Randbemerkungen: Wird Deeskalation verunmöglicht?

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„Uns bremst die Angst. Wir fürchten uns davor, was geschehen könnte, wenn Russland diesen Krieg verliert. Es gibt kein Szenario, demzufolge beide Kriegsparteien Gewinner sein könnten im Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine. Möchten wir, dass die gegenwärtige internationale Ordnung überlebt, muss es den Ukrainern gelingen, die volle Souveränität über ihr ganzes Territorium wiederzuerlangen. Wenn wir erwarten, dass Russland letztendlich diesen Krieg verliert, ihn verlieren muss, dann wird es uns viel leichter fallen, für alle sich stellenden Fragen bezüglich der Unterstützung der Ukraine die entsprechenden Antworten zu finden.“

Das ist eine Aussage von Gabrielius Landsbergis, dem litauischen Außenminister. Unschwer ist daraus sowohl die Verzweiflung vor einem Dilemma – genauer: vor einer feststehenden Alternativlosigkeit – herauszulesen, die Erklärung und Verständnis für das einsame Zögern des deutschen Bundeskanzlers betreffs der Lieferung schwerer Kampfpanzer (das Leopard-Problem von Scholz...), vorweggenommen wird aber auch die nächste Zauderpartie: die Aufrüstung der Ukraine für einen Luftkrieg.

Die Signale, die der stellvertretende Verteidigungsberater des US-Präsidenten kurz vor Niederschrift dieser Randbemerkung lancierte, deuten auf eine Eskalation des Krieges vor der Ostgrenze Rumäniens hin. Und wenn die Ukraine leistungsfähige Kampfflug- und Bomberstaffeln hat, wer garantiert uns, dass sie in ihrer verzweifelten Verteidigung nicht weit über ihre Ostgrenzen zu operieren beginnt? Wer vermag es, einen Selenskyi an der Stange zu halten? Der von anderen lauthals Worthalten fordert, aber selber mit gegebenem Wort salopp umgeht (siehe Minderheitenfrage in der Ukraine).

Deswegen sollte man das Zögern von Olaf Scholz keineswegs leichtfertig als „Angst“ vor den Russen, als „Unentschlossenheit bis zur Lächerlichkeit“, als „fehlende Entscheidungsfreude“, „Entscheidungsunfähigkeit“, „Wohlstand vor Moral“ abtun, wie es rumänische Kommentatoren in ihrer balkanischen Art, sich überbietend, formuliert haben. Das Vorgehen von Scholz muss sowohl in einem 150-jährigen Kontext der deutsch-russischen Beziehungen, als auch unter dem Druck des internationalen Geistes der Demokratie und Freiheit, des internationalen Rechts, natürlich auch als Auswirkung von 78 Jahren Erziehung der Deutschen zur political correctness amerikanischer Prägung gesehen werden. Für den höchsten internationalen Vertreter Deutschlands ist es etwas völlig anderes, der Ukraine bedingungslose militärische Unterstützung zuzusagen, als es für England, Frankreich oder für die Baltischen Staaten, die Niederlande oder Schweden und Finnland ist. Zu dem in komfortabler Entfernung/Sicherheit zu Russland lebenden Weltenrichter USA schweigen wir.

Ein Jahr „Spezialoperation“ der Russen gegen die Ukraine hat bewiesen, dass Russland mit seinen immensen Ressourcen und seiner mittelalterlichen Autokratie weit davon entfernt ist, in die Knie gezwungen zu werden. Die ukrainische Propaganda kann noch ein Vielfaches mehr an rosa Farbe in ihre Lageberichte mixen – täuschen lassen darf man sich davon nicht. Ukrainisch starkes Rosa fördert und nährt die Durchhaltemoral der Bevölkerung, nutzt aber kaum etwas an der Realfront des Krieges, wo die Lage bestenfalls als „festgefahren“ bezeichnet werden kann, wo aber der Druck aus dem schwarzschwarzen Osten dauernd wächst und keine Erschöpfung zu verzeichnen ist. Einerseits sind deswegen die verzweifelten Rufe der Ukrainer nach mehr und effizienterer Rüstung verständlich. Andrerseits rücken mit jedem Panzer mehr, auf welcher Seite auch immer, die Voraussetzungen für Friedensverhandlungen weiter weg.

Mit der Lieferung von Kampfflugzeugen, Bombern, Drohnen und Mittelstreckenraketen steigt die Wahrscheinlichkeit des Überschwappens von Krieg über die Grenzen der Ukraine.