(Rück)Blick in den Schulranzen

Ein Beitrag zum Zeitgeschehen von Ortwin-Rainer Bonfert

Eine aktuell in Bayern aufgeflammte Diskussion über ein Flugblatt im Schulranzen vor 35 Jahren schwappt medial über Deutschlands Grenzen und wirft die Frage auf: „Wie war es damals bei mir?“

Bayerns Wirtschaftsminister hat bereits in der jüngsten Vergangenheit mehr mit seinen Sprüchen, als mit seinem wirtschaftlichen Engagement von sich reden gemacht. Anderthalb Monate vor Wahlen des bayerischen Landtages und damit auch von Markus Söder als Ministerpräsident, der den Rumäniendeutschen wohlgesonnen ist, kommt sein gegenwärtiger Stellvertreter einer anderen Partei in die Kritik für ein höchst antisemitisches Flugblatt, das er in seinem Schulranzen gehabt hat (siehe Beitrag unten, Anm. d. Red.). Schulranzen? Was spielt das 35 Jahre später noch für eine Rolle? Der (Rück)blick in den eigenen Schulranzen kann aufschlussreich sein.

In kommunistischen Zeiten befand sich in meinem Schulranzen neben Büchern und Heften die Jause, bestehend aus Doppelbrot mit Fett sowie Batullapfel, der sich über den Winter hinweg gut lagern ließ. Das war’s. Geh zur Schul’ und lern’ etwas. Auffallen wollten wir als Siebenbürger Sachsen nicht, wurden wir doch als Deutsche bei Streitigkeiten gleich als Faschisten beschimpft, selbst von jenen, die gar nicht wussten, was das zu bedeuten hatte. Was bedeutete das für uns? 

Eine Bedeutung hatten damals solche Beschimpfungen als Faschist für mich keine. Ich sah weder mich noch meine Großeltern als solche an, auch wenn mein Großvater als Leiter des Fuhrparks der Volksgruppe in Kronstadt/Brașov tätig war und angstvoll nach dem Krieg via Österreich in die USA verschwand – wort- wörtlich. Er ließ meine Großmutter mit drei Kindern schlicht zurück. Wer er sonst war, erfuhr mein damals einjähriger Vater nie.

Als Antisemiten sahen wir uns damals auch nicht. Im Hermannstädter Bruken-thal-Lyzeum zählte eine jüdische Klassenkollegin - unter uns geschätzt – zu den Besten des Jahrgangs. Wesentlich mehr Aufmerksamkeit erhielt eine andere Klassenkollegin, von dessen Vater bei der Securitate alle wussten und sehr genau darauf achteten, was man in ihrer Anwesenheit sagte und vor allem nicht gesagt hat. 

Nach der Wende im Winter 1989/90 kamen dann dennoch zusätzliche Schriften in meinen Schulranzen. Ich habe mich in der neuen Schülerzeitung eingebracht, der „L.B. - Lyzeum Brukenthal“. In Anlehnung darauf verfasste ich mit 17 einen Beitrag über „L.B. - lebăda bolnavă“ als sterbendem Schwan, der angeblich gerade dann schön singen kann, während alle nur an das Auswandern dachten. Und da war noch ein Beitrag, auf den mich meine Deutschlehrerin und mein Geschichtslehrer „Gehan“ ansprach: Die Schulreform des Humanisten Johannes Honterus erschien mir sehr verlockend, um darauf basierend 1990 Schulreformen nach der kommunistischen Wende anzumahnen. Zum 20jährigen Klassentreffen 2010 erstellte ich gemeinsam mit einer Freundin eine Sonderausgabe der „L.B.“ und alle sagten: ja, das passt zu ihm, so war er bereits in Jugendzeiten.

Das, was wir alle, wie auch ein bayerischer Wirtschaftsminister, früher auch im übertragenen Sinne im  Schulranzen trugen, das tragen wir heute mit uns noch herum. Das können wir nicht rückgängig machen - egal ob es Jugendfisimatenten waren, oder veritable Wegbereiter. Entscheidend ist, wie wir heute damit umgehen. Mich jedenfalls stimmt es hoffnungsfroh, dass die deutschen und jüdischen Abgeordneten des rumänischen Parlaments, Ovidiu Gan] und Silviu Vexler, sich gemeinsam dafür tatkräftig engagieren, dass der rumänische Holocaust in die Schulbücher aufgenommen wird. Das gehört heute in den Schulranzen.