Künstlerischer Dialog zwischen Mutter und Tochter

Keyserling und Keyserling: Malerei- und Skulpturausstellung

Die nachdenkliche in Bronze gegossene Gestalt von Sorina von Keyserling trotzt dem Gesetz der Schwerkraft

Ein Kosmos steckt in einer verrosteten Metallschüssel. Öl auf Leinwand von Rodica von Keyserling

Eine Anfängerarbeit von Sorina von Keyserling aus Bronze, die träumerisch nach oben blickt. Fotos: die Verfasserin

Echter Küchenschrank oder eine optische Täuschung? Öl auf Leinwand von Rodica von Keyserling

Am 28. Februar haben die Malerin Gräfin Rodica von Keyserling und ihre Tocher, Bildhauerin Gräfin Sorina von Keyserling, ihre erste gemeinsame Ausstellung in der Galateca Galerie (Str. C.A. Rosetti Nr. 2-4, 1. Bezirk) in Bukarest eröffnet.

Gräfin Rodica von Keyserling stellt nun erstmals seit 50 Jahren in ihrem Heimatland und ihre Tochter zum ersten Mal in Rumänien aus. Ihre Ausstellung wird vom deutschen Kunsthändler und Geschäftsführer des Kunsthauses  7B  in Mi-chelsberg/Cisnădioara, Kreis Hermannstadt / Sibiu, Thomas Emmerling, kuratiert und kann nur noch heute von 12 bis 20 Uhr und am morgigen Samstag, dem 11. März, von 11 bis 19 Uhr besucht werden.


Malerin Rodica  von Keyserling

Die deutschstämmige Rodica von Keyserling wurde 1945 in Bukarest geboren und hat die deutsche Schule besucht. Zwischen 1961und 1968 erlernte sie die Bausteine der Kunst und insbesondere der Malerei vom berühmten rumänischen Maler Sabin Bălașa im Bukarester Kulturhaus. Nachdem die junge Malerin einen künstlerisch produktiven Sommer 1967 an der Schule in Bleschenbach/Poiana M²rului im Kreis Kronstadt/Bra{ov verbrachte, flüchtete sie nach Österreich, wo sie Keramik an der Akademie der Angewandten Künste in Wien studierte und den Bildhauer und ihren künftigen Ehemann, Graf Leonhard von Keyserling, kennenlernte. Der inzwischen verstorbene Bildhauer war der Nachfolger des deutsch-baltischen Grafen und Philosophen Hermann Alexander von Keyserling. 

Mit zwei Kindern zog die Künstlerfamilie von Keyserling nach Deutschland um, wo Gräfin Rodica ein Grafik- und Malereistudium an der Gesamthochschule in Kassel abschloss.

Gegenstände und ihre Welt

Die Vorliebe für die realistische naturgetreue Darstellungsweise und für das Stillleben hat die Malerin ein Leben lang begleitet und veranlasst, in ihrer Diplomarbeit an der Gesamthochschule in Kassel den Gegenstand und seine Welt zu thematisieren. Einzel- und Feinheiten in der Wahrnehmung der Gegenstände, für die sich die Malerin begeistert, kommen in ihren Werken zum Vorschein und entzücken. Für Rodica von Keyserling steckt kein „Teufel“, sondern eine wunderbare Welt und reine Schönheit in den Details, die sie mit Enthusiasmus in ihren Werken hervorhebt.

Zum Beispiel hat sie in einer verrosteten Metallschüssel „einen Kosmos und eine Farbenorgie“ entdeckt. Von der besonderen Chromatik der Schüssel hat sie sich in deren zweifacher Übertragung auf Leinwand leiten lassen. „Jedes Mal, wenn ich die verrostete Schüssel gemalt habe, war es traumhaft, mich hineinzuführen in diese ganze Welt, in das Runde, in dieses Offene, das Aufgebrochene und die Feinheit der Farben, die ineinander fließen und doch ein großes Ganzes ergeben!“, schilderte die Malerin ihre Erfahrung bei der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Metallobjekt und nannte ihr Werk „ein Meditationsbild“.

In den realistischen Stillleben von Gräfin Rodica kann man einen Hauch Surrealismus und einen gewissen Humor erkennen, die in den Werken des belgischen Surrealisten René Magritte vorkommen, betonte Kurator Thomas Emmerling bei der Ausstellungseröffnung.  

Außer Stillleben malt die Künstlerin noch Porträts und beeindruckende Naturbilder mit einzelnen moosbedeckten, ausgehöhlten, manchmal sogar verfallenen Bäumen aus dem Reinhardswald bei Kassel.

Echt oder optische Täuschung?

Besonders spektakulär wirken vor allem die Trompe l’oeil-Bilder von Rodica von Keyserling - eine illusionistische Malerei, die mittels perspektivischer Darstellung Dreidimensionalität vortäuscht. 

