Pioniere einer wachsenden Nachhaltigkeitsszene

„IarmarEco“-Markt in Chișinău – eine Nische für soziales Unternehmertum und gegen Abwanderung der Jugend

Musikalische Darbietung auf dem IarmarEco | Fotos: die Verfasserin

Andrei Gramatschii präsentiert das Holzspielzeug seines Unternehmens „Gugagaga“.

EcoSave informiert über Recycling von Elektroschrott.

Das Start-Up GreenPack und seine Behältnisse zur Fermentierung von Biomüll

In einer Gegend Europas, die von starker Abwanderung großer Teile der Bevölkerung, weit verbreiteter Armut und korrupten Strukturen in Politik und Gesellschaft geprägt ist, scheinen Engagement im Bereich Umweltschutz oder eine intensive Beschäftigung bezüglich Klimaschutz und Nachhaltigkeit zunächst Themen, die aus einer anderen Welt gegriffen sind.
In Chișinău aber, der Hauptstadt der Republik Moldau, hält der goldene Herbst Überraschungen bereit: Zwischen hochgewachsenen alten Bäumen und den im warmen Sonnenlicht fallenden Herbstblättern eines der zahlreichen großen Stadtparks Chișinăus, „Parcul Valea Trandafirilor“, dem Rosental-Park, können Besucher den Nachhaltigkeitsmarkt „IarmarEco“ erleben. 


Die Veranstaltung – eine Wortkomposition aus dem Wort „iarmaroc“ – man möge sich an das deutsche Wort „Jahrmarkt“ erinnert fühlen –  und „ecologie“, Ökologie, feiert 2022 ihr zehnjähriges Jubiläum. Sie gibt Jahr für Jahr zahlreichen Initiativen und Kleinunternehmern die Möglichkeit, sich zu präsentieren, ihre selbstgefertigten Produkte auszustellen und Neugierige zum Thema Nachhaltigkeit zu informieren. Auf zwei langen Wegen des Parks reihen sich Stände aneinander, an denen regionale Produkte wie Honig, Sanddornsaft und Süßigkeiten, nachhaltiges Spielzeug oder Seife angeboten werden. Dazwischen finden sich immer wieder Initiativen mit Ideen, das tägliche Leben ohne Verschwendung zu gestalten.

Begonnen hat alles im Jahr 2012: Der Verein „EcoVisio“ rief mit dem Bildungsprogramm „activEco“ eine kleine Umweltaktivistenausbildung für junge Menschen ins Leben, gefördert durch die Robert-Bosch-Stiftung und das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland. Neben der Möglichkeit für Interessierte, ein Jahr lang Projektmanagement zu erlernen und sich mit einem eigenen Nachhaltigkeitsprojekt im dörflichen Bereich selbst praktisch auszuprobieren, entstand schließlich die Idee, die bereits in der Region im Bereich Nachhaltigkeit engagierten Menschen mit den jungen Projektteilnehmern zu vernetzen. In Anlehnung an das Konzept des „Heldenmarkts“, einem Projekt, das 2010 erstmal in Berlin stattfand, wurden Akteure für Nachhaltigkeit zusammengebracht. „Jede Bewegung braucht Pioniere“ sagt Julian Gröger, Mit-Gründer des Vereins EcoVisio: Damals war die ursprüngliche Idee, NGOs und Akteure einander vorzustellen, Wissen zu vermitteln, Experten einzuladen und Produkte anzubieten. „In den letzten Jahren haben die Produkte mehr Gewicht bekommen, weil damit ein größeres Publikum erreicht und gebunden wird.“ Aber auch jetzt fänden während des „Iarmar Eco“ Workshops und Expertenrunden statt. Wichtig sei es, überhaupt einen Raum für die Erkenntnis zu schaffen, dass man im Land bleiben und etwas bewegen könne: Probleme wie der anhaltende Brain-Drain aus der Republik Moldau oder die jetzige Abhängigkeit im Energiebereich von Russland sieht Gröger auch vor dem Hintergrund, dass Ideen zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit lange ignoriert wurden: „Junge Leute haben nicht das Narrativ, dass es hier auch schön sein könnte, dass wir hier Produkte haben, die einzigartig sind, die vielleicht besser schmecken und vielleicht sogar gesünder sind als in Westeuropa.“

Dann erzählt er von Lisa, einer Imkerin, die 2013 Alumna des Bildungsprogramms war und die Imkerei ihres Vaters übernehmen wollte. Aber es sei schwer, als junger Mensch im Land zu bleiben und eine Perspektive für sich zu entwickeln. Durch das Bildungsprojekt von damals habe sie schließlich den Mut gefasst, hier zu bleiben. Jetzt habe sie ihr eigenes Unternehmen und verkaufe nicht nur Honig, sondern habe ihre Produktpalette sogar erweitert, denn für Nischenprodukte, so Gröger, gebe es einen Markt. Ziel sei es, auf lange Sicht das soziale Unternehmertum zu stärken, damit mehr Leute sich entschließen, im Land zu bleiben. „Einer der Effekte von EcoVisio ist, glaube ich, dass es ein paar mehr kompetente Leute im Land gibt, die sonst vielleicht schon weggegangen wären – wir machen den Leuten Mut, sich auszuprobieren. Wir haben auch früh angefangen, Umweltschutz nicht nur in Initiativen zu denken, sondern auch gleich im sozialen Unternehmertum.“ Einen gesellschaftlichen Mehrwert mit einer unternehmerischen Idee zu schaffen, sei wichtig. „Viele die ‘entrepreneurial’ gedacht haben, haben über uns leichter einen Markt und Kunden gefunden.“ Die große Vision, die sich EcoVisio gesetzt habe, sei ein „Moldotopia 2040“, eine Modellregion für nachhaltige Entwicklung. Dazu brauche es aber die Menschen, die im Land blieben. Es gäbe viele Leute, die unternehmerisch, zivilgesellschaftlich, kulturell aktiv seien und dächten, dass sie damit alleine sind: „Hier sagen wir: Wir sind mehrere.“ Die letzten Jahre zeigten, dass die Nachhaltigkeitsszene wächst. Kleinunternehmen gebe es viele – eine Mittelschicht bilde sich in der Republik Moldau jedoch nur langsam heraus.

