Macht der Liebe als Ohnmacht am Kreuz

Den Weg Jesu vom Mahl bis zum Tod am Kreuz hörend mitzugehen, das macht betroffen. „Hosianna“, rufen sie begeistert, als er in Jerusalem einzieht. Hätte er nicht mit dieser Woge der Begeisterung im Rücken, die Machthaber aus Jerusalem vertreiben und die Herrschaft Gottes aufrichten können? Aber nichts dergleichen geschieht!

Weil Jesus das Innere der Menschen erreichen will, statt äußeren Erfolg zu feiern, kehren die Menschen ihm den Rücken. So das Volk, das Zeichen will, statt sich zu bekehren, die Schriftgelehrten, die um ihre religiösen Besitzstände fürchten und dann auch seine eigenen Jünger, die ihn nicht verstehen. Jesus unterwirft sich nicht den Gesetzen des Erfolgs. Nach vier Tagen bleiben nur noch Spott und Hohn.

Von Seiten der Wächter, die sich an seiner Ohnmacht weiden, von Seiten des Herodes, der kein Wunder live geboten bekommt, von Seiten des Pilatus, der seine Hände in Unschuld wäscht, von Seiten des Volkes, weil er sich machtlos zeigt, sogar von Seiten des einen Schächers, der ihn vom benachbarten Kreuzesbalken aus verspottet. Nur einer durchbricht den Spott: der andere Schächer. Er erkennt, dass in der Ohnmacht am Kreuz die Macht der Liebe hängt. Bei einem Verbrecher, der seinem Tod ins Antlitz schaut, bricht der Glaube hervor.

Jesus stirbt als Gerechter, und der Evangelist Lukas macht deutlich, dass er dies im freiwilligen Gehorsam tut, dem Willen seines Vaters folgend, gibt er sein Leben hin für die Vielen.

Liest man die Passion, so fällt das Ineinander von einerseits Gewalttätigkeit, Demütigung und ohnmächtigem Ausgeliefertsein und andererseits liebevoller, Heil schenkender Haltung Jesu auf.

Beim Ringen um die rechte Entscheidung, um das volle Ja zum Todesweg, sind die Freunde nicht da, sie schlafen. Bei der Gefangennahme hauen sie drauf und machen nichts besser dadurch. In die Enge getrieben wird der beste Freund zum Verleugner. Und beim Tod am Kreuz stehen alle seine Bekannten in einiger Entfernung. Eine bittere Bilanz. Und dennoch, die Verletzungen des Dreinschlagens werden geheilt und der Verleugner erfährt im liebend begegnenden Blick Vergebung.

Das Hören der Passion am Palmsonntag führt uns schon vorab das Erleben der heiligen drei Tage vor Augen. Wir werden hineingenommen in die Geschehnisse vom letzten Abendmahl am Gründonnerstag bis hin zur Grablegung des Leichnams Jesu am Ende des Karfreitags. Dazwischen spielt sich das gesamte Szenario ab.

Welches Schicksal sich in dieser kurzen Zeit ereignet, vermögen wir mit unserem Verstand nicht zu erfassen. Und noch schwerer zu verstehen wird dieses Geschehen, wenn wir die Jubelrufe des Einzugs Jesu in Jerusalem noch im Ohr haben. Wie eng liegen doch Jubel und Schmerz, Freude und Kreuz beieinander. Zum Glück endet der Gottesdienst nicht mit der Verkündigung des Leidensberichts unseres Herrn. In der anschließenden Eucharistiefeier dürfen wir uns wieder dessen vergewissern, dass das Kreuz Jesu nicht das Ende bedeutet. Er bleibt lebendig in der Gemeinschaft der Glaubenden und zeigt sich im Brechen des Brotes. Jesus ist nicht nachtragend wie wir Menschen es oft sind, wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen. Hätte er doch allen Grund dazu, er, der unschuldig seinen Kreuzweg bis zum Ende gegangen ist. Aber er, der die Liebe ist, sucht immer neu unsere Liebe. Darum bleibt er uns nahe.

Vielleicht entdecken wir, wenn wir in dieser Woche bis Ostern den Weg Jesu mitgehen, welche Rolle wir selbst in der Passion Jesu spielen. Vielleicht bricht unser Herz auf wie das des Schächers, der um Vergebung bittet, und wir bitten mit ihm: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.“