Politischer Kulturfaktor Zeitung

Wort des Ehrenvorsitzenden Prof. Dr. Paul Philippi in der Vertreterversammlung des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien am 3. Juni 2011

Da mir als Erstem das Wort erteilt wird, gehört es sich auch zu allererst, Euch alle willkommen zu heißen und uns alle wieder daran zu erinnern, wie wichtig es ist, dass wir aus den verschiedenen Ecken dieses Landes zusammenkommen: Und zwar nicht nur, um über Gelder und Projekte abzustimmen, sondern auch um die Anliegen derer zu koordinieren, die wir vertreten. Wir sind alle Deutsche in Rumänien, kommen aber aus verschiedenen Gemeinschaftstraditionen. Unsere Ausgewanderten sind nicht zufällig in mindestens vier verschiedenen Verbänden organisiert (Banater Schwaben, Sathmarer Schwaben, Siebenbürger Sachsen, Buchenlanddeutsche). Aber wir, die wir uns im Lande selbst politisch zu vetreten haben, wir müssen und wollen unter uns immer neu den gemeinsamen Nenner finden.

Das wird in diesem Jahr u. a. bei der Volkszählung wichtig werden. Wohl wird uns immer aufgegeben bleiben, die Qualität unseres Präsenz in Rumänien als das Entscheidende anzusehen, nicht die Quantität. Aber nach der Volkszählung wird es für die Entwicklung der Qualität nicht unerheblich sein, welche Quantität man uns zumessen kann. Und das wird schlicht daran gemessen werden, wie viele Bürger Rumäniens sich als ethnisch Deutsche erklären.

Darüber haben wir vor einem Monat im Vorstand beraten und heute kommt bestimmt mit zur Sprache, was sich daraus für praktische Regeln ergeben. Die Basis für diese Regeln praktischen Wahlverhaltens ist langfristig freilich die Bewusstseinsbildung unter unseren Deutschen. Das Bewusstsein, sich als deutsche Gemeinschaft zu begreifen, zaubern wir nicht erst am Wahlabend hervor. Das ist eine Angelegenheit de la longue durée – de lungã duratã– der andauernden Bindung. Um einen Indikator dafür zu gewinnen, wie es mit dieser Anbindung bei uns steht, habe ich mir einmal die Statistik unserer „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien vorgenommen“. Die regelmäßig ins Haus kommende Tageszeitung des Forums ist wohl das wichtigste Instrument kontinuierlicher Information über das, was in unseren deutschen Gemeinschaften Rumäniens passiert, was in ihnen gewollt und angedacht wird.

Aus dieser Statistik kann man allerhand herauslesen und Folgerungen versuchen. Das gehört aber nicht zu einem Grußwort des Ehrenvorsitzenden. Wenn es trotzdem richtig war, im Grußwort auf den bevorstehenden Census hinzuweisen und zur Sprache zu bringen, dass damit die Aufgabe der Bewusstseinsbildung unter unseren Leuten zusammenhängt, dann wird man sicherlich bemerken, dass die Zone, die uns hinsichtlich des Bekenntnisses zur deutschen Ethnie am meisten Gedanken macht – dass die auch am wenigsten mit unserer Tageszeitung versorgt ist. Dies sage ich nicht mit erhobenem Zeigefinger. Denn wir alle sind mit dieser Zone solidarisch. Und schwache, ja sogar absinkende Abonnentenzahlen bemerken wir auch in anderen Zonen. So erlaube ich mir für den TOP „Allfälliges”, eine konkrete Maßnahme vorzuschlagen:

Lassen Sie uns von den Mitteln, die wir für Kultur beantragen (beziehungsweise schon beantragt haben!), einen Teil (und zwar prioritär!) in Zeitungsabonnements stecken. Abonnements für jedes Ortsforum jeder Region! Eventuell auf Einzelhaushalte verteilt. Für ein Jahr; für ein halbes Jahr. Als Werbung, gewissermaßen. – Wir verteilen die Gelder, über die wir verfügen, nach Schlüsselzahlen aus der Bevölkerungsstatistik (das sind Volkszählungsergebnisse). Wenn sich diese Zahlen auf die Dauer nicht auch im Bewusstsein und im Wahlverhalten der Gezählten widerspiegeln, dann schütten wir das Geld regelmäßig in einen Eimer ohne Boden. Es lohnt sich, liebe Freunde, es empfiehlt sich, dem Eimer einen Boden zu verpassen. Gezielte Zeitungsabonnements wären eine strategische Investition. 

Damit habe ich, gegen meine Gewohnheit, das Grußwort zu einem konkreten Vorschlag missbraucht. Ich glaube, wir sind die vorgeschlagene Maßnahme um unserer selbst willen auch unserer Zeitung schuldig. Sie ist zur Zeit so gut – und das gilt, zusammen mit unserer ADZ, besonders auch von der „Banater Zeitung“ – sie ist so gut, dass es fahrlässig wäre, diesen Kulturfaktor Zeitung nicht auch als Kulturprojekt einzusetzen, ihn politisch zur Bewusstseinsbildung zu verwenden und auch zur Mitglieder- und Wählerwerbung.

Und nun noch ein zweiter Hinweis:

Aus unserer Zeitung erfahren wir, was unsere Bürgermeister, unser Abgeordneter und unser Unterstaatssekretär tun, was sie beobachten, worauf sie unsern Blick lenken. Mir ist da u. a. aufgefallen, dass sich in der halb geglückten Parlamentsinitiative zweier Abgeordneter, den Geschichts- und Geografieunterricht der Schulen an die rumänische Sprache zu binden, (ihn also nicht in der Sprache der sogenannten „nationalen Minderheiten” zuzulassen), dass sich da wieder einmal ein Staatsverständnis zu Wort meldet, das als überholt gelten sollte. 

Unsere Abgeordneten hatten 1923, als in Bukarest die Verfassungsformel vom einheitlichen Nationalstaat geboren wurde, geschlossen gegen diesen Mythos protestiert. Als dann die Formel 1991 aus nostalgischen Gründen wieder auflebte, haben wir uns mit ihr, als mit einer Formel patriotischer Rhetorik, abgefunden. Doch wenn das zu Konsequenzen verführt, die die rumänischen Bürger nichtrumänischer Muttersprache diskriminiert, indem man dieser Muttersprache gleichberechtigte Bürger nicht zutraut, Geschichte und Geografie des Vaterlandes den Schülern richtig zu vermitteln, dann sollten wir das als ein Signal registrieren, das uns wachsam macht. Wir tun nicht nur uns einen Dienst, wir tun ihn dem rumänischen Staat, wenn wir solchen Tendenzen ruhig aber deutlich entgegentreten; und das nicht nur durch unsere Repräsentanten und durch unsere Zeitung, sondern auch in den Kreisen, in denen wir uns als Bürger bewegen. Wir sind ein demokratisches Forum und können, ja wir sollen Fehlentwicklungen meiden helfen und auf breiter Basis zu einer gesunden Meinungsbildung im Lande konstruktiv beitragen. Und wieder: Unsere Zeitung kann uns dabei helfen.