Plantageneinsamkeit

Ein Stück Regenwald, das auf Sumatra für eine Palmölplantage gerodet wurde. Foto: Peter Prokosch/GRID

Leidenschaftliche Autofahrer dürfen sich freuen, dass das Risiko, in den Tropen gegen einen Baum zu fahren, täglich sinkt. Im Gegensatz zum Meeresspiegel.
Der Baum ist nicht nur der Feind des Automobilisten, er stört unter Umständen auch den Blick auf ansehnliche, bereits vorhandene Rodungsflächen, sowie das Wachstum von leckerem Soja für niedliche Tiere in Mastanlagen. Es ist der Mut tollkühner Menschen im Amazonas, der die Menschheit von vielen dieser grünen Plagegeister Schritt für Schritt befreit. Aber auch wir hier in Europa können etwas dafür tun, den Regenwald autofreundlicher und übersichtlicher – eben baumfrei – zu machen. Und das tun wir sogar schon! Gerne loben wir den Präsidenten Brasiliens und fähigsten Pflanzenvernichter, Jair Bolsonaro, für seinen entschlossenen Einsatz gegen die gehässigen Grüngewächse, bei dem mit dem Fackeln nicht lang gefackelt wird. Dabei dürfen wir uns auch selbst auf die Schulter hauen, oder gerne auch ins Gesicht.

Holz gibt es viel. Besonders in Südamerika, in Europa auch, aber hier können wir es im Wald lassen. Der brennt auch sehr gut von alleine und erspart uns so im Sommer das Frieren. Was ist nun aber das Problem mit den Regenwäldern, mal abgesehen davon, dass eine achtlos weggeworfene Zigarettenkippe für eine Rodung nicht ausreichen will? Der Mensch ordnet Sachen gerne in Kategorien ein, dabei macht er auch vor Bäumen nicht Halt.

 So gibt es doofe Bäume und coole Bäume. Doofe Bäume stehen einfach nur herum und lassen im besten Fall ein paar putzige Affen auf sich wohnen. Da diese aber ohnehin bald aussterben, verlieren diese Gewächse damit auch ihren letzten Nutzen, und deshalb müssen sie weg. Man kann die einfach abholzen, Tropenholz verkauft sich hervorragend, besser ist aber, man zündet sie an, um Platz zu machen für coolere Bäume: Ölpalmen! Schon in den zehn Geboten steht bei §6-b: Du sollst sämtliche Lebensmittel mit Palmöl versehen (weswegen im Übrigen der sechste Sonntag der Fastenzeit heißt wie er heißt)! Dem kommt der Mensch gerne nach und versaut damit teilweise selbst hochwertige Schokoladen. Auch in viele Kosmetikprodukte bringt das Öl einen Hauch Regenwaldromantik.

Während es besonders die asiatischen Regenwälder sind, die mit Palmölplantagen ausgetauscht werden, setzt man in Brasilien auf Soja, das in reichen Ländern in Großmastbetrieben verfüttert wird. Verantwortlich hierfür sind natürlich nur der brasilianische Präsident und die Agrarfirmen, die dabei mitmachen. Was sollen wir denn tun? Unser Konsumverhalten ändern? Unsere Rinder lieben nun mal brasilianisches Soja, sie plötzlich mit was anderem zu füttern, Gras oder so, wäre gegen die Natur und Tierquälerei, und weil EU für „Ethisch Unverbesserlich“ steht, können wir das nicht machen, nicht mein Wald, nicht mein Problem. Wenn dann indigene Völker kommen, die es nicht so nett finden, wenn man sie von ihrem Wohnort vertreibt, dann liegt es daran, dass sie unsere Probleme nicht verstehen wollen, denn während man bei uns das Billigfleisch anprangert, können die ja jagen gehen – ihr Fleisch ist also sogar umsonst.

Ignorierte, zelebrierte Eigenverantwortung

Die Problematik hierbei ist ein verbreiteter Denkfehler. Demokratie und Wirtschaftsliberalismus lassen den Menschen in ihrem Leben viele Wahlmöglichkeiten und ermöglichen einen ausgeprägten Individualismus. Aus dieser Mischung entstehen häufig unverantwortliche Verhaltensweisen, die „Eigenverantwortung“ heißen. Diese Verantwortung muss zum Beispiel beim Konsumverhalten getragen werden. Oft hat man im Supermarkt die Wahl zwischen nachhaltig und weniger nachhaltig hergestellten Produkten. Seine Wahrnehmung der Größe der Verantwortung, die der Kunde trägt, lässt sich messen an der Frage, die er sich stellt. Er kann sich fragen: Nehme ich das teure Produkt oder das günstige? Nach der Theorie der rationalen ökonomischen Entscheidung wäre es hier sinnvoll, das günstige Produkt zu wählen.