Niemand konnte sich bei der Vernissage erklären, wieso bei einer Kunstausstellung zwischen den Gemälden ein hölzernes Regal und ein alter hölzerner Küchenschrank mit offenen Türen, in denen  frisches und verdorbenes Obst aufbewahrt wird, hingen. Bei aufmerksamerem Betrachten erwiesen sich beide als optische Täuschungen, als Leinwände, auf denen die Regale in reiner Dreidimensionalität meisterhaft dargestellt waren. Von den Rändern mit leichten Abschabungen und Rissen, den kleinen verrosteten Scharnieren bis hin zu den Wurmlöchern im Holz und der Wechselwirkung zwischen Licht und Schatten, insbesondere in den hinteren Ecken des Regals, überzeugen all diese Details von der realistischen, fast tastbaren Erscheinung des Küchenschranks. Ebenso realistisch hat Rodica von Keyserling ihren Malkasten mit Ölfarben, Pinseln und Künstlerpaletten und einen Holzkasten mit Briefen von ihrem Vater dargestellt. 

Ihr gelingt es wunderbar, das veraltete, heute scheinbar unbedeutende Stillleben neu zu beleben und dieser Kunstgattung ihre einstige Würde wiederzugeben, hob Thomas Emmerling hervor. 

Seit 1990 ist die Gräfin dem deutschen Sonderkünstlerbund beigetreten und malt auch heute fleißig und voller Begeisterung, weswegen sie sich mit ihren Werken an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen beteiligen konnte und weitere Ausstellungsprojekte im Plan hat.

Bildhauerin Sorina von Keyserling

Ihre Tochter, Gräfin Sorina von Keyserling, aufgewachsen in einer Künstlerfamilie und von Kunst umgeben, hat auch selbst eine künstlerische Laufbahn gewählt. Über Umwege ist sie nach der Beendung der Kunsthochschule Amsterdam und Arnheim für modernen Bühnentanz und einem Russisch- und Portugiesisch-Sprachstudium zur Bildhauerei vor etwa 15 Jahren gekommen. Durch die Bildhauerei, der sie sich heute völlig widmet, kann sie letztendlich am tiefsten aus ihrem Wesen schöpfen, eröffnete die Bildhauerin auf der Vernissage. 
Während die Mutter die Welt der Gegenstände, Landschaften und gelegentlich auch Menschengestalten in ihren Werken behandelt, thematisiert die Tochter ausschließlich den Menschen in ihren Skulpturen. Damit wird auch die Auseinandersetzung der Künstlerfamilie von Keyserling mit der Welt abgerundet.

„Es kam mir nie in den Sinn, etwas anderes zu wollen, da der Mensch unsere Hauptidentifikationsquelle ist und sinnlichen Zugang schafft. Es ist die Verbindung zwischen dem Wesen eines Menschen und seiner äußeren Physiognomie, die mich fasziniert“, erklärte die Bildhauerin.

Gestalten und Gefühle

In ihren Werken versucht Sorina von Keyserling, keine extremen emotionalen Zustände oder dramatische Gesten zu thematisieren. Vielmehr sucht sie die Stille und Unbeobachtetheit in ihren Darstellungen. Dabei spielen Geometrie und abstrakte Form in einer Haltung oder einem Gesicht eine entscheidende Rolle, sowie die Gefühle, welche der eine oder der andere Gesichtsausdruck der Modelle in der Künstlerin auslösen. 

Die in Frankfurt am Main gebürtige Bildhauerin lebt und wirkt gegenwärtig in Berlin. Viele ihrer Werke sind Auftragsarbeiten, die sie in ihrer Werkstatt vor der Auftraggeberin oder dem Auftraggeber, die ihr als Modelle dienen, schafft. So sind zum Beispiel die Büste aus Ton und Terrakotta ihres Künstler-nachbarn, dessen lustige Miene Sorina von Keyserling seit Jahren fasziniert, und jene des Kunsthändlers Thomas Emmerling, entstanden. Die zwischen ihnen ausgestellte Büste einer jungen Besucherin, die keinem klassischen Schönheitstyp entspricht, hat Sorina von Keyserling spontan als Live-Performance bei einer ihrer Ausstellungen aus Terrakotta geschaffen.

Geometrie der Körperhaltung

Eine atypische modernistische Büste eines nachdenklichen jungen Mannes aus Bronze, der seinen Kopf auf die Hand stützt, beeindruckt durch die hervorgehobene Geometrie der Körperhaltung. Die senkrechte Linie seines Armes, der allein das Gewicht des Kopfes übernimmt, da in dieser Darstellung der Hals und die Schultern fehlen, wird von der quadratischen Form des Unterkiefers zerschnitten, zu der sowohl die Augenachse als auch der Haarumriss an der Oberseite des Kopfes parallel stehen.

In der Ausstellung befinden sich noch melancholische oder schlafende Figuren, welche die Bildhauerin aus ihrer Vorstellung geschaffen hat, sowie Skulpturen aus der Serie sitzender Gestalten, oder jener, die aus der Vogelperspektive dargestellt sind, eine stille Buddha-Statue sowie ein weibliches Porträt mit afrikanischen Gesichtszügen und einem entspannten, friedlichen Ausdruck.  

Das Zusammenspiel zwischen der feinen, vollendeten Darstellung und dem unfertigen Aspekt der Gestalten verleihen den Skulpturen der jungen Gräfin eine gewisse Dynamik und zugleich einen klassischen Hauch. Durch ihre scheinbare Unvollendetheit streben die Statuen von Sorina von Keyserling genauso wie jene von Michaelangelo Buonarroti nach der Unendlichkeit.