Rüstkammer für den Alltag

Randbemerkungen

Blitzkriege sind seit dem 24. Februar 2022 Kriegsgeschichte, Teil der Vergangenheit. Auch das ist ein Ausdruck der Globalisierung, denn wenn Blitzkriege grundsätzlich zwischenstaatliche, sozusagen „lokale“ Kriege waren, so ist im Globalisierungszeitalter ein derartiger Krieg unmöglich. Denn während das Russland Wladimirs des Gernegroßen Verbündete und ein übernationales Hinterland im Osten aufzubauen sucht, schanzt der vereinigte uneinige Westen dem ungewollten, aber nicht unschuldigen Russlandgegner Ukraine Kriegsmaterial zu, schuldig wegen einer Minderheitenpolitik bis zum Kriegsausbruch, an Kiews Meinungsknebelungspolitik heute.

Selbstverständlich haben wir die Grund-Pflicht als Demokraten, vorerst vor demokratischen Ausrutschern des der russischen Aggression ausgesetzten Landes beide Augen zuzudrücken. Doch registrieren wird man sie wohl dürfen. Nicht so tun, als gäbe es sie nicht. Das, vorläufig, nur nebenbei.

Pentagon-Chef Lloyd Austin hielt auf dem diesjährigen Halifax International Security Forum (HFX), einer Art Davos für internationale Sicherheitsprobleme, eine richtungsweisende Rede, als deren Kernaussage gilt, dass die „Verteidigungsschlacht“ um die Ukraine „hilfreich“ sein werde „für die Bestimmung des Laufs und der Zukunft der globalen Sicherheit“. Möglich, dass die kaum noch leugbare Wahrnehmungsmüdigkeit des selbstzufriedenen und wieder in sich ruhenden Westens bei einer solchen Aussage mit Pate stand, ebenso wie ein kaum verhohlener Wink an die US-Alliierten, mit der Unterstützung der Ukraine die Zügel jetzt, vor Weihnachten und Neujahr, nicht hängen zu lassen. In dieselbe Kerbe scheint auch der ukrainische Außenminister Kuleba gezielt zu haben, als er von einer bevorstehenden russischen Großoffensive „in absehbarer Zeit“ im Norden, Raum Charkiv-Kiew, sprach.

Die Aussage des US-Verteidigungsministers kommt aber auch im Kontext der besorgniserregenden europäischen Energieprobleme (Verursacher: Russland und die langjährige politische Tumbheit des Abendlands), der höchstwahrscheinlichen Meinungsverschiedenheiten der Alliierten, die – noch – hinter verschlossenen Türen ausgetragen werden, der Verschlechterung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse und damit der Verschärfung des öffentlichen Drucks auf Parteien und Regierungen, vor allem, seit der Winter Zähne zeigt. Laut Austin ist die Ära („wegen der niemand der Puls hochgeht“) eines regelbasierten internationalen Zusammenlebens seit dem 24. Februar vorbei. Wenn die Nachkriegsordnung mit Nonchalance von den Soldatenstiefeln der Russen niedergequetscht wurde, beim Versuch, neue Grenzen aufgrund von Macht – nicht von Recht – zu ziehen, dann könne die Causa der Ukraine von der demokratischen Welt auch als Verteidigung der Normalität angesehen werden.

Die USA wolle „sichergehen“, sagte Lloyd Austin, sinngemäß in Kanada, dass „der Demonstrativeffekt den Raum der Ukraine überschreitet“, dass er „Relevanz“ für künftige internationale Beziehungen bekomme. Ein Nachweis, dass die „Invasion ein strategischer Fehler Putins“ war. Was auch hieße, dass Russland langfristig einen hohen Preis als nationale Macht zu zahlen hätte, wenn sein Ukrainefeldzug scheitert.

Implizite wäre das dann die angepeilte Warnung an jedwelchen anderen Aggressor, der mit seinem Vorgehen neue Grenzziehungen verfolgt (ein Schelm, wer an China, Taiwan und den Pazifikraum denkt…). Übrigens kam diese Vervollständigung von Jake Sullivan, dem Nationalen Sicherheitsberater Joe Bidens. Was dem Westen wie der Ukraine allerdings nach Meinung von Militärexperten weiterhin fehlt, ist „strategische Tiefe“. Nicht nur die Fähigkeit der Industriekomplexe des Abendlands (als „Rüstkammer der Demokratie“), die Ukraine laufend mit hochwertig effizientem Kriegsmaterial zu versorgen, sondern auch mit Überlebens-Mitteln.

Energie, Wasser, Lebensmitteln, Alltag.