Er kann sich aber auch fragen: Gebe ich ein bisschen mehr Geld aus und investiere in die Zukunft, oder unterstütze ich die Vernichtung der Welt und das Ende allen bekannten Lebens? Letzte Frage wird zu selten gestellt, es ist einfacher, die Verantwortung an die Lebensmittelindustrie oder den Supermarkt abzugeben, und das ist der Punkt, an dem die „Eigenverantwortung“ zur „Unverantwortung“ wird. „Man kann ja eh nichts ändern, es ist wie es ist“. Die Politik müsse etwas dagegen tun, und was haben wir in einer Demokratie bitteschön für einen Einfluss darauf? Es ist natürlich nicht falsch, dass politisch etwas gegen derartige Umweltzerstörung getan werden muss, ganz im Gegenteil, aber dazu muss in der Bevölkerung ein Wille da sein.

In der Praxis sieht es leider eher so aus, dass sich viele Menschen aus finanziellen Gründen nicht dafür entscheiden können, ihren Konsum an die Bedürfnisse des Planeten anpassen zu können. Eine gute Sozialpolitik könnte also auch klimaverträglichen Konsum fördern.

Aber zurück zum Programm. Wir stellen fest, die Entscheidung für das Richtige wird bei der freien Wahl zu selten getroffen, Adam Smiths „unsichtbare Hand“, nach deren Prinzip eigennützige Entscheidungen auch automatisch gut für die Allgemeinheit sein sollen, zeigt der Umwelt ihren Mittelfinger. Um die Wälder beim Einkaufen zu schützen verzichten wir an der Kasse auf den Bon und weigern uns, anzuerkennen, dass wir alle eine individuelle Mitschuld daran tragen, dass inzwischen ein Fünftel Brasiliens mit Sojapflanzen bedeckt ist. Der böse Bolsonaro ist schuld! Wenn wir erfahren, dass von allen Agrarerzeugnissen, für deren Herstellung Regenwälder zerstört wurden, mehr als ein Drittel von der EU importiert wurde, dann liegt das eben an den „Brüsseler Bürokraten“ und nicht daran, dass wir den Hals nicht voll kriegen.

Er ist doch böse!

Natürlich soll Bolsonaro nicht in Schutz genommen werden. Der den Klimawandel leugnende brasilianische Präsident hat viele Voraussetzungen geschaffen, die es Firmen ermöglichen, den Regenwald in Brasilien zu entholzen, der Amazonas in Brasilien soll wirtschaftlich optimal genutzt werden. Es versteht sich auch von selbst, dass in allen Staaten die Ausbeutung der lokalen Natur, sofern sie stattfindet, ein Problem ist, das von der dortigen Politik nicht gelöst werden kann, oder nicht gelöst werden will. Der Grund für die Zerstörung ist aber eben nicht pure Boshaftigkeit – sicherlich hilft sie aber – sondern rücksichtslose Profitgier. Und die wird nun einmal besonders von Bürgern reicher Industrienationen gestillt, und wenn wir das wirklich so schlimm finden, wie wir sagen, dann reicht es nicht aus, über Bolsonaro und Co. zu schimpfen, man muss sich fragen, welchen Einfluss man auf das Geschehen in der Welt hat. Auch die EU könnte mit einer ökologischeren Wirtschaftspolitik die Importe umweltschädlicher Produkte besser regeln, aber damit das passiert, muss die Bevölkerung bei den Wahlen dafür sorgen, dass dort die richtigen Leute entscheiden.

Wenn wir das mit der Abholzung super finden, können wir uns natürlich alternativ auch Maßnahmen überlegen, wie man sie noch schneller voranbringen könnte. Eine Fläche Wald der Größe von 27 Fußballfeldern, die weltweit pro Minute verschwindet – das können wir toppen! Neben dem ganzen Zeug, für das wir den Regenwald schon vernichten, wie wäre es, wenn wir dort noch ein paar Parkplätze bauen? Eine schöne Schicht Asphalt auf den Boden, fertig. Oder wir bedecken ihn einfach mit Kunstschnee, zu Weihnachten! Man sieht, sowohl eine Bekämpfung der Entwaldung als auch eine Beschleunigung von dieser sind möglich, wir müssten uns nur langsam mal entscheiden, was wir wollen.

