozenten erst einige Jahre später in Hermannstadt nachhaltig Fuß gefasst haben. Wäre ich schon 2014 nach Hermannstadt gekommen, hätte ich erst im dritten und letzten Studienjahr von beiden lernen können.

Wo darf man Pläne digital zeichnen, und wo muss man sie wie früher noch immer von Hand mit dem Bleistift erarbeiten?

Konditioniert wird man von nichts und niemandem. Ich weiß das, weil ich meine Diplomarbeit zu verteidigen habe und es keine Regelung zu beachten gilt, die zum Digitalen oder Analogen verpflichtet. 90 Prozent erarbeiten ihre Diplomarbeit digital, es kostet weniger Zeit und Geld und gelingt auch schöner. Ich hingegen stelle auf Rat von Cristina Constantin eine ganze Reihe Modelle aus Lehm und einige Pläne von Hand ebenfalls auf Lehm zusammen.

Wie wäre der Missstand zu verringern, dass die Versuchung zur Verwendung billiger und total unpassender Materialien an alten Häusern zwar als ein Eingreifen neuer Generationen entschuldigt werden kann, jedoch nichts mit der wahren, der guten Kreativität zu tun hat, für die du wirbst?

Lösungen dafür sind utopisch, aber ich sehe sie dennoch. Leute wie ich, die eine Stadt verlassen und aufs Dorf gehen, suchen eine sehr deutliche Veränderung. Leute aber, die ihr ganzes Leben lang in so einem Haus wie dem hier zubringen, brauchen genauso eine starke Veränderung, weswegen sie möglichst großen Qualitätsanstieg in möglichst großer Quantität und zu kleinstmöglichem Preis suchen. So erklärt sich der Trend zu Styropor und ähnlicher Ware. Es ist zwar nichts weiter als utopisch, wie gesagt, wäre jedoch für die spezifischen Kulturlandschaften das Allerbeste: ein Umziehen ganzer Gesellschaften in alte Dörfer und für sie noch ungewohnte Kontexte, an die man sich nicht gewöhnen und folglich auch nicht auf unpassende Veränderungs-Gedanken kommen könnte, da wie in einem Kreislauf nach begrenzter Zeit gleich wieder der nächste Umzug zu planen wäre.

Also kann auch ein Mensch, der an einem wirklich idyllischen Ort aufwächst, dem falschen Sog nach Veränderung zum noch Besseren hin erliegen?

Klar passiert das, wir sehen es auf Schritt und Tritt, wenn Leute das Dorf ihrer Kindheit für viele Jahre verlassen und später wieder zurückkommen. Solche Tapetenwechsel sind aber auch gesund, da sie davor schützen, voreilig Veränderungen am ursprünglichen Ort vorzunehmen, den man anfangs noch nicht als idyllischen erkannt hatte. Bevor man in die materielle Welt eingreift, sollte man in sich selbst, in der immateriellen Welt, Ordnung geschaffen haben. Danach erst weiß man, was für Veränderungen man der Welt bringen kann.