„Rumänien ist Teil der Lösung und nicht das Problem“

Gespräch mit Neos-Abgeordnetem Nikolaus Scherak

Nikolaus Scherak von den Neos zu Besuch in Hermannstadt Foto: Roger Pârvu

Dass Österreich gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens gestimmt hat, hat auf politischer Ebene, aber nicht nur, die Beziehungen zu Rumänien ins Schwanken gebracht. Protest wurde in beiden Staaten auf politischer, wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene vernommen. In diesem Kontext besuchte der Nationalratsabgeordnete Nikolaus Scherak von der liberalen österreichischen Partei Neos auf Einladung der lokalen USR (Union Rettet Rumänien) Hermannstadt/Sibiu. Der Unternehmer wurde 1986 in Wien geboren, zu seinen politischen Schwerpunkten gehören: Grund- und Freiheitsrechte, Demokratie und der Rechtsstaat. Während seines Aufenthalts in Hermannstadt sprach Nikolaus Scherak mit ADZ-Redakteur Roger Pârvu über die Hintergründe der österreichischen Positionierung gegenüber Rumänien, aber auch über die Zukunft der Europäischen Union und über demokratische Prozesse.   

Herr Scherak, Sie befinden sich gerade in Hermannstadt als Vertreter der österreichischen Neos-Partei. Welches waren die Beweggründe für ihren Besuch? 

Die Vorsitzende unserer Partei Neos, Frau Beate Meinl-Reisinger, und ein weiterer Kollege sind gerade in Bukarest. Parallel dazu läuft mein Besuch hier. Der Grund, warum wir so daran interessiert sind, hierher zu kommen, ist natürlich das Schengen-Votum der österreichischen Regierung. Es gibt drei Gründe, warum wir als Liberale im österreichischen Parlament denken, dass dieses Veto keinen Sinn gemacht hat. Erstens: die wirtschaftliche Komponente. Es gibt nicht nur viele österreichische Unternehmen, die in Rumänien aktiv sind, investieren und natürlich auch davon profitieren, es gibt umgekehrt viele rumänische Arbeitnehmer in Österreich, hauptsächlich im Gesundheits- und Betreuungswesen. Aus dieser Sicht verstehen wir als Liberale nicht wirklich, warum wir die rumänische Bevölkerung mit dem Schengen-Veto beleidigen mussten. 

Zweitens: Die österreichische Regierung muss zugeben, dass es sich um ein Problem des europäischen Asylsystems handelt. Aus dieser Perspektive sehen wir nicht ein, warum es ein Problem mit Rumänien geben sollte. Aus unserer Sicht ist Rumänien kein Problem. Rumänien könnte ein Teil der Lösung sein und ist bereits ein Teil der Lösung. 

Drittens: Was wir als Österreich getan haben, ist nicht wirklich intelligent, um es so zu sagen. Wir haben den rumänischen Staat beleidigt. Wenn es um die Schengen-Mitglieder geht, sind wir auf europäischer Ebene kein ehrlicher Partner mehr. Wir haben der rumänischen Regierung, glaube ich, 20 Mal oder mehr mitgeteilt, dass alles in Ordnung sei. Das ist nicht die Art und Weise, wie sich ein ehrlicher Partner auf europäischer Ebene verhält. Also für uns ist das irgendwie peinlich. Und wenn es andere Dinge gibt, die wir auf europäischer Ebene durchsetzen wollen, wird es nicht viele Mitgliedsstaaten geben, die sagen: OK, lasst uns auf Koalitionsebene zusammenarbeiten  – weil sie wissen, dass man sich nicht wirklich auf Österreich verlassen kann. 

Tatsächlich wurde die österreichische Entscheidung getroffen, weil wir in Niederösterreich Regionalwahlen hatten. Das war der Hauptgrund, warum wir das gemacht haben. Und das macht die Sache noch schlimmer. 

Die Schuld liegt selten nur auf einer Seite. Was hätte die rumänische Regierung besser machen können, um Österreich umzustimmen?

Ich denke, es gibt zwei Dinge, die man von der rumänischen Warte aus hätte besser machen können. Wenn man in der gleichen Parteifamilie ist, wie es die großen Parteien in Rumänien und in Österreich sind, dann muss man einen besseren und direkteren Kontakt zueinander haben. Man muss so etwas wie eine Kurzwahlnummer haben, die man anrufen kann, um direkt Probleme anzusprechen und zu verhandeln. Und zweitens, dass die Leute in der Europäischen Union wissen, dass das ganze Asylverfahren in Österreich ein großes Thema ist. Da hätte es vielleicht eine Art Lösungsvorschlag von rumänischer Seite geben können.

