Mit Herzblut und viel Humor

Beatrice Ungar: „Ich werde großjährig in diesem Jahr!“

Auf der Jubiläumsfeier: HZ-Chefredakteurin Beatrice Ungar (links) mit Konsulin Kerstin Ursula Jahn vor dem Gästebuch Fotos: Laura Micu

Fünfundfünzig Schoko-Herzen bekam sie von der deutschen Konsulin zum 55. Zeitungsjubiläum. Und alle Herzen flogen ihr zu am letzten Februarsamstag im brechendvollen Spiegelsaal des Forumshauses. So manche Anekdote wurde zum Besten gegeben: Etwa, dass man sich in der Redaktion ab 1971 mit „Guten Morgen, liebe Wöchner und Wöchnerinnen“ begrüßte, nachdem die Hermannstädter Zeitung (HZ) in „Die Woche“ umgetauft werden musste, deutsche Ortsbezeichnungen waren unter Ceau{escu fortan verboten. Glückwünsche, Lobreden, Interviews... die umtriebige Hauptperson kommt nicht zum Verschnaufen. Doch Sitzfleisch hat sie sowieso keins: Egal, wo man sie trifft, ob vor der Kirche oder beim Sachsentreffen, bekommt man im Laufschritt und mit einem Scherz auf den Lippen – wusch! - eine Zeitung in die Hand gedrückt. So kennt die Welt Beatrice Ungar, Chefredakteurin der HZ.

Die Welt? Nun ja, eigentlich schon, denn man höre und staune: Das wenige Seiten starke Wochenblättchen mit der neidischmachenden Druckqualität schafft es - zumindest als PDF - auch bis nach Brasilien, Paraguay oder Kanada. So manche treue Leserschaft begann damit, dass die Chefredakteurin dem ausländischen, des Deutschen mächtigen Gast ihr Herzensprodukt – HZ stehe für „Zeitung mit Herz“, heißt es in einer der Jubiläumsreden - unter dem Türspalt seiner Unterkunft durchschob...

Es gibt Werbeträger wie HZ-Trikots, Tragetaschen  und sogar ein Buch: „Zwischen Pflicht und Kür“ von Anna Galon, Diplomarbeit einer früheren Praktikantin, verrät Beatrice Ungar. Dem Werk kann man entnehmen, dass sich die HZ-Redaktion nach der Wende „mit aller Kraft“ gegen den „Fusionsdruck“ wehrte, um nicht wie die Banater Zeitung oder die Karpatenrundschau als „Zeitung in der Zeitung“ in der 1993 aus dem „Neuen Weg“ hervorgegangenen ADZ zu landen... 

Ansonsten aber ähneln sich die Geschichten der Schwesterzeitungen: von den Einschränkungen im Kommunismus bis zur Wende, dem Exodus der deutschen Minderheit, den abnehmenden Leserzahlen, Finanzierungsproblemen und Neuorientierung beim Werben um deutschsprachige Leser. Eine Auflage von 9000 Exemplaren hatte die HZ vor der Wende, als noch rund 80.000 Sachsen in Hermannstadt lebten, heute liegt sie um die 2000. Ähnlich wohl auch der Spagat beim Erfüllen der Leserwünsche zwischen Alt und Jung: Als vielleicht betagtester HZ-Abonnent outet sich der 91-jährige ehemalige Chefredakteur Ewalt Zweyer. Gleichzeitig muss man sich um den Nachwuchs kümmern: Seit Kurzem gibt es daher die monatliche Jugendbeilage „Fredi“, vertreten durch eine sympathische Fledermaus, mit der auch die Eltern als potenzielle Leser angesprochen werden sollen. Wortspiele, Rätsel und Basteleien - alles auf Deutsch: Zielgruppe sind die Schüler der deutschen Schulen, die gerne auch mal in der Redaktion vorbeikommen dürfen, „zugucken, wie eine Zeitung entsteht und uns Redakteure interviewen“, erzählt Beatrice Ungar. 

