Krieg der Informationen

Wie Fake News auf dem Nährboden von Krisen sprießen. Was tun?

Die Pandemie und Putins Krieg haben etwas gemeinsam: die Art, wie Fake News  eingesetzt werden. Sogar die Slogans klingen ähnlich: „Die Impfkampagne ist ein Geschäft“ / „Der Krieg ist ein Geschäft“; „die Gesundheitsdiktatur“ / „die militärische Diktatur“. Fake News sind nicht einfach nur falsche Nachrichten. Der englische Begriff „fake“ (Fälschung) stellt klar, dass es sich um absichtliche Manipulation handelt. Massiv verbreitete Narrative, die darauf abzielen, die Gesellschaft zu spalten oder eine Idee, egal wie abstrus, im kollektiven Bewusstsein zu verankern. Eine Art von Gehirnwäsche, amplifiziert durch die Möglichkeiten der digitalen Technik, die uns so lange damit bombardiert, bis wir denken: Wo viel Rauch ist, ist auch irgendwo Feuer! 

Was noch nicht ins allgemeine Bewusstsein durchgedrungen ist, sind die Veränderungen durch digitale Medien. Fake News verbreiten sich um ein Zig-faches schneller, weil ihnen durch Bots (künstliche Konten in sozialen Medien, die automatisiert versenden) und Trolle (beauftragte menschliche Kommentatoren, die eine bestimmte Denkweise möglichst breit streuen) nachgeholfen wird. Und auf jeden Fall verbreiten sie sich schneller als ihre Richtigstellung. Denn sie bedienen sich der Mittel, die Menschen dazu bewegen, sie zu beachten und weiterzuverbreiten: Angst und Wut! Hinzu kommt, dass Neuropsychologen herausgefunden haben, dass starke Emotionen, die Gefahr suggerieren, im Gehirn die Regionen für analytisches Denken blockieren. 

Die Kochanleitung für Fake News ist also denkbar einfach – die toxische Info aus den Köpfen wieder rauszukriegen, deutlich schwerer bis unmöglich. Dazu gehört nicht nur die Demontage der Fake News, sondern das Bewusstmachen der überall lauernden Gefahr, das Erkennen typischer Muster und das Wissen um die Instrumente zum Enttarnen – etwa Medienkompetenz. Damit befasste sich die achte jährliche deutsch-rumänische Medientagung, organisiert von der  der deutschen Botschaft Bukarest und der Deutschen Welle (DW) am 2. November in der Bukarester Goethe-Bibliothek. 

Multiple Krisen –Nährboden für Manipulation

Die Wucht, mit der Fake News über die Medienlandschaft hereinbrechen können, hat sich in der Corona-Pandemie gezeigt. Im Kontext des Ukraine-Kriegs sind sie ein Teil der hybriden Kriegsführung geworden, die über die Schauplätze der Waffengewalt weit hinausreicht. Von Russland gestreute Narrative werden instrumentalisiert, um in den Köpfen der Bürger eine Rechtfertigung für den brutalen Angriff zu implantieren: bspw. „Völkermord im Donbass“; „die Ukraine entwickle Biowaffen“.

Das Thema Fake News oder „strategische Kommunikation“ wird inzwischen sogar im Auswärtigen Amt extrem wichtig genommen, erklärt der deutsche Botschafter Peer Gebauer. 

Dana Scherle, Chefredakteurin der DW in Rumänien, erklärt, warum gerade jetzt die Verschwörungsmythen sprießen: Wir leben in einer Zeit der multiplen Krisen. Die Pandemie ist noch nicht einmal vorüber, schon wird sie vom Ukraine-Krieg, der Energie-, der Finanz- und der Klimakrise überlagert. Ein Nährboden, auf dem sich Gefühle wie Angst oder Wut instrumentalisieren lassen. Seit dem Krieg sei vor allem in den Medien in Rumänien und der Republik Moldau der Einfluss russischer Propaganda deutlich erkennbar. 

