Noch ein langer Weg

23 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands ist der Angleichungsprozess von Ost und West noch immer nicht abgeschlossen

Symbolfoto: sxc.hu

Wie sieht es in Deutschland 23 Jahre nach der Wiedervereinigung aus? Konnte der Osten zum Westen aufschließen? Wie steht es um die Abwanderung der jungen Bevölkerungsgruppen von den neuen in die alten Bundesländer? All diese Fragen behandelt der vom Bundesministerium für Inneres herausgegebene „Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit“. In ihm wird deutlich, dass es bis zur vollständigen Angleichung von Ost und West noch ein langer Weg ist.

Produktivität im Osten hinkt noch immer hinterher

Der alljährlich erscheinende Bericht zeigt vor allem, dass Ostdeutschland es noch nicht geschafft hat, zu Westdeutschland aufzuschließen. Noch immer liegen die Wachstumsraten der neuen Bundesländer unter dem Bundesdurchschnitt, die Produktivität liegt bei knapp 80 Prozent des Niveaus der westdeutschen Wirtschaft. Die Ursache dafür liegt vor allem in den großen strukturellen Unterschieden: Im Osten ist die Wirtschaft eher durch kleine und mittelständische Unternehmen geprägt, verhältnismäßig wenige Großunternehmen lassen sich hier nieder und auch Konzernzentralen findet man eher selten. Hinzu kommt, dass im Gegensatz zu Westdeutschland  Internationalisierung und Exportorientierung der Unternehmen verhältnismäßig gering sind.

All diese Faktoren wirken sich wiederum negativ auf die Einkommensentwicklung aus. Bis heute besteht eine erhebliche Kluft zwischen ost- und westdeutschen Löhnen. Haushalte in den neuen Bundesländern müssen, laut dem Bericht des Innenministeriums, im Durchschnitt mit gut drei Viertel des westdeutschen Einkommens auskommen. Auch die Höhe der Rente wird in den neuen Bundesländern noch immer als unbefriedigend empfunden. Allerdings sind die Lebenshaltungskosten im Osten Deutschlands etwas geringer als im Westen. Im Gegensatz zu den alten Bundesländern sind die geschlechterspezifischen Lohnunterschiede im Osten geringer ausgeprägt. Während Frauen im Westen bei gleicher Arbeit im Schnitt ein Viertel weniger verdienen als Männer, beträgt der Unterschied in den neuen Bundesländern lediglich 6 Prozent.

Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt

Auch wenn die neuen Bundesländer den alten in der Wirtschaft noch immer hinterherhinken, so ist Besserung in Sicht. Die Arbeitslosenquote im Osten ist im August diesen Jahres mit 9,9 Prozent auf ein historisches Tief gesunken und die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften ist weiterhin hoch. Dennoch muss zwischen den Regionen differenziert werden. Zwar können manche ostdeutsche Bundesländer eine niedrigere Arbeitslosenzahl aufweisen als manche der westdeutschen Bundesländer. Dennoch gibt es große Unterschiede zwischen den verschiedenen Städten und Regionen Ostdeutschlands.

Zudem steht der Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern vor einer enormen Schwierigkeit: Noch immer wandert ein Teil der jungen Bevölkerung gen Westen ab. Seit der Wiedervereinigung haben, nach Angaben des Bundesinnenministeriums, die ostdeutschen Länder so einen Verlust von etwa einer Million Einwohner erlitten. Dazu kommen die niedrige Geburtenrate und die steigende Lebenserwartung, womit sich die Gruppe der erwerbsfähigen Personen weiterhin dezimieren wird. Durch die zunehmende Landflucht wird das Problem, vor allem in den ländlichen Regionen, noch verschärft. Nach Schätzungen des Bundesministeriums für Inneres, soll bis 2015 die Zahl der 15- bis 25-Jährigen um ganze 40 Prozent schrumpfen. So werden Betriebe, die schon heute Hände ringend nach qualifizierten Fachkräften suchen, in Zukunft noch größere Probleme bei der Stellenbesetzung haben.

Ein weiterer demografischer Unterschied zwischen West und Ost besteht, laut dem Max-Planck-Institut, noch immer im Erwerbsverhalten: So ist es in den neuen Bundesländern gang und gäbe, dass in Familien beide Elternteile einem Vollzeit-Job nachgehen. In den alten Bundesländern arbeiten in der Regel nur die Männer Vollzeit, während die Frauen Teilzeit angestellt sind. Auch die Familienstrukturen unterscheiden sich stark: Während in Westdeutschland die überwiegende Zahl der Paare heiratet, bevor das erste Kind geboren wird, gibt es in Ostdeutschland keine enge Kopplung von Eheschließung und Familiengründung. Hier liegt der Anteil an nichtehelich geborenen Kindern deutlich höher, Tendenz steigend.

Erfolgreicher Abbau der Schulden

Positiv sieht die finanzpolitische Situation der ostdeutschen Bundesländer aus. Der Schuldenstand der Gemeinden und Flächenländer konnte seit 2005 stetig abgebaut werden, womit die Verschuldung pro Einwohner teilweise unter das Niveau der westdeutschen Vergleichsländer gedrückt werden konnte. Durch den (infra-)strukturellen Nachholbedarf in Sachen Wirtschaft und Infrastruktur haben die neuen Bundesländer im Vergleich jedoch wesentlich höhere Ausgaben. Um die strukturellen Defizite auszugleichen, erhalten die ostdeutschen Bundesländer, im Rahmen des Solidarpakts II, finanzielle Mittel. Es bleibt abzuwarten, wie sich die finanzpolitische Situation im Osten entwickelt, wenn die Zahlungen im Jahr 2019 eingestellt werden.

Verbesserung der Wirtschaftskraft weiterhin dringlichste Aufgabe

Zwar haben die neuen Bundesländer seit der Wiedervereinigung schon eine beachtliche Aufholjagd  hinter sich. Dennoch kann der Angleichungsprozess an den Westen noch längst nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Zu groß sind die bestehenden Unterschiede in der Wirtschaftlichkeit und dem Arbeitsmarkt. Umso erfreulicher ist es, dass die neuen Bundesländer im Bildungs- und Gesundheitsbereich den Anschluss an die neuen Bundesländer gefunden haben. Im Bereich der Kinderbetreuung wird ihnen gar eine Vorreiterposition eingeräumt. Es bleibt jedoch die Herausforderung des schnellen demografischen Wandels im Osten, die nur langfristig zu bewältigen sein wird. Um die junge Bevölkerung in den neuen Bundesländer zu halten, müssen wiederum wirtschaftliche Strukturen und die Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessert werden. Es ist und bleibt ein langer, steiniger Weg zu gehen.