„Man sieht den Fortschritt fast sofort“

Hermine Hellbeck und Hermine Antoni schenken Meschendorfs Kindern eine Zukunft

Hermine Hellbeck Fotos: George Dumitriu

Die guten Seelen von Meschendorf mit „ihren“ Kindern auf der Haferlandwoche: Hermine Antoni (links außen), Hermine Hellbeck (2. v. l. hinten) und Loredana Stoian (hinten rechts). Wer spenden, sich an Aktionen des Vereins Meschendorfs Kinder e.V. beteiligen oder sogar eine Patenschaft für ein Kind übernehmen möchte, findet mehr Info auf der Webseite www.meschendorfs-kinder.de. Spendenkonto: IBAN: DE86 3305 0000 0009 4083 11 / BIC: WUPSDE33XXX, Kontakt: meschendorfs.kinder@gmail.com

Hermine und Hermine, Mutter und Tochter, sind ein starkes Team in Meschendorf. Dabei hatte die jüngere, Hermine Hellbeck, mit neun Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland ausgewandert, fast 40 Jahre lang den Bezug zur alten Heimat verloren. Ihre Mutter, Hermine Antoni, pensionierte Lehrerin, verbringt hingegen seit Jahren die Zeit von April bis November wieder in Meschendorf, wo sie sich vielseitig für das Gemeinwohl einsetzt: Haferlandwoche, Orgelrestaurierung, Kirchenführung... Seit der Pandemie aber haben die beiden Hermines ein großes gemeinsames Herzensprojekt: Meschendorfs Kinder.
 

Als Hermine Hellbeck vor ein paar Jahren im Sommer ihre Mutter besuchte, sprang ihr sofort die Situation der Dorfkinder ins Auge. Viele lebten in bitterarmen Verhältnissen, die Eltern im Ausland, die Kleinen bei Nachbarn oder Großeltern zurückgelassen. Viele gingen nicht zur Schule, aus verschiedenen Gründen. Weil sie keine Schuhe hatten, erklärt Hermine Hellbeck, oder kein Geld für Schulsachen. „Oder auch, weil die Eltern sagen, wir sind als Roma sowieso ausgegrenzt, wozu sollen unsere Kinder Bildung haben? Dann gehen sie halt später mal - so wie wir - nach Deutschland zum Arbeiten. Doch so einfach ist das nicht...“

In sozialen Medien und Zeitungen las sie aus der Ferne, was in anderen Dörfern ringsum  für Kinder alles getan wurde. „In Deutsch-Kreuz, Deutsch-Weißkirch und Radeln - mein Gott, dachte ich immer, wenn große Organisationen in so kleinen Dörfern aktiv sind, dann muss da ja echt Bedarf sein!“ Nur in Meschendorf passierte gar nichts. Warum macht hier keiner was? Hermine Hellbeck lächelt selbstkritisch: „Aber ich kann ja nicht erwarten, dass nur die anderen was machen...“. So formte sich in ihrem Kopf langsam eine Idee...

Nur Bildung hilft wirklich

Dann kam Corona – und die Situation der Kinder verschlechterte sich noch mehr. Die Eltern, die aus dem Ausland zurück kamen, hatten auf einmal kein Einkommen mehr. „Es gab eine Ausgangssperre und die Kinder haben den Bezug zur Bildung ganz verloren“, erkannte Hermine Hellbeck. Längst war sie auch zu der Erkenntnis gelangt, dass die Hilfslieferungen und Weihnachtspaketaktionen der letzten Jahrzehnte der völlig falsche Ansatz waren: „Man kommt immer wieder zu dem Schluss, dass nur Bildung wirklich hilft. Und da hab ich einfach mal losgelegt.“

Der Anfang gestaltete sich schwer: Bei der Kirche interessierte sie sich für das leerstehende Schulgebäude – „ich habs nicht bekommen, keine Ahnung warum, es verfällt.“ Die Heimatortsgemeinschaft in Deutschland hatte ebenfalls kein Interesse. Das bringt nichts bei den Zigeunern, so der Tenor. „Da hab ich gesagt, Mama, weißt du was? Wir haben doch das Haus von der Großmutter, das steht doch fast nur leer.“  Gesagt, getan: Hergeflogen, ausgemistet, alte Möbel raus, neue Schulbänke und Tafeln gekauft... „Dann haben wir mit Afterschool begonnen!“ 

