Ratingagenturen zwischen Politik und Finanzwelt

Selbst Wirtschaftswissenschaftler durchschauen das Vorgehen der Agenturen nicht / Von Johann Wolfschwenger

Wenn eine Nachricht – und sei es auch nur ein Gerücht – über die Bildschirme der Börsenbroker huscht, dann kann das die Finanzwelt gravierend beeinflussen. So geschehen vergangene Woche durch die Behauptung, Ratingagenturen würden die Bonität Frankreichs herabstufen. Die Meldung erreichte die Börsen am Mittwoch und prompt fielen die Aktien. Natürlich ist nicht ausschließlich das Gerücht Schuld an dem erneuten Absacken der Börsen, aber es hat einen nicht zu unterschätzenden Teil dazu
beigetragen. Der deutsche Leitindex DAX und sein französisches Pendant CAC40 büßten jeweils mehr als 5 Prozent ein.

Das vehemente Dementi der französischen Regierung zum angeblichen Verlust der Top-Bonität konnte an dem Kursverlust auch nichts mehr ändern: „Diese Gerüchte sind völlig haltlos und die drei Ratingagenturen Standard & Poor’s, Fitch und Moody’s haben bestätigt, dass es kein Risiko einer Herabstufung gab“, zitierte die französische Nachrichtenagentur AFP einen Sprecher des Finanzministers François Baroin. Die leichte Erholung vom Dienstag war gestoppt. Wenn ein Gerücht erst einmal in die Welt gesetzt ist, treibt es sein Unwesen. Da helfen auch offizielle Richtigstellungen nicht viel, denn Märkte basieren auf Vertrauen und nicht, wie man annehmen würde, auf harten Fakten.

Standard & Poor’s, Fitch und Moody’s sind die klingenden Namen jener Ratingagenturen, die das Vertrauen schaffen oder entziehen. Dabei kann eigentlich jedes Finanzinstitut Ratings oder Bonitätsbewertungen vornehmen, aber die drei genannten sind die anerkannten an den wichtigsten Finanzplätzen in New York, London, Tokio und Frankfurt und deswegen diejenigen, nach denen sich alle richten. Wenn eine der Agenturen ein Rating abgibt, dann bewertet sie die Schuldnerqualität eines Unternehmens oder Staates. Das heißt, sie stellt mittels komplizierter mathematischer Verfahren fest, wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls ist.

Die bewerteten Objekte werden dann anhand einer Skala, die bei allen drei Ratingagenturen zwar ein wenig unterschiedlich ist, aber im Prinzip das gleiche aussagt, gelistet. „AAA“, gesprochen „Triple A“, ist die höchste Bonitätsbewertung, das Ausfallrisiko ist gleich null. Die meisten westeuropäischen Länder weisen diese Bewertung auf. Nach „AAA“ kommt „AA“ und „A“, danach geht es weiter mit „Bs“ und „Cs“ wobei immer zuerst drei, dann zwei und danach ein Buchstabe stehen. Der Buchstabe „D“, für „Default“, bezeichnet einen Zahlungsausfall. Rumänien rangiert derzeit im Bereich BB+ (oft wird zur feineren Unterteilung noch ein Plus oder Minus angehängt), auf etwa dem gleichen Niveau wie die Banca Comercială Română (BBB+), die größte Bank des Landes. Es ist also laut Standard & Poor’s wahrscheinlicher, dass der rumänische Staat zahlungsunfähig wird, als die BCR.

Griechenland, zum Vergleich, erreicht nach mehreren Herabstufungswellen die Bewertung „CCC“, was man trivial als „Ramsch-Status“ bezeichnet, da ein Zahlungsausfall sehr wahrscheinlich ist, wenn sich die finanzielle Lage nicht entschieden zum Besseren wendet.

Staaten an den Finanzmärkten

Um sich nach einer Herabstufung am Markt wieder Kapital zu beschaffen, muss eine höhere Rendite, beziehungsweise müssen höhere Zinsen auf Staatsanleihen geboten werden, da das Risiko aus Gläubigersicht zunimmt. Für Staaten, die sich in der Regel Fremdkapital leihen, um die Zinsen für ihre Staatsschulden zu tilgen, bedeutet das höhere Kosten. Italien, dessen Bonität derzeit mit „A+“ bewertet wird, muss momentan über sechs Prozent Zinsen für seine Anleihen zahlen.

Damit die hohen Kosten zur Refinanzierung nicht noch tiefere Löcher in den Staatshaushalt reißen, wird diskutiert, ob das Mittelmeerland nicht schon vorsorglich unter den Euro-Rettungsschirm schlüpfen soll. Noch schlimmer ist es im Fall Griechenlands. Die Staatsanleihen bergen bereits ein so hohes Ausfallrisiko, dass Anleger die Papiere nicht mehr zeichnen. Die einzige Möglichkeit für Griechenland, die fälligen Forderungen zu bedienen, ist der Rettungsschirm, der frisches Kapital zu günstigen Konditionen zuschießt.
Die prekäre Lage, von privatwirtschaftlichen Unternehmen bewertet zu werden, haben die Regierungen selbst verschuldet. Staaten stoßen eigene Anleihen ab, investieren und spekulieren an den Börsen und borgen sich Geld zu Konditionen, die durch die Märkte bestimmt werden, um ihre Haushaltslöcher zu stopfen.

