Mehr als Musik: eine Chronik der Zeit

Dokumentarfilm „Pro Musica: Vreme trece, vreme vine“ feierte Premiere

Ilie Stepan – der Gründer und Leiter von Pro Musica Foto: Andreea Oance

Pro Musica im Jahr 1980: (v.l.n.r.) Nick Krakovszki, Erwin Țarfulea, Dietrich (Dixie) Krauser, Ilie Stepan (Foto von Mihail Ionașiu-Rebreanu, aus dem persönlichen Archiv von Ilie Stepan) Quelle: Wikipedia

Voll gefüllt war die Timiș-Kinobühne am Mittwochabend, als nach der Premierenvorführung des Dokumentarfilms viele derjenigen, die zum Ablauf der Produktion beigetragen hatten, vor das Publikum traten. Foto: Alin Zelenco


52 Jahre Temeswarer Musikgeschichte in knapp hundert Minuten zusammengefasst: Das schaffte der Temeswarer Regisseur Gheorghe Șfaițer, der mehr als nur einen Film über eine Band und ihre Musik gedreht hat, er erstellte einen Film über ein Werdegang, eine enge Freundschaft und den wahren Geist einer Stadt. Der Dokumentarfilm „Pro Musica: Vreme trece, vreme vine“ (Deutsch: „Pro Musica: Die Zeit vergeht, die Zeit kommt“) feierte am 25. Juni Premiere. 
Die über 500 Plätze des Timiș-Kinos am Opernplatz von Temeswar/Timișoara waren vollbesetzt. Dort fanden Zuschauer unterschiedlichen Alters Zuflucht vor der Hitze, die kurz vor dem Filmstart über einen Sommerregen etwas abkühlte. Es war eine Premiere unter Freunden und Familie, mit den Mitgliedern der Band Pro Musica, dem Regisseuren, den Protagonisten, der Filmcrew hinter der Kamera. Ein hundertprozentig Temeswarer Film mit wenig Drehbudget – so beschrieb Gheorghe Șfaițer seinen Film zur Bühnengeschichte der Temeswarer Band vor der Premiere. 

2023 kündigte Ilie Stepan an, mit der Arbeit an einem „künstlerisch-musikalischen Dokumentarfilm mit dokudramatischen Elementen“ zu beginnen. Der damalige vorläufige Titel „Pro Musica 5.0“ gab Neugierigen einen Vorgeschmack auf das Kommende: die wahre und leicht fiktionalisierte Geschichte der legendären Band um Stepan. Der Film basiert auf den Geständnissen der wichtigsten Mitglieder der Gruppe, ergänzt durch theatralische Rekonstruktionen mit Temeswarer Schauspielern, Aussagen von Musikern, die sich im Laufe der Zeit der Gruppe anschlossen haben, aber auch Meinungen von Menschen, die auf die eine oder andere Weise mit Pro Musica verbunden waren. Das Resultat: Ein Leben, in einem Film zusammengefasst, der sich nun vor den eigenen Augen des Bandmitglieder als auch vor den Augen vieler Zeitzeugen des musikalischen Phänomens, abspielt. 

Nun, nach zwei Jahren Arbeit und einer lebenslangen Freundschaft mit den Gründungsmitgliedern der Band Ilie Stepan und Doru Eugen Iosif (Castravete) konnte Gheorghe (Gelu) Șfaițer das Endprodukt der Kinofassung vorstellen. „Bisher wurden unsere Erlebnisse allein in Feuilletons geschrieben. Dieser Film ist nun wie ein Roman, der nun alle unsere Geschichten beinhaltet“, sagte Eugen Doru Iosif kurz vor der Premiere der ADZ gegenüber. 

Ein Soundtrack für Generationen

Das Doku-Drama zeigt die wichtigsten Momente der Bandgeschichte: wie zwei Teenager aus Temeswar die Idee einer Band Namens „Pro Musica“ hatten, wie es zur Gründung und zur Mitglieder- und Musikauswahl kam, welchen Herausforderungen sie im Kommunismus begegneten, welche Premieren die Band im Laufe der Zeit markierte, wie der Ablauf nach der Wende war und letztendlich was nun fünf Jahrzehnte danach folgen wird. Zu den bittersüßen Geschichten zählt auch die Rekonstruktion der Anhörung vor dem Kulturausschuss, als die Rock-Barock-Oper-Show in den 80er Jahren elf Mal vor der Kommission vorgeführt werden musste, bevor sie letztendlich doch verboten wurde. Der Film ist eine Chronik der Stadt und der Zeit, im wahrsten Sinne des Wortes. Er zeigt auch, wie Ilie Stepan vom Balkon der Oper am 20. Dezember 1989 das später zur offiziellen Staatshymne gewordene Lied „Deșteaptă-te, române!“ vor dem Menschenmeer auf dem Opernplatz ertönen ließ oder wie die Revolutionshymne kurz darauf auf Musik von Ilie Stepan und Text von Marian Odangiu entstanden ist. Die Komposition entstand zwischen dem 20. und 27. Dezember 1989 und wurde am 8. Januar 1990 im Studio von TVR Timișoara aufgenommen.

