„Nur wenn wir uns einbringen, kann sich etwas ändern“

Adrian Sandu am Kronstädter Andrei-Șaguna-Nationalkolleg bietet Alternativen zum klassischen Unterricht

Adrian Sandu | Fotos: privat

„Weiter - die Geschichte des Dorfes Șirnea” ist auf dem YouTube-Kanal des Andrei-Șaguna-Nationalkollegs zu sehen.

Interessante Experimente, Treffen mit bedeutenden Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Bereichen, Diskussionen zu aktuellen Themen ausgehend von philosophischen Texten, aber auch ein komplexes anthropologisches Filmprojekt sind nur einige der außerschulischen Tätigkeiten, mit denen Lehrer Adrian Sandu seine Schüler, aber auch die Kronstädter Gemeinschaft begeistert. Sandu unterrichtet seit rund 15 Jahren Sozial- und Humanwissenschaften am Andrei-Șaguna-Nationalkolleg in Kronstadt/Brașov und hat attraktive Projekte entwickelt, mit dem Ziel, Schülern eine Alternative zum klassischen Unterricht zu bieten. 

Im Rahmen des langjährigen Projekts der „Șaguna-Konferenzen“ traten Persönlichkeiten wie Schriftsteller, Akademiemitglieder und Denker vor die Kronstädter, beim „Philosophie-Seminar”, das seit fast zwei Jahrzehnten regelmäßig stattfindet, lernen Jugendliche kritisches Denken. In der „Nacht der europäischen Forscher” stehen wissenschaftliche Versuche und dynamisches Lernen im Vordergrund. In den letzten beiden Jahren hat ein von Sandu angeleitetes Schülerteam an einem Dokumentarfilm gearbeitet, der im Vorjahr seine Premiere feierte. An der Vielzahl außerschulischer, wie auch gemeinnütziger Projekte nimmt Jahr für Jahr eine große Anzahl von Teenagern teil.

Dorf der Erinnerung, Dorf der Gegenwart

„Mai departe - Povestea satului Șirnea” (Weiter, die Geschichte des Dorfes Șirnea) heißt der 40-minütige Dokumentarfilm, den 20 Lyzeaner des renommierten Kronstädter Nationalkollegs gedreht haben. Im Rahmen eines anthropologischen Projekts hatten sie die Möglichkeit, eine Forschungsarbeit in filmischer Form umzusetzen. Zu ihrem Hauptthema wählten sie das erste touristische Dorf des Landes, Șirnea, im Kreis Kronstadt.

Zwei Jahre lang sammelten die Teams in Begleitung ihres Lehrers Adrian Sandu Informationen zum Ort aus Monografien, Publikationen und Gesprächen mit Bewohnern. Zahlreiche Reisen ins Bergdorf ergaben rund 60 Stunden gefilmtes Material: Interviews mit Einheimischen, aber auch mit Leuten, die von dort weggezogen sind, Aufnahmen der bezaubernden Landschaft in allen Jahreszeiten und von alten Fotos. Die Bilder werden von den Tönen einer Panflöte untermalt.

Șirnea hatte in den 1960er Jahren das Image des idyllischen Dorfes und lockte damit zahlreiche, vor allem westeuropäische Touristen an, die sich von der Natur und dem authentischen Leben der Bewohner begeistern ließen: Pferdekarren, Sensenmahd, Transhumanz, von Hand melken, usw.

Das Dorf ist immer noch idyllisch, wird allerdings kaum noch besucht. Die wenigen Einwohner sind überaltert, Kinder gibt es nur noch wenige, sodass die Schule aufgelöst werden musste. Schwere Lebensbedingungen haben die jungen Leute in die Stadt oder ins Ausland getrieben. Die Alten beklagen, dass das Dorf ihrer Kindheit und Jugend nicht mehr existiert und [irnea womöglich aussterben werde. Aus vielen Interviews geht die Nostalgie für die Vergangenheit hervor, mit der Gegenwart und Zukunft verbindet man eher Hoffnungslosigkeit.
Andererseits ist der Optimismus und der Wille der Einheimischen, die lokalen Traditionen weiterzuführen, unverkennbar. Einer, der sich dafür einsetzt ist der Hauptdarsteller des Films, Radu Frunteș. 