Heute stehen Blumen und Fußballtore vor dem Haus – „in Deutschland hätte man die in der ersten Nacht geklaut!“, lacht Hermine Hellbeck. Im Garten gibt es Spielsachen und ein Trampolin, drinnen fließendes Wasser, Wärme, ruhige Ecken zum Lernen. „Das  Haus ist ganz wichtig“, sagt Hellbeck, „denn Sie können sich gar nicht vorstellen, aus welchen Verhältnissen die Kinder kommen. Die haben zuhause keinen Platz zum Lernen.“ 

Wenn die Kinder nach der Schule eintrudeln, heißt es Händewaschen und Essen. Das Mittagessen spendet das Menschendorfer Gasthaus, „ganz tolle Leute, die uns sehr viel helfen“, freut sich Hermine Hellbeck. Ganz nebenbei ist die Afterschool auch ein Ort, an dem man andere wichtige Dinge fürs Leben lernt: Ordnung, Sauberkeit, Benehmen, oder etwas schön machen. Gemeinsam wurden Blumen vors Haus und sogar an die Brücke im Dorf gepflanzt, Müll auf der Straße gesammelt, ein Spielplatz angelegt, denn „ich wollte auch etwas für die Kinder tun, die noch nicht in die Afterschool kommen“, sagt Hellbeck. Nichts wurde bisher verwüstet oder gestohlen, trotz gegenteiliger Unkenrufe. „Und wenn die Leute sehen, wie wir mit den Kindern bei 38 Grad Müll einsammeln, dann überlegen die schon auch selbst irgendwann...“. 

Motivierend für Eltern und Kinder waren auch Sachspenden für regelmäßige Schulbesucher: Schuhe und Jacken, Schulsachen, Weihnachtsgeschenke – „aber ich glaube, das müssten wir gar nicht mehr machen, inzwischen kommen schon Vorschul- und Kindergartenkinder und sagen, wenn ich groß bin, will ich auch in die Afterschool.“

Die Einheimischen, aber auch die Siebenbürger Sachsen, beäugten ihre Bemühungen anfangs skeptisch. Aber auch die Eltern dachten wohl misstrauisch: Warum macht die das? Hellbeck lacht ihr glöckchenhelles Lachen. „Heute fragt das niemand mehr. Wenn ich durchs Dorf gehe, denken die Leute: Die macht das einfach gerne!“

Schnell Online-Unterricht und „so tolle Noten!“

Nie hat Hermine Hellbeck daran gedacht, einen Verein zu gründen. Spenden kamen von Freuden, der Rest wurde aus eigenen Mitteln aufgestockt. Drei Jahre lang verbrachte die Assistentin der Geschäftsleitung in einem großen Konzern ihre gesamten Ferien und Feiertage bei der Mutter in Meschendorf, unterstützt vom Ehemann. 

Im ersten Jahr nahmen sie zur Orientierung Kontakt mit der Schule auf: Woran fehlt es? Wo stehen die Kinder? Eine Lehrerin wurde ins Afterschool-Programm eingebunden, leistete Überzeugungsarbeit bei den Eltern, fuhr von Familie zu Familie, um während des Lockdowns Laptops und Tablets auszuliefern. „Da ist Rumänien ja weiter als wir in Deutschland“, lacht Hermine Hellbeck auf. „Die Lehrerin hat die Laptops von mir am Freitag bekommen, Samstag, Sonntag ist sie rumgefahren und hat sie den Kindern erklärt und am Montag hatten sie Online-Unterricht! Da diskutierten die bei uns in Deutschland noch ein Jahr später, wie man Online-Schule macht...“ „Und jeder Laptop ist unversehrt zurückgekommen nach Corona“, fügt sie an. „Mit denen machen wir jetzt andere Sachen.“ Online-Unterricht in Deutsch zum Beispiel, jeden Donnerstag seit drei Jahren. „Das macht eine deutsche Lehrerin, eine Freundin von mir, ehrenamtlich.“

Die Afterschool besuchen jetzt regelmäßig 14 bis 15 Kinder. Inzwischen haben die Hellbecks in Wuppertal einen Verein gegründet: Meschendorfs Kinder e.V. Auch, um Spendenquittungen ausstellen oder eine Lehrerin anstellen zu können, denn der Schullehrerin wurde die Doppelbelastung bald zu viel. Den täglichen Unterricht gestalten jetzt Hermine Antoni und Loredana Stoian, aber auch Hermine Hellbeck macht „selbst ganz viel mit den Kindern“. 