Sie sind vom Regulator zum Anbieter und Nachfrager avanciert, indem sie auf die Kapitalmärkte drängten, und müssen sich infolge dessen auch Marktmechanismen, sprich Bonitätsbewertungen und eventuell auch Insolvenzen, unterwerfen. Diese Tatsache stößt bei einigen Politikern auf Widerstand. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy waren die ersten Politiker, die öffentlich die Vormachtstellung der US-amerikanischen Institute beschränken wollten. In Kreisen von Kommentatoren und Experten wird eine Machtbeschränkung schon lange diskutiert.

Im Sommer 2010 legten die Staatschefs anlässlich eines EU-Sondergipfels „Vorschläge zur Stärkung des Wettbewerbs zwischen Ratingagenturen“ vor. Getan hat sich seitdem nichts. Auch die EU-Justizkommissarin Viviane Reding unterstützt den Vorschlag zur Beschränkung der Ratingagenturen. Sie kritisiert Anfang Juli in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung „Die Welt“, „dass ein Kartell dreier US-Unternehmen“ über das Schicksal von Volkswirtschaften entscheide. Als Lösung schlägt sie vor, entweder das Monopol der US-amerikanischen Agenturen zu zerschlagen oder zusätzlich eine europäische und asiatische Ratingagentur zu etablieren. Aber am grundsätzlichen Problem, nämlich dass Ratings von Staaten nie ganz objektiv sein können, ändert die Zerschlagung des US-amerikanischen Monopols auch nichts.

Das Problem ist die politische Dimension

Forscher der Universität Sankt Gallen, eine der renommiertesten Wirtschaftsuniversitäten in der Schweiz, haben in einer aktuellen Studie, über die die Wochenzeitung „Die Zeit“ berichtet, herausgefunden, dass Ratingagenturen bisweilen mit ihren negativen Bewertungen von Staaten tatsächlich übertrieben haben. So seien Griechenland, Portugal, Irland und Spanien am Beginn der Schuldenkrise tatsächlich übertrieben stark heruntergestuft worden. Bei Staaten fließen nämlich nicht nur wirtschaftliche Indikatoren in die Berechnung des Rating mit ein, sondern auch politische: Anders als Unternehmen sind Staaten nämlich nicht an Gesetze gebunden.

Es muss also auch berücksichtigt werden, ob ein Staat willens (und nicht nur fähig) ist, seine Schulden zu begleichen. Die Herabstufung der USA von Top-Level „AAA“ auf „AA+“ ist ein Beweis dafür: Die Ratingagentur Standard & Poor’s, die diesen Vorstoß unternahm, ließ in der Begründung verlauten, dass nicht die reale wirtschaftliche Lage zu diesem historisch einmaligen Schritt geführt habe, sondern das parteipolitische Gezänk um die Anhebung der Schuldengrenze wenige Tage vor der Zahlungsunfähigkeit. Das Vertrauen in eine konsistente Finanz- und Wirtschaftspolitik sei erschüttert und rechtfertige die Herabstufung. Ein besseres Beispiel ist die Argentinien-Krise in den Jahren 1998 bis 2002. Infolge einer starken Rezession zahlte der lateinamerikanische Staat einen Teil seiner Verbindlichkeiten an private Gläubiger nicht mehr zurück. Solche Ereignisse können zu diplomatischen Auseinandersetzungen führen, rechtliche Konsequenzen hatte Argentinien aber keine zu befürchten.

Keine 100-prozentige Objektivität

Auch bei der mathematischen Erfassung von Volkswirtschaften als sozio-ökonomische Gebilde tun sich Probleme auf. Zwar gibt es Wirtschaftsdaten und Indikatoren, die man zu Berechnungen heranziehen kann, im Endeffekt bleibt aber eine gewisse Unsicherheit, die die Aussagefähigkeit der Ratings beschränkt. So halten viele ausländische Experten die Herabstufung der USA für einen bereits überfälligen Schritt. Die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua findet deutliche Worte: Die Zeiten, in denen sich die USA ihre Probleme durch das Anhäufen neuer Schulden vom Hals schaffen könne, seien nun endgültig vorbei. Hingegen spricht der US-Finanzminister Timothy Geithner kurz nach der Veröffentlichung der Herabstufung von Rechenfehlern und einem ungerechtfertigten Schritt.

Ratings laufen damit Gefahr zum Politikum zu werden. Es fehlt vor allem Transparenz, denn wie die Agenturen der politischen Dimension und den sozio-ökonomisch schwer kalkulierbaren Faktoren in ihrer Bewertung Rechnung tragen, ist deren Geheimnis. Oder wie es Björn Griesbach, Mitverfasser der Untersuchung an der Universität Sankt Gallen, beschreibt: „Wie genau die Agenturen zu ihren Ratings kommen, ist für uns nicht nachvollziehbar“. Wenn nicht einmal Wirtschaftswissenschaftler das Vorgehen der Agenturen durchschauen, ist der Ärger so mancher Politiker über eine Herabstufung sogar verständlich.