Das Dorf stirbt nicht aus, es verändert sich nur. Dessen Geschichte geht weiter, aber anders als bisher. Und eben das wollen die Schüler zeigen: die Transformation.

Disziplin und Entschlossenheit

Anfangs hatte niemand geahnt, dass der Film zwei Jahre Arbeit erfordern würde. Mehr als der Hälfte der rund 20 Schüler ist während der Zeit das Interesse, die Lust, Ausdauer und Geduld ausgegangen. Nicht aber Maria Chiribeș, die mit Bestimmtheit und Disziplin mit wenigen Kollegen zusammen den Film auf die Bühne brachte und den Applaus erntete.

„Für mich war dies das längste Projekt, an dem ich je teilgenommen habe. Es hat mir sehr viel gebracht”, sagt Maria, die vor den Dreharbeiten bereits einige Jahre beim Schulfernsehen ihrer Schule (TeleAS) tätig war. Abgesehen von den Fähigkeiten und Fertigkeiten, Filmtechnik anzuwenden, das Material zu sichten und zu einer kohärenten Geschichte zu schneiden, hat die junge Studentin gelernt, im Team zu arbeiten und mit Lehrern, der Schulleitung und den Darstellern zu kommunizieren. Heute setzt sie das in ihrem Studium erfolgreich ein. „Das ist der Grundstein, auf dem ich jetzt baue.” 

„Alleine hätte ich so ein Projekt nicht einmal begonnen. Ich wäre nicht so entschlossen gewesen. Der Rahmen, den unser Lehrer geschaffen hat, war überzeugend. Eine soziologische und anthropologische Studie in Form einer Dokumentation zu zeigen, ist die unterhaltsamste und beste Methode”, findet Maria.

„Weiter - Die Geschichte des Dorfes Șirnea” wurde vergangenen Herbst mehr-mals in Kronstadt gezeigt, die Premiere fand auf dem „TamTam” Festival, auf dem Sportplatz des Nationalkollegs, statt. Auch die Darsteller haben ihn auf einer großen Leinwand im Dorf gesehen. „Sie wollten, dass wir auch eine Serie von Kurzfilmen, oder eine Folge über das Dorf realisieren. Das war das schönste Kompliment”, erinnert sich der Lehrer.

„Dieses Projekt hat den Schülern, aber auch der Gemeinde von [irnea zahlreiche Vorteile gebracht”, weiß Sandu. Für das Dorf kann es als Werbung gelten, den Schülern hat er den Horizont erweitert. Sandus Ziel war von Anfang an, den Lernenden eine Alternative zu bieten, in der sie Forschung auf attraktive Weise durchführen, zu einem Niveau, das dem akademischen nahekommt. Erfahrungen und praktische Tätigkeiten können ihr Interesse eher wecken als trockene Informationen und Theorie. „Ich würde mich freuen,wenn dieses Projekt auch von anderen Schulen übernommen würde.”

Der Lehrer findet, dass die rumänische Schule Leistung sehr einseitig versteht. Einige Schüler erzielen außerordentliche Ergebnisse bei Olympiaden und Wettbewerben, die anderen aber haben weniger Möglichkeiten in ihrem Entwicklungsprozess. Eine Schule müsse ihren Schülern jedoch viele Alternativen anbieten, Olympiaden und Wettbewerbe seien nur eine davon. Deswegen solle das Leistungskonzept ausgeweitet werden. In diesem Sinne veranstaltet er seit fast zwei Jahrzehnten außerschulische Aktivitäten mit Jugendlichen.