Inzwischen gehen alle Grundschulkinder bis auf eines zur Schule - und ihre Fortschritte können sich sehen lassen. Die meisten haben „so tolle Noten“, viele sind auf den weiterführenden Schulen, die sie inzwischen besuchen, sogar Klassenbeste. „Ich dachte immer, das sei ein langfristiges Projekt“, bekennt Hellbeck und erzählt von den Schwierigkeiten des Anfangs: verschüchterte Kinder, motorische Schwierigkeiten, skeptische Eltern. Der Erfolg kam viel früher als gedacht: „Man sieht den Fortschritt fast sofort und ich hab die Kinder schon nach einem Jahr so ins Herz geschlossen, dass ich dachte: Toll, da machen wir mal weiter!“

Ferienprogramme fürs Leben

Um den Bildungsstand anfangs überhaupt einschätzen zu können, organisierte Hermine Hellbeck im ersten Sommer mit einer Lehrerin aus Deutschland ein Ferien-Freizeitprogramm für Kinder im Vor- und Grundschulalter. „Es gibt Kinder, die sollten in die achte, neunte Klasse gehen, waren aber nie auf der Schule, für die kann ich nichts mehr machen“, erklärt sie. Anfangs dachte sie oft frustriert: „Mein Gott, wo sollen wir anfangen?“ Erzählt von Problemkindern ohne Diagnose, „die müsste ja erst mal ein Arzt stellen“, von einem Jungen, „der sollte längst in die zweite Klasse gehen, doch die Mutter ließ ihn zuhause, weil er die ganze Zeit nur schrie.“ Nach ein paar Tagen im Ferienprogramm gewöhnten sich die Kinder an ihn und er wurde ruhiger. Schnell merkte sie, dass der Junge teilweise sogar mehr konnte als seine Altersgenossen und sagte der Mutter, „der kann getrost in die Schule – und dann ist er wirklich zur Schule gegangen!“ 

In den Ferienprogrammen geht es um mehr als Lernen: Auf Ausflügen – zum Dino-Park oder in Kirchenburgen, auf Wanderungen und bei kreativen Tätigkeiten wie Musik, Tanz , Basteln oder Malen werden die Kinder mit Kultur konfrontiert und lernen, wie man sich benimmt. Begeistert erzählt Hermine Hellbeck von einem Besuch im Gasthaus Meschendorf, wo die Kinder zum Büffet eingeladen waren. „Das kannten sie noch nicht und sie haben sich nur Besteck geholt und sich hingesetzt, ich musste ihnen zeigen, wie das geht“. Auf der Haferlandwoche – Meschendorfs Kinder e.V. war der offizielle Partner - verkauften die Kleinen dieses Jahr an einem Stand selbstgemachte Souvenirs: bemalte Steine, Naturmaterialien, Holzlöffel. Im letzten Jahr hatten sie einen Tanz aufgeführt. Und: „Viele Eltern waren heute da, die hätten sich früher nie in den Kirchhof gewagt“, freut sich Hellbeck, „und die Siebenbürger Sachsen akzeptieren das jetzt auch.“

Auch sie selbst hat aus ihrem Projekt viel gelernt. „Wenn alle sagen, das funktioniert nicht, und vor ‘den Zigeunern’ warnen - dann denke ich, ihr habt es vielleicht einfach noch nicht probiert!“ Und: „Das klappt so toll mit dem Haus meiner Großeltern - aber alle haben mich für verrückt erklärt.“ Die Blumen, die Fußballtore, der Spielplatz...  alles bis heute unversehrt: „Ich sagte immer, lasst es uns doch probieren, es ist ja kein großes Risiko.“ Weder die Kinder noch die Eltern hätten sie je enttäuscht, lächelt Hermine Hellbeck. 

„Und ich selbst hab einen ganz anderen Bezug zu materiellen Dingen bekommen“: Denn wenn sie sich heute etwas kaufen will, überlegt sie vorher, ob sie mit dem Geld nicht lieber mit den Kindern einen schönen Ausflug unternimmt.