„Rumänien zeigt, dass ein Zusammenleben verschiedener Kulturen möglich ist“

Ein Gespräch mit der wissenschaftlichen Delegation des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde

Die Delegation des IDGL im Sathmarer Kreismuseum: Dr. Cristian Cercel, Dr. Daniela Simon und Prof. Dr. Reinhard Johler (v.l.n.r.) Foto: Arthur Glaser


Das Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde (IDGL) in Tübingen besteht seit 1987. Das Institut hat sich über die Jahrzehnte zu einer national und international anerkannten Forschungseinrichtung entwickelt, die inhaltlich die Geschichte, Landeskunde und Dialekte der deutschen Siedlungsgebiete in Südosteuropa sowie die zeitgeschichtlichen Fragen von Flucht, Vertreibung und Eingliederung der deutschen Heimatvertriebenen erforscht und dokumentiert. Über die Jahre hat das Institut auch zahlreiche Kooperationen mit institutionellen Partnern in Südosteuropa aufgebaut, darunter auch einige in Rumänien. Um alte Partnerschaften zu pflegen und neue zu schließen, unternahm eine Delegation des IDGL Mitte Februar einen Arbeitsbesuch in Rumänien. Zur Delegation gehörten Institutsleiter Prof. Dr. Reinhard Johler, Geschäftsführerin und stellvertretende Institutsleiterin Dr. Daniela Simon sowie der wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Cristian Cercel. Beim Besuch im Kreismuseum Sathmar/Satu Mare sprach ADZ-Redakteur Arthur Glaser mit den Tübinger Wissenschaftlern über Kulturerbe, Migration und Forschungsperspektiven.

Herr Prof. Dr. Johler, Sie sind seit 2008 wissenschaftlicher Leiter des IDGL. Wie haben sich die Forschungsfelder in dieser Zeit bis heute verändert?

Prof. Dr. Johler: Es stellt sich zunächst die Frage, wer forscht. In der Anfangszeit waren es Wissenschaftler, die selbst aus Rumänien ausgesiedelt waren und die das Institut auch mit ihrer Sprachkompetenz und ihren Netzwerken prägten. Bei uns waren das Herr Beer und Herr Wolf oder auch Frau Fata aus Ungarn. Mit dem Generationswechsel bei den Wissenschaftlern kommen auch neue Perspektiven hinzu. Die Herkunft der Wissenschaftler spielt eine Rolle, aber es ist nicht mehr das eigene Schicksal, das entscheidend ist. Wir wollen auch zukünftig unbedingt, dass alle Sprachen am Institut vertreten sind. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal.

Die großen Fragestellungen sind dieselben geblieben, aber die Welt hat sich verändert. Migration und Flucht rücken stärker in den Fokus. Ein weiterer Punkt mit Blick auf die Donauschwaben ist, dass die Generation der Zeitzeugen immer kleiner wird. Die Frage ist dann: Wie geht die dritte Generation damit um? Manche verdrängen die Migrationserfahrung, für andere bleibt sie zentral. Die Do-nauschwaben sind in diesem Zusammenhang ein Schlüssel, um unsere Gegenwart besser zu verstehen.

Sie sind als Delegation in Rumänien unterwegs und tauschen sich mit institutionellen Partnern aus. Dazu gehören Institutionen in Klausenburg, in Hermannstadt sowie auch das Kreismuseum hier in Sathmar. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit diesen Partnern, insbesondere hier in Rumänien?

Dr. Cercel: In Sathmar haben wir eine alte Partnerschaft mit dem Kreismuseum, die wir konsolidieren möchten. In Klausenburg geht es auch um die Wiederbelebung der Partnerschaft mit der Universität. Aber auch mit dem Geschichtsinstitut „George Bari]iu“ sowie eine neue Partnerschaft mit dem Institut für Minderheitenforschung. In Hermannstadt tauschen wir uns mit dem Deutschen Forum aus, zudem geht es auch um eine Kooperation mit dem Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften und mit der Universität, sowie mit der Universitätsbibliothek. In Bukarest kooperieren wir mit dem Institut für Südosteuropäische Studien und der Universität Bukarest. Im Ergebnis geht es um das Knüpfen neuer und das Wiederbeleben alter Partnerschaften.

Prof. Dr. Johler: Partnerschaften bedeuten in diesem Fall auch immer Bücheraustausch.

Dr. Simon: Konkret ist es eine Zusammenarbeit auf der Ebene der Bibliothek im Rahmen des Austauschs von Büchern und Publikationen. Auch im Bereich der Lehre. Unser Institut ist ein Forschungsinstitut mit einer eigenen Bibliothek und einem Archiv. Wir lehren an der Universität Tübingen, aber auch an anderen Universitäten. Wir fördern den wissenschaftlichen Nachwuchs mit Stipendienprogrammen des Landes Baden-Württemberg. Dabei geht es um Studierende, Promovierende und Post-Docs. Zudem entstehen gemeinsame Forschungsprojekte, deren Ergebnisse publiziert werden.

Die deutsche Minderheit in Rumänien setzt sich stark für den Erhalt ihres kulturellen Erbes ein. Wie wichtig ist kulturelles Erbe in Zeiten zunehmender Globalisierung?