Ist es Ihrer Meinung nach möglich, noch in diesem Jahr an einen Schengen-Beitritt Rumäniens zu denken? 

Ich weiß es leider nicht. Ich hoffe es. Wir haben April eine weitere Wahl und danach gibt es vielleicht eine Chance. Schweden hat die rotierende Präsidentschaft. Aber da wir bereits März haben und sie Ende Juni wechseln werden, bin ich mir nicht ganz sicher, ob wir die Lösung innerhalb der schwedischen Präsidentschaft haben, aber wahrscheinlich bis Ende 2023. Zumindest hoffe ich das. Ich weiß, dass Rumänien und Bulgarien als ein Paket behandelt werden, also müssen wir auch unsere Freunde in den Niederlanden überzeugen.

Sie haben die Problematik des Asylverfahrens auf europäischer Ebene angesprochen. Wo sehen Sie die Probleme und welches wären die Lösungsansätze?

Wir haben viele Asylwerber in Österreich, viel mehr als andere Staaten in Europa, aber das ist nicht die Schuld Rumäniens. Es ist in erster Linie die Schuld Ungarns, weil sie gerade an der Schengen-Außengrenze sind. Die Asylbewerber, die nach Österreich kommen, kommen über Ungarn, Kroatien oder Slowenien. 

Wir als Liberale haben vor ein paar Jahren ein neues System vorgeschlagen, das wir Schengen 2.0 nennen. Wir sind der Meinung, dass es gut ist, wenn man die Freizügigkeit innerhalb des Systems hat, aber man muss die Außengrenzen kontrollieren. Und das bedeutet, dass man eine Art Schnellkontrollsystem an den Außengrenzen haben muss, so dass man überprüfen kann, ob die Leute, die hierher kommen, überhaupt eine Chance haben, sich auf Asyl zu bewerben.  

Es muss eine europäische Aufgabe sein, weil es nicht nur Rumänien sein kann, welches die Außengrenzen sichern muss. Man muss in ganz Europa die gleichen Standards haben. Sonst wird es nicht funktionieren. Und dann muss man in diesem Schengen-2.0-System die Asylbewerber auf ganz Europa verteilen. Und sie sollten dort bleiben müssen, wo sie verteilt werden. Solange sie von den betreffenden Staaten finanziert werden, müssen sie auch bleiben.

Blicken wir auf die Zukunft der EU: Neos setzt sich verstärkt für ein Föderatives System innerhalb der EU ein. Was genau verstehen Sie darunter?

Ich denke, der Staatenbund ist eine Art europäischer Traum seit den Anfängen der Union. Es ist eine Art europäischer Identität, die damit verbunden sein muss. Und ansonsten denke ich, dass es viele Dinge gibt, die auf europäischer Ebene gelöst werden müssen. Man kann sie nicht mehr auf nationaler Ebene lösen. Schauen Sie sich all die Probleme an, die im Moment durch den Krieg in der Ukraine entstehen. Ich denke also an eine starke EU und bin überzeugt sie wäre stärker, wenn es einen europäischen Staat mit 27 Nationalstaaten, die natürlich erhalten bleiben, geben würde. 

Eine stärkere EU wäre aus Ihrer Sicht mit einer stärkeren Befähigung des Europäischen Parlaments verbunden? 

Das sollte eines der Hauptziele sein, da das Europäische Parlament das einzige ist, das direkt gewählt wird und die einzigen Vertretern in der Europäischen Union, die direkt gewählt werden, sitzen im Europäischen Parlament. Ich denke, das Europäische Parlament sollte auf jeden Fall das Recht auf Initiativen haben. Und da die Parlamente die direkt gewählten Kammern sind und nicht die Regierungen, müssen sie viel mehr Rechte haben. 

Könnte man dabei auch an schlankere europäische Strukturen denken? Vielleicht sogar an eine „Entmachtung“ der Regierungsvertreter, die oft am EU-Parlament vorbei bestimmen?