Aber auch in Deutschland greift Putins Propaganda, illustriert Roman Goncharenko, DW-Redakteur für Russland, Ukraine und Osteuropa. Er beruft sich auf eine Studie, derzufolge die Anzahl der Deutschen, die glauben, die Ukraine würde Biowaffen entwickeln, in letzter Zeit von 7 auf 12 Prozent gestiegen sei – am deutlichsten sei der Anstieg in den Gebieten der ehemaligen DDR.

„Aber – die Leser schätzen unsere Glaubwürdigkeit!“, erklärt Scherle. „Gerade bei großen Krisen beobachten wir einen starken Anstieg der Klicks.“ 

Andererseits werden die Mainstream-Medien von immer weniger Menschen konsultiert. Infos holt man sich heute hauptsächlich aus Social Media. Gerade dort verbreiten sich Fake News nahezu unkontrolliert. Denn hinter diesen Plattformen stecken Tech-Giganten, die sich nicht in die Karten schauen lassen, warnt Marian Voicu, Realisator der Sendung „Breaking Fake News“/TVR1. Es mangelt an Transparenz, was den Algorithmus, beklagt auch Fake News-Jägerin Codruța Simina, Autorin des Newsletters „Misreport“. Warum, fragt sie, geht die Suche in sozialen Medien immer in Richtung Radikalisierung? Bedenklich auch, dass die soziale Medien nur Pro und Kontra kennen – es gibt keine Mitte mehr.

Der Krieg hat nicht im Februar begonnen...

Goncharenko erklärt, für die Ukrainer habe der Krieg nicht erst am 24. Februar begonnen. Aus ihrer Sicht befinde man sich sei 2014 im Krieg, als Russland die Krim annektierte. Auch im Donbass sei schon gekämpft und gestorben worden, russische Geheimdienste waren dort aktiv. Lange vor 2014 habe Russland das Narrativ für diesen Krieg vorbereitet: Die Ukraine sei ein „künstlicher Staat“, eine „Marionette des Westens“, Russen würden unterdrückt. Selbst in der Ukraine durfte das russische Staatsfernsehen noch ein halbes Jahr nach der Krim-Operation senden! Zur Gehirnwäsche gehörten auch falsche, aber hochemotionelle „Nachrichten“, etwa die Sendung, in der eine ukrainische Frau erzählte, ukrainische Soldaten hätten im Donbass ein dreijähriges russisches Kind gekreuzigt. 

Im russischen Narrativ stellt der Krieg in der Ukraine die Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs dar – „für die Russen ein hochemotionelles Thema“, sagt Goncharenko. Man suggeriert ihnen, sie kämpften „wie die eigenen Väter und Großväter“ gegen die dortigen Nazis. „Es gibt Rechtsextreme in der Ukraine“, räumt er ein, „aber es sind wenige, sie sind nicht an der Macht und es gab kein Wachstum in der letzten Zeit.“

Als Fake News bezeichnet Goncharenko auch Putins „Teilmobilisierung“. Tatsächlich gebe es Gründe, von einer Mobilisierung von weit über 300.000 Mann auszugehen. „Wir schreiben daher Mobilisierung!“ 

Die „pädophilen Lenker“ Europas...

Die russische Propaganda nimmt bisweilen bizarre Formen an. Ein staatlicher  TV-Kanal verbreitete, man würde sich in Europa wegen der Dürre nicht mehr waschen, was eine massive Verbreitung von Bakterien und Parasiten wie Läuse, Flöhe, Wanzen oder Krätze zur Folge hätte. Die Gesundheitsbehörden seien völlig machtlos. 