Prof. Dr. Johler: Man sieht es ja weltweit, dass es wichtig ist. Dass Menschen nicht einfach sagen, es ist ganz gleich, wo ich auf die Welt gekommen bin, ich bin ein Weltbürger, sondern es ist für einen überwiegenden Teil wichtig zu sagen, woher ich komme. Die Wissenschaft reflektiert, an was erinnert wird und was in Vergessenheit gerät. Migration spielt dabei eine zentrale Rolle. Erinnerungen entstehen nicht nur an einem Ort, sondern werden durch Gruppen gebildet. Die Sathmarer Schwaben vor 300 Jahren hätten nicht gedacht, dass sie so lange bleiben. Manche wanderten weiter, manche kehrten zurück. Eine gemeinsame Geschichtsbetrachtung ist essenziell, um Identität zu verstehen. Rumänien zeigt, dass ein Zusammenleben verschiedener Kulturen möglich ist. Es geht nicht um Dominanz, sondern um die Organisation von Koexistenz.

Seit 2009 gibt es ein „Forum Landsmannschaften“ am IDGL. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?

Dr. Simon: Wir treffen uns regelmäßig mit Landsmannschaften der Banater Schwaben, Sathmarer Schwaben, Donauschwaben und Ungarndeutschen in Tübingen. Es ist ein offener Austausch über Aktivitäten und Forschung. Natürlich gibt es Landsmannschaften, die etwas größer sind und daher auch mehr zu berichten haben.
Prof. Dr. Johler: Wir bemühen uns ja auch, die Veranstaltungen der Landsmannschaften zu besuchen. Ich habe beispielsweise die Landsmannschaft der Sathmarer Schwaben beim Schwabentreffen in Nürnberg getroffen. Der Austausch ist besonders im Hinblick auf die dritte Generation wichtig.

Zudem übernehmen wir Archivmaterialien, die sonst verloren gegangen wären. Unser Institut sammelt als einziges systematisch diese Bestände und macht sie digital zugänglich. Es gibt ja auch international durchaus Forschungsinteresse an den Donauschwaben.

Das Thema Migration ist zurzeit aktueller denn je. Auch die donauschwäbische Geschichte ist eine Migrationsgeschichte. Inwiefern beeinflussen historische Migrationsbewegungen aktuelle Integrationsprozesse in Europa?

Prof. Dr. Johler: Früher war es schwieriger, mit den Landsmannschaften über Migration zu reden, weil sie das selber nicht so gesehen haben. Migration heißt ja nichts anderes als Wanderung, und wir leben in einer Zeit der Wanderung. Migration ist ja nicht immer nur ein einfaches Thema, das auf Zustimmung stößt. Man merkt in der Gegenwart, welcher Gegenwind sich da auftut. Doch Migration ist Teil unserer Realität. Historische Migration zeigt, dass Integration gelingen kann – unter bestimmten Bedingungen. Wenn man Flucht, Vertreibung und auch die Spätaussiedlung der Donauschwaben sieht, dann hat das auch in Deutschland für viel Aufregung gesorgt. Unter bestimmten Bedingungen kann Migration auch gut ausgehen. Die Donauschwaben waren ja in diesem Sinne eine Ausnahme, weil sie eben deutschsprachig waren und sich dadurch beispiels-weise in der Schule oder auch im Kirchenchor leichter integrieren konnten. Andere Migrantengruppen haben es heute schwerer, wenn Sprache und Religion nicht übereinstimmen. Die Aufnahmegesellschaft bestimmt letztlich, wer wie integriert wird. Diese Prozesse analysieren wir wissenschaftlich.

Inwiefern tragen die Projekte Ihres Instituts zum besseren Verständnis von Migrations- und Minderheitenfragen in Europa bei?

Dr. Simon: Das Institut hat im Rahmen seiner Forschung drei Leitbegriffe: Minorities, Migrations und Memories. Wir sind mit unseren Projekten an diesen drei Leitbegriffen auch gut angedockt. Als Spezialisten für Südosteuropa füllen wir eine Nische in der deutschen Forschungslandschaft. Wir untersuchen historische Bevölkerungsverschiebungen und gesellschaftliche Differenzierungsprozesse, insbesondere in Osteuropa. Grenzverschiebungen und politische Umbrüche schufen neue Mehrheiten und Minderheiten. Es geht nicht nur um deutsche Minderheiten, sondern um interkulturelle Dynamiken. Multikulturalität ist eine Grundvoraussetzung für die Forschung.

Welche Entwicklungen und Forschungstendenzen sehen Sie in den nächsten Jahren im Bereich der donauschwäbischen Geschichte?

Prof. Dr. Johler: Man denkt, irgendwann ist eine Forschung erledigt. Plötzlich wird z.B. die Geschichte der Donauschwaben in Brasilien neu erforscht. Dann kommt man auf die Idee, dass man auch global auf die Geschichte schauen könnte. Es ist daher auch immer eine Perspektivenfrage, die man wählt und sich erarbeiten muss. Ich finde darüber hinaus aber auch die Gegenwart der Donauschwaben interessant. Wir wissen relativ viel über die Auswanderung und über die 1950er-Jahre, aber wir wissen gar nicht so viel darüber, was bei ihnen gegenwärtig passiert. Ich glaube, auch die Frage von Interkulturalität ist weiterhin wichtig. Wie kommunizieren unterschiedliche Gruppen miteinander?

Dr. Cercel: Einerseits gibt es ja auch neue wichtige Themen wie z.B. die dritte Generation, andererseits gibt es neue Blickwinkel auf alte Themen. Ich versuche, die donauschwäbische Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur als eine Geschichte der „Rückkehr“ nach Deutschland zu erzählen, sondern auch zu zeigen, dass es komplexer war. Es gab auch eine „Rückkehr“ nach Österreich. Es gab ja auch globale Migrationsbewegungen. Donauschwaben sind auch nach Frankreich ausgewandert. Es war somit auch eine Art „Rückmigration“. Es gab ja auch Migrationen nach Brasilien und nach Nordamerika. Die Narrative müssen differenzierter betrachtet werden.

Vielen Dank für das Gespräch!