Kultur stiftend oder Think Tank?

Die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen wird 50

Podiumsdiskussion mit Vertretern der Kulturverbände in Stuttgart am 26. April | Foto: der Verfasser

Ähnlich der Hermannstädter Evangelischen Akademie Siebenbürgen für die Heimatstuben im traditionell dörflichen Bereich hat in Deutschland die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen zur Professionalisierung von Heimatsammlungen beigetragen. Sie hat stetig das Bildungs- und Beratungsangebot ausgebaut sowie wissenschaftliche Arbeit geleistet. Dabei ist sie eng vernetzt mit den Vertriebenen- und Aussiedlerverbänden des Bundes der Vertriebenen – BdV. Im Schulterschluss mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten (AGDM) steht sie auch im Kontakt mit dem DFDR. Im Vorfeld des großen Jubiläumsfestaktes Mitte Juni fand nun eine Begegnungstagung in Stuttgart statt.

Bei der Wochenendtagung vom 26. bis 28. April 2024 trafen sich zahlreiche Vertreter kulturpolitischer Vertriebenen- und Aussiedlerverbände, während bei den unterschiedlichen Themenblöcken Referenten der musealen sowie wissenschaftlichen Einrichtungen, Nachwuchsorganisationen und einschlägiger Medien hinzukamen. Dieses Tagungsformat wird zwar jährlich organisiert, diente jedoch anlässlich des Jubiläums einer aktuellen Standfeststellung.

Der Status quo

Mehr über den Stand mit anstehenden Veranstaltungen und finanziellen Nöten als über Perspektiven wurde bei einer Podiumsdiskussion von Vertretern der Kulturverbände gesprochen. Jürgen Harich berichtete über den Generationenwechsel an der Spitze der Landsmannschaft der Donauschwaben und sein zwar mühevolles, aber letztendlich erfolgreiches Engagement beim Stadtrat für die Sanierungsförderung des Donauschwäbischen Hauses in Sindelfingen. 

Über partnerschaftliche Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene wusste auch Brigitte Bornemann zu berichten. Gefördert von der Landeshauptstadt Stuttgart erfolgte die Neugestaltung und nun der Betrieb der Dauerausstellung des Heimatmuseums der Bessarabien- und Dobrudschadeutschen.

Der Landesvorsitzende der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Baden-Württemberg, Richard Jäger, bedauert die stark unterschiedliche Projektförderung durch Landesregierungen, die hauptsächlich in Bayern und Hessen guten Gestaltungsspielraum zulässt. Rainer Lehni berichtete über die anstehende Großveranstaltung, das Sachsentreffen in Hermannstadt/Sibiu Anfang August. Vom Moderator Thomas Konhäuser auf die Jugendarbeit angesprochen erwähnte Lehni das inzwischen 1000. (zahlende) Mitglied in der Jugendorganisation SJD. Dem sei noch hinzuzufügen, dass jenes Mitgliederkonzept bereits vor 25 Jahren konzipiert worden ist und erst allmählich zur Umsetzung fand. Jene Podiumsdiskussion wurde auch in weiteren Wortmeldungen thematisch von Mitgliederschwund und -alterung geprägt, wie auch von der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und Kooperationen. Es sind – so muss man sich eingestehen – die gleichen Themen wie seit eh und je, wenn auch mit gelegentlich neuen kreativen Impulsen.

Servicepartner

Daher sieht sich die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen insbesondere als Servicepartner der Kulturverbände gefordert. Nach dem existentiell gefährdenden Wegfall der institutionellen Förderung durch die Bundesregierung im Jahr 2000 erfolgte 2019 eine Neuausrichtung der Kulturstiftung und Beginn erneuter Förderung im Folgejahr, die sechs Mitarbeiterstellen ermöglicht hat. Jene starteten dann auch mit der Digitalisierung von Heimatsammlungen in Nordrhein-Westfalen. Diverse Veranstaltungsreihen und Printausgaben zu Literatur, Minderheiten- und Völkerrecht sowie Zeitgeschichte wurden gestaltet. Bereits 2021 erfolgte die Gründung des grenzüberschreitenden Nachwuchsnetzwerkes „Junge Wissenschaft West-Ost“ für Jungakademiker und (Post)Doktoranden. Parallel dazu wurde das „Junge Netzwerk Zukunft“ für den Austausch einschlägiger Jugendorganisationen geschaffen. Ganz aktuell kam in diesem Jahr die grenzüberschreitende MedienArbeitsGemeinschaft (MAG) hinzu. Bei deren Projektvorstellung während dieser Begegnungstagung wurde auch Roger Pârvu von der ADZ online dazugeschaltet. Ferner bietet die Kulturstiftung auch individuelle Projektberatung inklusive für Förderanträge an – noch.