Beim Streifzug über den Markt fallen neben den regionalen Erzeugnissen auch die Initiativen ins Auge, die für einen verantwortungsvolleren Umgang mit Natur und Umwelt werben. Hier handele sich um pure Pionierarbeit, so Gröger, die eigentlich auf nationaler Ebene organisiert werden müsste. 

Einzelpersonen müssen für Umweltschutz tätig werden: So bietet die Stiftung „EcoSave“, ein Kollektiv aus 21 Technik-Produzenten und Importeuren, seit 2020 die Möglichkeit an, Elektroschrott zu recyceln. An 27 Standorten können in der Hauptstadt Batterien, Glühbirnen und Kleinteile abgegeben werden. Große Geräte wie Waschmaschinen, Kühlschränke oder Fernseher holt die Stiftung auf Anfrage zu Hause ab. Ein Novum in der Republik Moldau, das aber langsam angenommen wird. Die Stiftung möchte auf lange Sicht eine solide Infrastruktur aufbauen, um Elektroschrott im ganzen Land zu recyceln, ein breites Publikum über die Notwendigkeit des Recyclings von Sondermüll zu informieren, wobei man besonders die jungen Menschen gezielt ansprechen möchte. Ein drittes Anliegen ist die Partizipation an der Schaffung einer Gesetzgebung, die in Zukunft eine breit angelegte Akzeptanz und Umsetzung des Recyclings garantieren soll.

Das Start-Up „GreenPack“ präsentiert an einem Stand Plastikbehältnisse zur Kompostierung von Biomüll im Haushalt, damit auch Stadtbewohner ihren Biomüll effektiv für Pflanzen und Garten nutzen können. Die Importfirma vertreibt seit 2019 die Plastikbehältnisse, die in der EU hergestellt und zertifiziert sind. Mit ihrer Hilfe kann Biomasse effektiv fermentiert und als Dünger genutzt werden. „Die Ideen kommen, wenn man darüber nachdenkt, was man selbst mehr als bisher beitragen könnte. Die Verbreitung des Prinzips Nachhaltigkeit und ein nachhaltiger Lebensstil haben einen starken Einfluss auf die Natur. Für mich haben diese Prinzipien einen hohen Stellenwert - nicht nur für mich selbst, sondern auch für die Gemeinschaft, in der ich lebe“, so Ana Bradu, Gründerin des Start-Ups, die an diesem Tag am Stand Rede und Antwort steht.

An einem bunten Stand voller Holzspielzeug steht Andrei Gramatschii und erzählt die Geschichte seiner Unternehmensgründung, die 2019 begonnen hat. Es sei hart gewesen, seine Frau und er hätten viele Rückschläge hinnehmen müssen – im Sommer habe das Unternehmen kurz vor dem Aus gestanden. Eine Crowdfunding-Kampagne war schließlich ihre Rettung. Ein Problem sei, dass sie wenig produzierten, dafür aber alle nötigen Qualitätsstandards einhielten und damit der Preis dementsprechend hoch ausfalle. Das Prinzip der Nachhaltigkeit werde bei ihnen groß geschrieben.

Die Entwürfe der Spielzeuge macht der gelernte Industriedesigner selbst. Ihm ist es wichtig, dass die Spielzeuge einen emotionalen Wert aufweisen, eine Geschichte erzählen und kulturell etwas transportieren. Sie versuchten, ihrem Spielzeug etwas „Moldauisches“ zu geben, so sei der Holzkrug, den man aus mehreren Teilen zusammensetzen könne, eine Reminiszenz an die jahrhundertealte Weinbaukultur in der Gegend. Auch auf den interaktiven Aspekt würden sie achten, etwa mit den Alphabet-Sets, die auf Rumänisch und Englisch existieren und auf die ein Wort, ein Anfangsbuchstabe und das entsprechende Bild zum Wort graviert sind. Damit lasse sich vielseitig spielen und entdecken. Im Gespräch fällt der Name Maria Montessori, Gramatschii erwähnt die Waldorfpädagogik – an diesen Konzepten würden sie sich bei der Kreation der Spielzeuge orientieren.

Zeitlos solle das Spielzeug sein und im Idealfall von Generation zu Generation weitergegeben werden. Achtzig Prozent dessen, was seine Firma produziert, gehe aber im Moment noch ins Ausland. „In der Repu-blik Moldau ist es sehr einfach, billiges Spielzeug zu kaufen. Ich glaube aber, dass die Leute langsam beginnen, umzudenken, und es einen Markt dafür geben kann“. 

Es ist später Nachmittag, Optimismus liegt in der Luft, Musik und Kinderlachen dringt durch die laue Herbstluft. Die Gespräche verraten, dass es bei den Menschen ein wachsendes Bewusstsein für Nachhaltigkeitsthemen gibt. Dass sie Initiativen ergreifen, in ihrem Land etwas zu verändern und dass die geschickte Verbindung von Nachhaltigkeit und Unternehmensgründung gelingt. Sie zeigen, dass sich etwas bewegt. Und vielleicht Veränderung möglich ist. Auch hier, am sogenannten „Rand“ Europas.