Das Zeitungmachen im Blut

Seit 35 Jahren ist sie bei der HZ angestellt, sei 18 Jahren Chefredakteurin, gewählt von der Stiftung, die die Zeitung heute finanziert – „für mich überraschend“, gesteht sie, „ich bin ja nicht so die geborene Chefin…“. Doch ihre inoffizielle „Pressekarriere“ fing schon in der elften Klasse der Brukenthalschule an. Damals schrieb und gestaltete sie sechs Tage die Woche alleine eine Klassenzeitung, ein Einzelexemplar auf einem Mathe-Doppelblatt, das heimlich von Hand zu Hand ging. Titel: „We are the Schofels“. „Als Verballhornung von Schafe!“, lacht sie. „Mit Karikaturen, Wortspielen, einer ‚Aufgespießt‘-Rubrik - nichts Politisches, aber manchmal auch über die Lehrer... Wir hatten immer Schiss, dass die das erwischen.“ Einmal gelangte das zerlesene Blatt tatsächlich in die Hände des Lateinprofessors. „Das war Volker Hermann, ein cooler Lehrer. Der sagte, er verpetzt uns nicht, wenn er das vorher immer lesen darf.“ 

Leider seien ihr die gesammelten Exemplare ab-handen gekommen, als sie sie in den 1990er Jahren zu einem Klassentreffen, an dem sie selbst nicht teilnehmen konnte, nach Deutschland schickte: angekommen – und dann spurlos verschwunden. Kleiner Wink mit dem Zaunpfahl: Es wäre sicher ein kolossales Jubiläumsgeschenk, wenn die verschollenen „Prototypen“ der HZ den Weg zurück zu ihrer Urheberin fänden...

„Ich hab gelernt wie eine Geisteskranke“

Die Freude am Lesen und Schreiben war Beatrice Ungar in die Wiege gelegt: Die Großeltern väterlicherseits waren beide Lehrer, der Großvater hatte die deutsche Abteilung des Theaters mit aus der Wiege gehoben, selbst gespielt und Stücke geschrieben, der Vater als Direktor Buchhandlungen betreut und war Mitglied im Schriftstellerverband. „In so einem Haus war man daran gewöhnt, dass man Zeitung liest“, bemerkt sie lakonisch.

Obwohl sie schon während der Schulzeit gelegentlich für die Zeitung schrieb, studierte sie Germanistik, um Lehrerin zu werden - und bemühte sich nach Kräften, die Jahrgangsbeste zu sein, weil man sich dann den Einsatzort aussuchen konnte. „Ich hab gelernt wie eine Geisteskranke, nur um hierbleiben zu können!“, lacht die Hermannstädterin. Alle anderen Absolventen wurden für drei Jahre irgendwo im Land verteilt. 

Beatrice ergatterte die einzige freie Lehrerstelle im Kreis – in Pretai/Brateiu, „wo die Roma heute ihre Kessel verkaufen“. Deutsch und Rumänisch sollte sie unterrichten, aber „es gab ja kaum noch Deutsche dort, ein Teil der Siebenbürger Sachsen war ausgewandert, ein Teil in die Stadt gezogen, 1986 wurde die deutsche Abteilung ganz geschlossen“. So lehrte sie schließlich „alles außer Mathe, Chemie und Physik. Ich hab sogar einen Chor gegründet, damit die Roma-Kinder motiviert sind, zur Schule zu kommen.“
Auch in dieser Zeit hatte sie immer wieder gelegentlich für die Zeitung geschrieben: „Jugendsachen, über Feste - das Kronenfest oder den Blasi, ein Ball für Kinder.“ Und es gab Vorgaben: „Man durfte den Pfarrer und die Kirche nicht so nennen, das war dann der Herr Türk, nicht der Pfarrer Türk...“

Am 1. März 1988 wurde sie schließlich per Sondergenehmigung der Schulbehörde noch vor Ende des Schuljahrs freigestellt, um bei  „Die Woche“ als Redakteurin anfangen zu können. „Da waren viele Deutsche schon ausgewandert und die Zeitung hatte gerade einen Redakteur bekommen, der zwar Rudolf Kammler hieß, aber kein Wort Deutsch konnte“, grinst sie. „Der durfte dann für die rumänische Zeitung Tribuna schreiben und der damalige Chefredakteur, Georg Scherer, hat sich für meine Einstellung mächtig ins Zeug gelegt.“
Ceau{escu und „der Hahn auf dem Mist“