Kreativität wird zukunftsrelevant

Die vorgenannte Förderung wurde von der Bundesregierung für die Jahre 2020 bis 2024 bewilligt. Wie in der ADZ bereits befürchtet war die Fortführung der Förderung durch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM) gefährdet. Nun steht fest: Sie wird über das Jahr 2024 hinaus nicht fortgeführt. Bedauerlich auch ist die schlichte Form der erfolgten Absage über eine Mitarbeiterin. Dabei hat die Kulturstiftung den Ost-West-Dialog sowohl in Einzelmaßnahmen vorangetrieben, als auch in Partnerschaft mit der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM) im östlichen Europa. Getreu dem Motto „Heimatvertriebene und Heimatverbliebene – zwei Seiten der gleichen Medaille“ wurde der grenzüberschreitende Brückenschlag praktiziert.

Kreativität ist einmal mehr gefragt. Wo Bundesmittel versagt bleiben und Länderförderungen stark schwanken, da kommen alternative Partnerschaften in Betracht. Diese Begegnungstagung zeigte Erfolge ehrenamtlichen Engagements auf, die auf kommunaler Ebene beispielhaft in Sindelfingen und in Stuttgart zur Verwirklichung kamen. Umso unverständlicher ist es, wenn z. B. das Siebenbürgische Kulturzentrum Schloss Horneck eine Veranstaltung in Kooperation mit dem benachbarten Literaturhaus Heilbronn verpönt.

Auch gilt es den Brückenschlag in seiner bisher praktizierten Form zu überdenken und ggf. zu erweitern. Beispielsweise Literatursymposien könnten nicht mehr (nur) die bereits bekannten deutschen Schriftsteller aus dem östlichen Europa hervorheben. Einschlägige Literaturfestivals der Zukunft sind Co-Veranstaltungen mit Übersetzern und zweisprachigen Erzähl- oder Gedichtbänden und junger Literatur. Wie werden etwa der Topos „Patria“ und andere artverwandte Themen sowohl von der ethnischen Minderheit, als auch von der Mehrheitsbevölkerung der gleichen Region behandelt? Hierzu kommt alternativ zu versiegenden Bundesmitteln z. B. das Goethe-Institut als Partner in Betracht. Workshops für kreatives Schreiben der Nachfolgegeneration der Vertriebenen und Aussiedler könnten in Kooperation mit lokalen Literaturhäusern oder Volkshochschulen organisiert werden. Es gilt, Kultur nicht nur zu bewahren, sondern auch deren Fortentwicklung zu fördern.

Die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen hat bereits vor vier Jahren beachtliche Erneuerungskraft aufgezeigt. Jenen Weg gilt es trotz – oder gerade wegen absehbar ausbleibenden Förderungen auf Bundesebene kreativ fortzusetzen. Heutzutage erbringen universitäre sog. An-Institute (z. B. das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas ist an die Ludwig-Maximilian-Universität in München angegliedert) einschlägige wissenschaftliche Leistungen, betreuen (Post)Doktoranden und veröffentlichen Fachbeiträge. Jugendorganisationen aus der neuen und alten Heimat stehen in gutem Kontakt miteinander. Die Kulturstiftung kann weiterhin neue Formate entwickeln und sie beratend den Kulturverbänden in gewohnter Weise vermitteln. Damit wäre sie Kultur stiftend als Denkfabrik, einem sog.Think Tank. Doch so weit ist man (noch) nicht.