An schlankere Strukturen kann man immer denken. Spricht man über den Beamtenapparat der Europäischen Union ist es eher harmlos. Die EU hat weniger Beamte als die Stadt Wien, da gehört in Wien alles dazu, von dem Rettungsdienst bis zur Müllabfuhr. Was Sie aber als wichtigen Punkt angesprochen haben ist, dass die Regierungschefs alles blockieren, dass es die Mitgliedsstaaten sind, die Sachen wie das europäische Asylsystem blockieren. Das muss dahin gehen, dass man ganz einfach den Rat entmachtet. Unser Vorschlag ist ein echtes Zweikammern-Parlament, also einerseits das Parlament und andrerseits die Vertreter der Regierungen, und die sind gleichberechtigt.    

In diesen Kontext gehört auch einer Ihrer weiteren Schwerpunkte: die direkte Demokratie. Wo sehen sie hier die Probleme und wohin müssten wir hin? 

Das größte Problem mit direkten demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten in Österreich ist, dass sie de facto nicht existieren. Man kann die ganzen Volksbegehren machen, wo man halt schreibt was man gerne hätte, aber das kommt ins Parlament und wird dort ignoriert. Die Frage bleibt, ob ich Veränderungen, die klar auf die Gesetzgebungsebene gehören, auch aus dem Volk heraus initiieren kann. Wir haben immer gesagt, wir möchten es vorantreiben. Dass ein Gesetzesvorschlag von einer Anzahl Menschen eingereicht werden kann, der dann aber ab einer größeren Anzahl verpflichtend zur Abstimmung kommt. Das Parlament wird weiterhin eine Rolle spielen müssen, das heißt, das Parlament hat die Möglichkeit, einen Gegenvorschlag zu machen. So sind wir bei der Frage, wie man das verwirklichen kann, wenn man auf der kleinen Ebene, bei den Kommunen und Gemeinden beginnt. Es braucht eine gewisse Zeit, bis direkte Demokratie wahrgenommen und erlernt wird. Man muss das stufenweise aufbauen, und das wäre unser Vorschlag. 

Kann man sich eine Zeitspanne vorstellen, in der das auch auf europäischer Ebene umgesetzt werden könnte? Oder wäre da die Lösung eben die Bundesstaaten, die Föderation? 

Wir haben uns vorgenommen, dass das was es jetzt schon als Bürgerinitiative gibt in Zukunft noch klarer zu machen und das es wirklich zur Abstimmung über entsprechende Gesetze kommt. Aber ich glaube, dass man erst einmal die entsprechende europäische Öffentlichkeit braucht, sowie auch seriöse europäische Medien die darüber berichten, weil die Gefahr der direkten Demokratie der Missbrauch durch Populisten bleibt. Ich glaube es dauert wirklich lang und man muss sich das ganz genau ansehen. Aber grundsätzlich glaube ich, dass dieses ein wesentlicher Hebel ist um die Beteiligung der Bevölkerung innerhalb der EU zu steigern. 

Das Verhältnis zwischen der EU und den USA ist nicht immer einfach. Was müsste die EU tun, damit diese Beziehung nicht mehr von einem Präsidenten wie Trump fast aufgehoben werden kann?

Am einfachsten wäre es natürlich, wenn wir als Europäer selbstbewusster auftreten würden und nicht mehr so sehr von den Amerikanern abhängig wären. Und das hat auch mit unserer Idee der Bundesstaaten, der Republik Europa, der Vereinigten Staaten von Europa zu tun, dass wir selbstbewusster auftreten. Dann bleibt immer die Problematik – was passiert, wenn dort ein verrückter Präsident ist? Wir sind wahnsinnig froh, dass wir die USA haben, weil sie in der NATO-Partnerschaft vorherrschend sind und unsere Sicherheit garantieren, dass tun sie aber nur, solange Trump nicht Präsident ist, und wenn er wieder kommt, weiß man nicht, was los ist. Es wäre in unserem ureigensten Interesse, dass wir, als Europa, selbstbewusster, resilienter, verteidigungsfähiger sind. 

Also auch die Wiederaufnahme des Gedankens eines europäischen Heeres. 

Wir sind bei Neos zutiefst überzeugt, dass es eine europäische Armee braucht, ein Berufsheer, an dem sich alle Staaten beteiligen. Ich halte das für die einzig richtige Möglichkeit. Wir sind sehr froh, dass wir die NATO haben momentan und dass sie uns verteidigt, aber ich glaube, dass die EU auch alleine verteidigungsfähig sein sollte. 

Herzlichen Dank für das Gespräch.