So richtig Zensur gab es in den 80er Jahren nicht mehr, erinnert sich Beatrice Ungar. Auch konnte man als deutsche Zeitung viel mehr schreiben als die rumänischen Blätter. „Die Rumänen, die sich davon ein Bild machen konnten, waren auch neidisch, was wir Deutschen alles an Büchern veröffentlicht haben“, erinnert sie sich. Autoren wie Herta Müller etwa – „das ging auf rumänisch gar nicht, es gab keine Nachfrage, die Verlage hätten sich das nie getraut. Aber mein Vater hat schon 1982 tausend Stück von ihren ‚Niederungen‘ bestellt...“.
Neben Lokalnachrichten und Reportagen über Veranstaltungen der deutschen Minderheit „klaute“ man auch Infos aus ostdeutschen Medien, „über Musikgruppen aus Amerika oder Milli Vanilli, manchmal sogar aus der Bravo, das hat die Leser interessiert“. Ansonsten musste man übersetzen, was über Ceau{escu hereinkam, „die Korrekturfahnen lesen und schauen, dass nur ja nichts fehlt.“ Wenn man Pech hatte, füllte das die  Zeitung. Für die eigenen Themen musste der Chef am Mittwoch bei der Partei ansuchen und am Freitag erneut geradestehen.

Angeeckt ist sie als Redakteurin nur einmal – ausgerechnet wegen eines Interviews über den Meteorologentag am 23. März. Ihr Artikel erschien am Folgetag auf Seite 4 unter der Schlagzeile „Gott sei Dank kräht der Hahn auf dem Mist“. Und ausgerechnet auf der Titelseite derselben Ausgabe war ein Foto von einem Kurzbesuch von Ceau{escu... „Sein Sohn, ein großer Kreisparteibonze, hat ihm bei der Zwischenlandung am Flughafen kurz die Hand gedrückt, dann war er wieder weg. Aber das Foto landete auf der ersten Seite und irgendein Sachse hat mich bei der Partei angeschwärzt, er meinte, ich beziehe mich mit dem Spruch mit dem Hahn auf die beiden...  So wie bei Ana Blandiana und dem Kater Arpagic, ein Kinderbuch, da hieß es auch, das sei politisch.“ Prompt wurde sie von der Partei einbestellt. Chefredakteur Scherer aber bestand darauf, selbst hinzugehen. Erst nach der Wende erzählt er ihr, was er dort zu ihrer Entlastung vorgebracht hatte: Der Spruch mit dem Hahn auf dem Mist sei doch viel älter als die beiden Herren auf der ersten Seite!

„Alles ist (un)möglich“

An die Revolution erinnert sich Beatrice Ungar: „Wir hätten am 22. Dezember erscheinen müssen, haben aber die Ceau{escu-Rede nicht übersetzt bekommen... Das war ein Grund, nicht zu erscheinen.“ 

„Mit der ersten freien Ausgabe der (nun wieder) Hermannstädter Zeitung am 26. Dezember sind wir dann unter Beschuss zur Druckerei gefahren, unten am Zibin entlang.“ Kopfschütteln: „Das war nicht lustig, aber wir waren damals wohl auch nicht ganz dicht...“ Auch die Nacht, in der Ceau{escu erschossen wurde, ist ihr im Gedächtnis geblieben: „Ein verrückter Kollege vom Fernsehen ist zu uns gefahren - tief im Sitz versunken, es wurde ja geschossen -, den Fernseher auf dem Beifahrersitz,so haben wir das auch gesehen. Ich bin dann als letzte bis 6 Uhr morgens geblieben, bis die Zeitung fertig war.“

Freiheit – doch von heute auf morgen war die Finanzierung der Zeitung weggebrochen. Es mangelte an Papier – die rumänische Tribuna konnte bis 1994 helfen. „Mit dem Gehalt mussten wir immer schauen, wer zuständig war, mal das Innenministerium, mal das Justizministerium, das Kulturministerium...“ Schließlich wurde zur Finanzierung eine Stiftung gegründet - „das Startkapital dafür war das Privatauto des Chefredakteurs“.

Vieles hat sich seither geändert. 1992: Zwei Wochen Gastredakteurin bei einer kleinen Tageszeitung in Klagenfurt. 1998: Die Bundestagswahlen in der FAZ-Redaktion miterlebt. Die Zeitung endlich frei gestalten! „Aber aufpassen muss man schon bei Veränderungen“, erzählt sie lachend von einem zweiseitigen, wütenden Leserbrief über die angeblich fehlende Wettersprognose. Dabei war sie nur von der ersten auf die zweite Seite verlegt worden. „Unsere Antwort bestand aus einem einzigen Wort: Umblättern!“  

2005 wurde sie Chefredakteurin: „Ich werde großjährig in diesem Jahr!“, scherzt sie, als sie die Jahre nachzählt. Seither leistet sie sich eine eigene Glosse, die ihr auf den Leib geschrieben ist: „Alles ist (un)möglich“.