Mehr Schutz für Frauen auf der Flucht nötig

Frauen droht in Kriegen und auf der Flucht sexualisierte Gewalt, Ausbeutung und Versklavung

Vor allem Frauen und Kinder fliehen derzeit aus der Ukraine, da Männern im wehrfähigen Alter die Flucht untersagt ist. Neben vielen Berichten zu großer Hilfsbereitschaft der Durchreise- und Aufnahmeländer mischen sich daher Warnungen: Frauen auf der Flucht sind immer in Gefahr von sexualisierter Gewalt, Ausbeutung und Menschenhandel – auch diejenigen aus der Ukraine.

Genaueres darüber weiß Maria Noichl: Die bayrische SPD-Politikerin ist Abgeordnete des Europäischen Parlaments, wo sie unter anderem im Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter tätig ist. Im Podcast „Europa heute“ des Deutschlandfunks (Ausgabe 16. März) erzählt sie, wie die Gefahr für Frauen und Kinder bekämpft werden kann.

Vergewaltigung: „Schatten des Krieges“

Auch wenn es zum derzeitigen Konflikt in der Ukraine noch keine diesbezüglichen Informationen gibt, warnt Noichl: „Wir wissen das von zahlreichen anderen Konflikten, dass Krieg immer, und zwar wirklich immer, den Schatten der Vergewaltigung, den des sexuellen Missbrauchs, der körperlichen Übergriffe oder auch der seelischen Übergriffe auf Frauen schlicht und einfach mit sich bringt.“

In Kriegssituationen sind Frauen nicht geschützt vor Übergriffen durch Soldaten oder andere Männer – aber sexualisierte Gewalt wird in Konflikten auch systematsich als Kriegsmittel eingesetzt und gilt seit 2008 laut Vereinten Nationen als Kriegsverbrechen.

Gefahren im Aufnahmeland

„Manche denken Krieg anders wie wir – dass da welche kommen, die schutzlos sind, die arm sind,  da kann man zugreifen“ – erzählt Noichl und nennt als Beispiel Online-Foren für Freier in Deutschland, die sich dort seit Beginn der Invasion auf „Frischfleisch aus der Ukraine“ freuen. Tatsächlich gäbe es auch zunehmend Berichte, etwa auch von der Gewerkschaft der deutschen Polizei, dass Frauen an Bahnhöfen gezielt angesprochen würden – „mit der Absicht, sie illegal zu beschäftigen, im Bereich der Prostitution, aber auch in der Pflege oder Reinigungsbranche“.

Frauen mit Kindern sind insbesondere dadurch gefährdet, dass sie für deren Schutz „oft so gut wie alles tun oder tun müssen“, sagt Noichl. Geflüchtete Frauen können in ihrer Not nicht auf bewährte Strukturen zurückgreifen, ihre Nachbarschaften, Familien, Freundschaften sind weggebrochen. Ohne Sprachkenntnisse in einem fremden Land ist es schwer zu entscheiden, wem man vertraut. Menschen aus vielen Ländern trauen der Polizei aus Erfahrung nicht – was Täter auszunutzen wissen.

Wie könnte effektiver Schutz für geflüchtete Frauen aussehen?

Noichl sieht drei Gruppen, die Aufklärung brauchen: Die potentiellen Opfer müssten in ihrer eigenen Sprache angesprochen werden – etwa durch Durchsagen am Bahnhof, wenn ein Zug ankommt. Auch Helferinnen und Helfer müssten Bescheid wissen: Denn für sie sei es verlockend, wenn jemand eine Unterkunft anbietet – dann zu denken: Zumindest hat sie heute Nacht einen guten Schlafplatz. Hier sieht Noichl NGOs in der Pflicht, Ehrenamtliche zu sensibilisieren.
Aber auch die Täter dürften nicht aus dem Blick gelassen werden: „Wer als Kriegsgewinnler, ich möcht’s mal so bezeichnen, meint, die Not anderer ausnutzen zu können, muss härter bestraft werden.“ Es müsse deutlich gemacht werden, dass ein Übergriff auf besonders schutzwürdige Menschen besonders hart bestraft wird. Und zwar nicht nur bei sexuellen Übergriffen, sondern  immer, wenn die Not der Flüchtlinge ausgenutzt wird – also auch bei überhöhten Mieten oder Ausbeutung der Arbeitskraft.

10.000 verlorene Kinder

Zum Schluss erinnert Noichl da-ran, dass nicht mehr dieselben Fehler passieren dürften wie bei der Flüchtlingskrise 2015 im Zuge des Syrienkrieges, als Tausende Kinder „verloren gingen“: Im Januar 2016 meldete Europol, dass von etwa 10.000 Kindern, die in den zurückliegenden 18 bis 24 Monaten in die Europäische Union eingereist waren, inzwischen jede Spur fehle.

Europol bezeichnete dies als zurückhaltende Schätzung. Wie viele dieser Kinder bei Verwandten gelandet sind, wie viele ausgebeutet werden und wie viele überhaupt noch am Leben sind, ist unbekannt. Noichl warnt: „Das darf uns nie wieder passieren.“

Der Podcast mit Maria Noichl kann angehört werden unter: deutschlandfunk.de/europa-heute


In einem offenen Brief fordern über 40 NGOs die EU auf, die Arbeit von Frauenrechtsorganisationen und Schutzstellen zu unterstützen und auszuweiten.

„Krieg und damit einhergehend Vertreibung und Flucht bedeuten für Frauen und Mädchen immer die Bedrohung durch sexualisierte Gewalt, die weltweit ein Phänomen aller bewaffneten Konflikte ist.“

Sexualisierte Gewalt als Waffe
Dazu zählen Vergewaltigung, Gruppenvergewaltigung, Formen sexualisierter Folter und sexuelle Versklavung. Opfer leiden nicht nur unter den direkten Auswirkungen der Gewalt, sie werden häufig auch dafür stigmatisiert, bis zum sozialen Ausschluss. So werden Gemeinschaften zerrüttet – was diese schwächer, die Täter stärker macht.

Die Vereinten Nationen beschlossen daher im Juni 2008 die Resolution 1820, mit der der UN-Sicherheitsrat feststellte, „dass Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder eine die Tatbestandsmerkmale des Völkermords erfüllende Handlung darstellen können“.