Bekannte Persönlichkeiten zu Gast

2013 hat Sandu eine Reihe Projekte eingeführt, die den Schülern, dem Nationalkolleg, sowie der gesamten Kronstädter Gemeinschaft zugute kamen. Darunter die „Șaguna-Konferenzen” und die „Nacht der Europäischen Forscher”.

Schriftsteller wie Mircea Cărtărescu, Horia-Roman Patapievici, Gabriel Liiceanu, Radu Paraschivescu, die Essayistin und Kritikerin Ioana Pârvulescu, Akademiemitglied Solomon Marcus, Historiker Lucian Boia, wie auch angesehene Mathematiker, Soziologen, Anthropologen, Chirurgen und andere Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Bereichen sind in den letzten Jahren in der Aula des „Andrei Șaguna”-Nationalkollegs aufgetreten.

District Hub

Im vergangenen Jahr gründete Sandu den Verein „District Hub“, der einige seiner bekannten Projekte durchführt, aber auch in Zusammenarbeit mit Institutionen, Vereinen und Einrichtungen, Programme und Projekte im Bereich Erziehung, Soziales und Zivilgesellschaft entwickelt. Der Verein unterstützt die Modernisierung des rumänischen Bildungswesens, die Entwicklung der lokalen Gemeinschaft und setzt auf Digitalisierung.

Das vom Lehrer vor 19 Jahren ins Leben gerufene „Philosophie-Seminar” wird nun vom „District Hub“ organisiert. Jedes Semester sind Kronstädter Lyzeaner aus allen Schulen eingeladen, sich gemeinsam zu philosophischen Konzepten und Themen auseinanderzusetzen. Seit der Pandemie findet das Seminar online statt und steht allen Interessenten aus dem In- und Ausland, die rumänisch sprechen, offen. 

Das Webinar des Vereins „Webinarul DH“ bietet Diskussionen mit Experten, Persönlichkeiten der Öffentlichkeit, Vertretern der Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen zu aktuellen Problemen der Gesellschaft wie Massenmedien und Propaganda, Europäische Finanzierung für Erziehung, Sozialpolitik und Unterstützung benachteiligter Gruppen, Technologie und Erziehung. Auch Menschen, die in Bereichen wie Erziehung, benachteiligten Gemeinschaften oder sozialem Einsatz anerkannt sind, kommen zu Wort. 

Das Pilotprojekt „Science Hub” bietet kostenlose digitale Erziehungsmaterialien an, die von Professoren und Schülern für den Online-Unterricht und den individuellen Lernprozess entwickelt wurden. Diese sind vor allem in pandemischen Zeiten nützlich, aber auch danach. Dieses Projekt entstand aus dem Bedürfnis, digitale Inhalte für multidisziplinäre Module zu schaffen, zumal der Unterricht der Zukunft wohl mehr auf Multidisziplinarität statt auf Interdisziplinarität bauen werde, so Sandu. Die Materialien sollen auf der Internetseite des Vereins hochgeladen werden und jedermann kostenfrei zur Verfügung stehen.

Ein wichtiges Projekt des „District Hub” ist auch die regelmäßige Durchführung eines „Erziehungs-Barometers”, das die Wahrnehmung der Eltern, Lehrer und Schüler zu mehreren Aspekten des öffentlichen Unterrichtssystem erfasst. Dadurch sollen die Bedürfnisse und Probleme der drei genannten Kategorien herausgefunden werden, aber auch, ob der Unterricht an die heutige dynamische Gesellschaft angepasst werden muss.  Dieses „Barometer“ soll zwei Mal im Jahr zum Einsatz kommen, um die Dynamik der Zeiten festzuhalten und den öffentlichen Institutionen als Grundlage für kohärente Änderungen im Unterrichtswesen zu dienen. Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit dem Kronstädter Schulinspektorat durchgeführt.


Weitere Informationen  auf der Internetseite districthub.ro