Randbemerkungen: Erschütterung

Der rumänische orthodoxe Fundamentalismus und der Volksobskurantismus sind erschüttert. „Arsenie. Via]a de apoi“ (etwa: „Arsenie. Das Leben danach/im Jenseits“) ist ein Dokumentarfilm von Alexandru Solomon, der die Volkspietät der orthodoxen Welt Rumäniens erschüttert.

Der Filmregisseur Nicolae M˛rgineanu warf seinem Kollegen „Blasphemie!“ vor („Dieser ganze Film ist in den Augen jedes Christen eine Blasphemie!“), um den Juden Solomon gleich darauf zu fragen, ob er denn in Rumänien „jemals benachteiligt oder ungerecht behandelt“ wurde und ob „die Rumänen dir etwas Böses angetan“ hätten. Klartext: der Jude Solomon entpuppe sich als undankbar, angesichts der „Toleranz“ der Rumänen den Juden gegenüber… 

Alexandru Solomon realisiert mit seinem (hoch professionell gemachten) Dokumentarfilm eine kulturanthropologische Spiegelung der religiösen Borniertheit, des religiös motivierten Volksfatalismus („A{a a vrut Domnul“, „So wollte es der Herr“), der Pilgerepidemien, die ganze Teile Rumäniens seit der Wende lahmlegen, der naiven  aber festverwurzelten Pietät. Eklatantestes Beispiel jedes Jahr im Oktober: die Hype um die „Heilige wunderbare/wundertätige Paraskevi“ der Moldau/des Balkans, die im 10. Jahrhundert gelebt hat - mit (um den 27. Oktober) 24 Stunden und längerem Schlangestehen zum Abschlecken ihres Reliquienschreins in Jassy. Oder die Hysterie um den „Heiligen Siebenbürgens“, Arsenie Boca, einen charismatischen Mönch, für dessen offizielle Heiligsprechung es auf die Synode stetig steigenden Druck gibt (in der Orthodoxie kann jede nationale orthodoxe Kirche im Rahmen der Autokephalie ihre „eigenen“ Heiligen ernennen).

Solomons Film kann inzwischen nicht überall und jederzeit gezeigt werden. In Arad wurde eine angesagte Projektion abgesagt, weil „empörte und beleidigte Gläubige“ die Leitung der Kultureinrichtung einschüchterten. Die Metropolie Hermannstadt hat öffentlich ein Verbot des Films gefordert (typisch für den erzkonservativen Metropoliten Dr. Lauren]iu Streza!). Der Sprecher der Patriarchie der Rumänischen Orthodoxen Kirche (BOR) unterstützte die Verbotsforderung nicht, zeigte aber auffallend viel Verständnis für die Empörung der Gläubigen. Und im Internet hieß es gar, der Jude Solomon habe kein Recht, überhaupt dran zu denken, einen Film über die Volkspietät der Rumänen zu machen. Der implizite Antisemitismus peitscht immer noch Wogen hoch.

Alexandru Solomon hat für seinen Film auf eigene Faust zu einer Pilgerreise zu Arsenie Bocas Grab aufgerufen – und Echo gehabt. Dabei hat er seinen Film gedreht. Mit Verständnis und Sympathie für die inbrünstig glaubenden Pilger. 

Arsenie Boca war ein Mönch, Priester, Theologe, Mystiker und Künstler. Er wurde von der Rumänischen Kommunistischen Partei verfolgt. Geboren in Va]a de Sus, Kreis Hunedoara, am 29. September 1910, starb er am 28. November 1989 im Kloster Sinaia und wurde im Kloster Prislop, in Silva{u de Sus, Landeskreis Hunedoara, beigesetzt. Der Theologe und Mystiker steht im Ruf, ein empathievoller Beichtvater gewesen zu sein, der sich auch mit dem Voraussagen der persönlichen und allgemeinen Zukunft der Menschheit beschäftigt hat. 

In seinem Film zeigt Solomon keinen Augenblick Verachtung oder auch nur Geringschätzigkeit gegenüber den porträtierten ehrlich Glaubenden, lässt aber keinen Zweifel daran, dass er ihre Art naiv-lächerlicher Pietät nicht teilt. Er hält sich auch nicht zurück mit kritischen Tönen zum mystischen Kult (bis zum Delirium) für den Mönch, zeigt auch die kräftige kommerzielle Komponente und jene des TV-Sensationsjournalismus. Allerdings ist bis zu „Blasphemie“, zum „Antichristlichen“, zu „Neo-Marxismus“ ein weiter Weg.

Die Reaktionen auf den Film zeigen, wie nötig dieses Land kritischen Verstand, Aufklärung, Abgeklärtheit, Wissen und Bildung hat.

Das ist das Verdienst des vielgeschmähten Regisseurs.