Rock, Freundschaft und Widerstand

„Es war alles andere als einfach, diesen Film zu drehen. Zur kommunistischen Diktatur, die 1989 angeblich abgeschafft worden war, gesellte sich die Finanzdiktatur, die oft so brutal und pervers ist wie die Kameraden im Film. Am Ende ist der Film doch gedreht worden. Ich möchte nicht nur in Gedanken, sondern auch in Worten all jenen danken, die uns in den 52 Jahren unseres Bestehens bisher geholfen haben, und es gab viele, viele, die uns im Laufe unserer Karriere auf die eine oder andere Weise unterstützt haben. Wir denken auch mit den gleichen Gefühlen an diejenigen, die nicht mehr unter uns sind, und es sind leider viele“, sagte der Bandleader Ilie Stepan sichtlich bewegt, als er nach minutenlangen Applaus beim Abschluss der Filmvorführung auf die Bühne stieg. Ihm folgten Gheorghe [fai]er und Doru Eugen Iosif sowie weitere anwesenden Bandmitglieder von gestern und heute, Protagonisten, Schauspieler und viele andere, die zur Verwirklichung des Dokumentarfilmes beitrugen. 

„Pro Musica – Vreme trece, vreme vine“ ist eine Liebeserklärung an Musik, Freundschaft und die Stadt, die sie erlebte. Die Anfang der 70er Jahre in Temeswar gegründete Band Pro Musica feierte ihr Debütkonzert am 15. Januar 1973 im Pädagogischen Lyzeum. Ihre Musik – zuerst mit Folkinterpretationen auf Versen klassischer Dichter wie Eminescu, Bacovia, Alecsandri dann Folk-Progressive und Rock – wurde zum Soundtrack von Temeswar, in einer Zeit, in der Musik die Hoffnungen einer ganzen Generation trug. Kurz vor dem Abschluss des Filmes wurden Bilder aus dem neuesten Musikvideo der Band gezeigt. „AnteApocalipsa | Rug˛ciunea unui rocker“ ist das neueste Lied von Pro Musica, ein Rocksong mit sozialer Botschaft, komponiert von Ilie Stepan. Das Lied wurde genau am 15. Januar, 52 Jahre nach dem ersten Konzert der Band, veröffentlicht. 

Pro Musica als sozialer Pionier

Im Laufe der Zeit war Pro Musica ein Vorreiter durch verschiedene kulturelle Projekte mit starker sozialer Wirkung: 1980 veranstaltete die Band das erste Rockkonzert in einer psychiatrischen Klinik in Rumänien, in Jebel, etwa 25 Kilometer von Temeswar entfernt. Die Veranstaltung war mehr als nur ein Konzert: Sie war Teil eines Pilotversuchs in Zusammenarbeit mit dem Psychiater Dr. Florin Gâldău. „Nach zwei oder drei Aufwärmliedern tanzten die Patienten mit den Soldaten, die über den Zaun der nahegelegenen Militäreinheit gesprungen und ebenfalls zum Konzert gekommen waren“, sagt Ilie Stepan im Film. 25 Jahre später war Pro Musica die Band, die das erste Rockkonzert in einem Gefängnis hielt. Am 7. Mai 2015 gab Pro Musica im Hof der Vollzugsanstalt „Popa Șapcă“ in Temeswar das erste Rockkonzert dieser Art in Rumänien und sogar in Osteuropa. Das Publikum bestand aus etwa 200–250 Häftlingen, offiziellen Gästen und einem kompletten technischen Team (Konzertbühne, Technik, Leinwände). Das Konzert wurde als bedeutende soziokulturelle Veranstaltung gewürdigt und von der Veröffentlichung der DVD „41 – Live in Penitenciar“ begleitet.

Für all ihre Errungenschaften wurde die Temeswarer Band im Laufe der Jahre gewürdigt. Der Orden für kulturelle Verdienste im Rang eines Ritters, Kategorie B – „Musik“, wurde der Band Pro Musica durch die Unterschrift von Präsident Klaus Iohannis anlässlich des Internationalen Tags der Musik und des 50. Jahrestages ihres Debüts (15. Januar 1973) im Jahr 2023 verliehen. Im Rahmen derselben Zeremonie erhielt Ilie Stepan, Gitarrist und Mitbegründer der Band, den Orden für kulturelle Verdienste im Rang eines Ritters, Kategorie D – „Darstellende Kunst“.

Ilie Stepan wurde 2012 zum Ehrenbürger von Temeswar. Im Januar 2024, am Nationalen Kulturtag, wurden auch weitere ehemalige und aktuelle Mitglieder von Pro Musica im Rahmen einer Zeremonie in der Banater Philharmonie mit dem Titel „Ehrenbürger von Temeswar“ ausgezeichnet. Zu den damals Geehrten gehören Vasile Dolga (post mortem), Grigore-Bujor Hariga, Dorel-Eugen Iosif Titz, Marian Odangiu, Doru Apreotesei, Dietrich Krauser, Mario Florescu und Horea Silvio Crișovan. Die Revolutionshymne, das Lied „Timișoara“ – eine Eigenkreation von Pro Musica, mit Text von Marian Odangiu – wurde am 18. Dezember 2015 durch Beschluss des Gemeinderats zur offiziellen Hymne der Stadt Temeswar ernannt.