Der Klimawandel

Das westliche Konsumverhalten äschert natürlich nicht nur die Regenwälder ein, es fördert – wie schon lange lange lange lange lange bekannt – auch auf andere Weisen den Klimawandel. „Gut“ mag man nun denken, „Wenn der Dschungel unter Wasser ist, kann man ihn ja auch nicht mehr roden“. Aber der Klimawandel schafft weit mehr, als den Meeresspiegel zu erhöhen. Zum Beispiel kann er die Welt noch ungerechter machen als sie ohnehin schon ist. Der Mist, den wir auf der Nordhalbkugel bauen, stinkt im Süden viel schlimmer. Während man bei uns über die vergangene Dürre sagt „Uiuiui, die war teuer“, müssen in Somalia Leute ihr Zuhause verlassen, weil die dortigen Dürren ein Leben an diesen Orten nicht mehr zulassen. Wie würden wir das finden, wenn wir alles zurücklassen müssten, weil an einem entfernten Ort Menschen meinen, fünf Mal im Jahr wegfliegen zu müssen? Die Frage, ob man sein Konsumverhalten – solange es einen nicht in die Privatinsolvenz treibt – so gestaltet, dass es niemandem die Existenz raubt, sollte nicht mal von der Frage abhängen, ob es denn was brächte, wenn man der Einzige ist, der das tut, sondern ob man bei diesen Übeltätereien mitmachen will.

Die Opfer, die für den westlichen Lebensstil nötig sind, sind bekannt, werden schon lange in Kauf genommen und es wird wahrscheinlich auch weitergehen. Genug Menschen haben zwar die Wahl, nicht mitzumachen, tun es aber trotzdem. Wenn wir nicht einsehen wollen, dass Unrecht auch passieren kann, wenn es erlaubt ist, oder wir denken, dass sich nichts ändert, wenn wir was verändern, dann sind wir vielleicht einfach zu doof für ein derart freies System wie wir es haben. Vielleicht hassen wir die Welt in Wahrheit aber auch einfach. Ihre Zerstörung scheinen wir jedenfalls weniger problematisch zu finden als Aktivisten, die sich an Bilder kleben. Kinder, die Freitags statt in die Schule zu gehen lieber etwas für ihre Zukunft tun, werden wiederum für ihr Konsumverhalten kritisiert. Ja, es ist richtig, dass auch unter den jüngeren einige Menschen sind, die eine katastrophale Konsumgewohnheit haben, zum Beispiel was Fast Fashion angeht. Aber das ändert nichts an dem Verrat der Vorgängergenerationen an der gesamten Menschheit und kann auch nicht von ihm ablenken. Ziel der Proteste ist auch nicht, dass sich Menschen schuldig fühlen für ihr langjähriges Versagen beim Klimaschutz, sondern dass sie aufhören zu versagen.

Notwehr

Da die friedlichen Proteste bislang vor allem bewirkt haben, dass irgendwelche von der Evolution vergessenen Steinzeitmenschen Anti-Greta-Sticker – die zum Teil im wahrsten Sinne des Wortes unter die Gürtellinie gehen – an ihren Autos kleben haben, hat die jüngere Generation keine andere Wahl, als sich zu radikalisieren. Dann geht eben mal ein langweiliges altes Bild kaputt, ist eigentlich sogar weniger radikal als eine Südseeinsel zu versenken. Auch sich auf eine Straße zu kleben, ist eigentlich nicht viel radikaler, als Selbige mit einem übergroßen Fahrzeug zu verstopfen. Den Aktivisten wird teilweise sogar Nötigung vorgeworfen, wobei man sich hierbei fragen sollte, wer hier wen nötigt. Autofahrer nötigen schließlich ihr Umfeld, Feinstaub und Abgase einzuatmen. Solange der Konsens besteht, dass Klimaaktivisten stören, Umweltzerstörer aber nicht, und das obwohl der vom Menschen verursachte Klimawandel seit Jahrzehnten wissenschaftlicher Konsens ist, scheinen sogar radikalere Maßnahmen notwendig zu sein.

Wenn übergroßen Fahrzeugen die Reifen zerstochen werden, dann kommen die Fahrer nicht zu spät zur Arbeit, weil ihnen „ein Verrückter“ das Auto kaputt gemacht hat, sondern weil sie sich für das falsche Fahrzeug entschieden haben. Das Bedürfnis eines einzelnen, ein unnötig großes Auto zu fahren, ist nicht annähernd so wichtig wie das Bedürfnis einer ganzen Generation, eine lebenswerte Zukunft zu haben, und diese beiden Bedürfnisse beißen sich nun einmal. Aktivisten, die soweit gehen, fangen keinen Konflikt an, sondern verteidigen sich nur. Es ist obsolet zu fragen, ob solche radikalen Maßnahmen des Klimaschutzes legitim sind oder nicht. Warum sollten sie weniger legitim sein, als die radikale Zerstörung der Welt?