Ein weiteres antieuropäisches Narrativ sei, das Schicksal der EU werde von „Pädophilen“ in Brüssel bestimmt. Inte-ressant ist dabei die Involvierung der russischen orthodoxen Kirche in den Medienkrieg, vor allem im Kampf gegen nicht-traditionelle Werte, erklärt Marian Voicu. Bei den „Verfechtern der traditionellen Familie“ und Homophoben lösen solche Behauptungen starke Emotionen aus. „Wie bekommt man so etwas je wieder aus den Köpfen raus?“ entrüstet sich Press-One- Journalistin Emilia Șercan.

Verbreiter russischer Desinformation seien auch „Pseudojournalisten aus der alternativen Presse“ und „nützliche Idioten und Influencer“, sagt Voicu und verweist auf die Behauptung des ehemaligen liberalen Außen- und Bildungsministers Andrei Marga, langjähriger Rektor der Klausenburger Babe{-Bolyai-Universität, der im September auf einer Konferenz behauptet hatte, die Staatsgrenzen der Ukraine seien „künstlich“, das Land müsse „Gebiete“ an Russland, Ungarn, Polen und Rumänien abtreten. 

Längst ist die Flut an Fake News zu groß, um alle zu demontieren, warnt Goncharenko. Doch nutzt die DW seit Kurzem künstliche Intelligenz (KI), um sie schneller aufzuspüren. „Wir Journalisten müssen viel mehr tun!“ plädiert er. „Wenn ein großer Teil der Deutschen die russischen Fake News glaubt, dann haben wir es nicht geschafft, die Leute aufzuklären!“

Eine Nische für Tiefe: Doku-Sendungen

Nachrichten müssen immer reißerischer und kürzer werden, wird von Journalisten häufig beklagt. Eine Nische, in der dies nicht gilt, sind Doku-Sendungen. „Sie liegen im Trend und geben einem die Chance, in die Tiefe zu gehen“, erklärt Alexandra Bidian, Videojournalistin beim Norddeutschen Rundfunk. In längeren Formaten könne man auch  Themen behandeln, die Menschen allgemein bewegen. Um die Stimmung zu erfassen, liest sie die Kommentare unter YouTube-Filmen. Gesprächspartner findet sie auf Facebook-Gruppen. 

Die Gefahr besteht darin, schnell zu glauben, was „Betroffene“ erzählen. Daher sei es angeraten, diese länger zu begleiten, Hintergrundgespräche zu führen, dieselben Fragen mehrmals zu stellen, Dokumente zu verlangen. Das Fazit wird transparent und nachvollziehbar gemacht: „Die Hinweise gehen in diese Richtung...“

Digitale Instrumente – Fact Checking Toolbox

Ein harmloses, aber drastisches Beispiel von Fake News, auf die auch die Mainstream-Medien hereingefallen sind, war die jüngste Behauptung, Elon Musk wolle Halloween in Rumänien feiern. Medien berichteten bereits, in welchem Restaurant er gerade saß oder wie viele Sarmale er schon verzehrt habe. Bis das Innenministerium dementierte, dass Musk überhaupt eingereist sei. Wie konnte das passieren?

Codru]a Simina ist seit 17 Jahren im Journalismus tätig, seit fünf befasst sie sich mit Fake News und gibt den Newsletter „Misreport“ heraus. Zum Vorfall Elon Musk sagt sie, die Ursprungsquelle in wenigen Minuten gefunden zu haben: Eine nicht transparente Webseite mit unbekanntem Betreiber, der Name des angeblichen Journalisten sei im Internet nicht zu finden, sein Foto stammte aus einer Datenbank. „Und die gesamte rumänische Presse hat das übernommen – weil einer vom anderen abschreibt.“

Um Fake News zu entlarven oder die Ursprungsquelle he-rauszufinden, gibt es eine ganze Menge Tools, erklärt Medana Weident, DW-Redakteurin für Rumänien und Europa. Zusammengefasst sind sie in der „DW Fact Checking Toolbox“ (Bild) mit Links zu allen Instrumenten, von umgekehrter Bildersuche über Verifizierung von Domains, Flügen, Schiffsverkehr, Wetter und Sonnenstand – um zu überprüfen, ob ein Foto zur angegebenen Zeit am genannten Ort aufgenommen worden sein kann. Selbst Bilder, die aus Videos entnommen wurden, lassen sich mit einer App zurückverfolgen. Manche Tools sind auch für Nicht-Journalisten leicht zugänglich, andere kann man mithilfe von Tutorials erlernen. Auch die DW bietet Schulungen an. 

Codruța Simina rät, zur Enttarnung von Fake News erst einmal in einer anderen Sprache zu googeln. Denn die meisten Fakes, die sich hier verbreiten, sind zuvor durch andere Länder getourt – und dort oft bereits demontiert worden. Hat man die Ursprungsquelle entdeckt, kann man zur Einschätzung ihrer Glaubwürdigkeit den „Global Disinformation Index“ heranziehen. Zum Identifizieren von Trolling gibt es verschiedene Handy-Apps, verrät Vitalie Calugareanu, TV Journalist und DW-Korrespondent in Chișinău. Guidelines zum Faktencheck und Schulungen bietet das Poynter Institut an (poynter.org). Den Misreport Newsletter kann man auf newsletter.misreport.ro abonnieren. 

Erfahrungen aus der Moldau

In der Moldau seien rund 80 Prozent der Presse von Russland beeinflusst, erklärt Vitalie Calugareanu aus Chișinău – „sei es durch gezielt platzierte Personen oder durch Medienfinanzierung durch prorussische Parteien“. Auf die manipulative Rolle von Fake News wurde man zur Zeit der Parlamentswahlen 2016 aufmerksam, als Igor Dodon knapp vor Maia Sandu gewann. Die aktuelle Präsidentin hatte damals eine Unterredung mit Angela Merkel über die Verteilung von Flüchtlingen aus Syrien gehabt. Danach verbreitete die Presse, Sandu habe Merkel zugesagt, im Falle ihres Wahlsiegs 30.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Der angebliche Deal erschien zunächst in einer Komik-Sendung, dann in einer Talkshow und wurde rasch zur Nachricht hochstilisiert.  

Inzwischen gibt es eine Plattform gegen Fake News, die von im Ausland instruierten moldauischen Journalisten betrieben wird: stopfals.md. Außerdem hat die Regierung auf dem Nachrichtendienst Telegram einen Kanal „Prima Sursă“ (t.me/prima_sursa_md) etabliert, der Journalisten mit Institutionen verbindet. Wenn eine dubiose Information erscheint, hat man in 10 bis 15 Minuten eine Stellungnahme dazu, sagt Calugareanu, „zum Beispiel, ob eine russische Rakete über die Moldau geflogen ist oder nicht“. 

Auf dem Weg ins Parlament ist noch ein Gesetzesprojekt, das das Verbreiten von Fake News unter Strafe stellen soll. Wegen der Sensibilität des Themas wartet man derzeit noch auf die Empfehlung der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht, eine Einrichtung des Europarates, besser bekannt als „Venedig Kommission“. 

In der Moldau werde derzeit stark an einer Polarisierung der Bevölkerung gearbeitet, so Calugareanu. Etwa die Hälfte sei prorussisch. Analysten warnen, dass damit die Bedingungen für einen Bürgerkrieg erfüllt seien.

Laut einer Eurobarometer-Umfrage glaubten zwar 80 Prozent der Deutschen, Fake News seien eine reale Gefahr für die Demokratie – doch die meisten gaben an, sich mit der Verifizierung überfordert zu fühlen, laut DW. Die Folge ist eine gefährliche Medienmüdigkeit, man könne ja sowieso nichts mehr glauben. Doch Faktencheck kann auch Spaß machen: DW bietet auf der Webseite innovation.dw.com/projects/ Tools und Spiele für Jugendliche. Die Suche nach Fake News könnte auch in Schulen Basis für spannende Projekte sein.