Russlands private Armeen

Nicht nur „Putins Koch“ hält sich eine Söldnertruppe

Variation der Wagner-Flagge Bild: Wikimedia

Nicht erst seit dem Ukrainekrieg hört man immer wieder von der russischen Privatarmee „Gruppe Wagner“: In verschiedenen Konflikten und Krisen weltweit werden immer wieder schwere Vorwürfe gegen die paramilitärische Organisation erhoben. Derzeit untersuchen etwa die Vereinten Nationen Vorwürfe von Massaker, Folterungen und Vergewaltigungen durch Wagner-Söldner an der Bevölkerung von Mali. Derzeit kämpfen sie im Abnutzungskrieg um Bachmut – wohl, um der russischen Armee eine Atempause zu verschaffen. Aber wie kommt es überhaupt, dass ein Land sich neben der regulären Armee eine Söldnertruppe hält?

Zunächst ist es nicht nur eine: Gleich fünf paramilitärische Einheiten sollen in der Ukraine aktiv sein, erklärt die Journalistin Sabine Adler, ehemalige Russland-Korrespondentin des Deutschlandfunks, im Podcast „Europa heute“. Sie betont aber auch: Zwar sei den Recherchen von Radio Svoboda, dem russischsprachigen Ableger von Radio Free Europe,  viel zu verdanken, aber wirklich gesicherte Informationen zu russischen Söldnertruppen gäbe es wenig. Das liegt natürlich in der Natur der Sache: Schließlich dient die Gruppe Wagner auch dazu, russische Interessen im Ausland mit verdeckten Operationen durchzusetzen. 

Wagner ist nicht nur die landläufig bekannteste russische Privatarmee, sondern auch diejenige, über die am meisten Informationen vorliegen: Der erste Leiter war Dmitri Utkin, ein ehemaliger Oberstleutnant der russischen Armee. Auf ihn soll auch der Name der Gruppe zurückgehen: Als großer Anhänger der Nazi-Ideologie und -Ästhetik benannte er die „Gruppe Wagner“ nach Adolf Hitlers Lieblingskomponisten, Richard Wagner.  Als Söldner wurden zumeist ehemalige Militärangehörige rekrutiert und in zahlreichen Ländern eingesetzt – Armenien, Belarus, Sudan, Libyen, Mali, Mosambik und weitere afrikanische Staaten, aber auch in Venezuela. Einblicke in die Aktivitäten dort gibt es nur selten – etwa 2020, als offenbar ein Söldner ein Samsung-Tablet in Libyen zurückließ, das dem BBC-Journalisten Nader Ibrahim zugespielt wurde. Die Auswertung gemeinsam mit der Journalistin Ilya Barabanov ergab detaillierte Informationen – auch zu zahlreichen Verbrechen, wie Tötung von Zivilisten und Verlegung von Landminen in Wohngebieten. 

Juristische Grauzone

Bereits seit 2017 steht die Privatarmee bzw. das Sicherheitsunternehmen, das sie offiziell darstellt, deshalb auf der US-Sanktionsliste; seit 2021 auch auf derjenigen der EU wegen schwerer Menschenrechtsverstöße – was bedeutet: Einfrieren der Vermögenswerte, Einreise- und Geschäftsverbot in der EU. In den USA gilt Wagner außerdem seit Januar als transnationale kriminelle Organisation. 

Aber auch in Russland sind Söldnertruppen wie Wagner im Grunde illegal – sowohl Söldnern als auch denjenigen, die ein Söldnerheer aufstellen, drohen mehrjährige Haftstrafen. Lange wurde daher die Existenz der Wagner-Gruppe offiziell geleugnet. Aber recht unbeachtet trat im Januar 2017 das „Gesetz Nummer 53 über die Militärdienstpflicht in Russland“ in Kraft, wie Willi Neumann und Steffen Dobbert in „Die Zeit“ vom 6. Februar 2017 berichten: Demnach gilt als russischer Militärangehöriger, wer den russischen Grundwehrdienst absolviert hat oder Reservist ist (also fast jeder Russe) und „internationale terroristische Aktivitäten außerhalb des Territoriums der Russischen Föderation verhindert“. Damit wurde eine rechtliche Grauzone geschaffen, die den Einsatz von Söldnern im Ausland ermöglicht. Aber das Verbot von Söldnerheeren ist weiterhin aufrecht – was bedeutet, dass Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin (ursprünglich ein Gastronom, daher genannt „Putins Koch“) im Grunde weiterhin illegal operiert und jederzeit für Jahre im Straflager verschwinden könnte. Wie jeder russische Oligarch bleibt auch Prigoschin Oligarch von Putins Gnaden. 

Derzeit scheint ihm diese Gnade noch sicher, denn seit November des vergangenen Jahres befindet sich das Hauptquartier der Wagner-Gruppe nicht mehr in Argentinien, sondern – offiziell als Sicherheitsfirma – in St. Petersburg. Unklar ist, wie stark der Einfluss des russischen Verteidigungsministeriums auf Wagner bzw. Pigorischin ist. Der britische Historiker und Experte für russische Sicherheitspolitik Mark Galeotti erklärte im Januar gegenüber der „Tagesschau“: „Russland ist ein hybrider Staat, in dem die Grenzen zwischen öffentlich und privat sehr durchlässig sind, und Wagner scheint in beiden Bereichen zu operieren.“

Vom Straflager in den Schützengraben

Die Invasion in die Ukraine am 24. Februar, und wohl insbesondere die wenig beeindruckende Performance der russischen Armee, führten zu einigen Änderungen bei Wagner: Etwa wurden die Anforderungen drastisch gesenkt und Rekrutierungen vornehmlich in Straflagern vorgenommen. Genau wusste man nie, wie viele Söldner bei Wagner im Sold standen – aber Schätzungen vor 2022 gehen von einer Anzahl im unteren vierstelligen Bereich aus, während Sabine Adler derzeit die Anzahl der Söldner auf etwa 50.000 schätzt – 40.000 unter ihnen sollen ehemalige Strafgefangene sein. Auch wenn diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind – und wohl angesichts der blutigen Schlachten um Bachmut der letzten Wochen inzwischen niedriger liegen – ist es beeindruckend, dass in einem Land, in dem Söldnertum illegal ist, Angehörige einer Privatarmee offenbar Zugang zu Straflagern und Zugriff auf deren Insassen haben. Weniger erstaunlich dagegen ist, dass Strafgefangene das Söldnerdasein dem Lagerleben vorziehen – Berichte ehemaliger Gefangener, wie des Ex-Managers des Ölkonzerns Jukos Wladimir Perewerzin oder der offene Brief von Pussy- Riot-Mitglied Nadeschda Tolokonnikova aus der Haft bezeugen dies.

Patriot, Schit, Russitsch

Wagner ist aber nicht die einzige Söldnertruppe in Russland: Weniger bekannt ist die Patriot-Truppe, von der man weiß, dass sie ebenfalls in Syrien gekämpft hat. Laut Sabine Adler werde sie als Privatarmee des Verteidigungsministers Sergei Schoigu angesehen bzw. dem Militärgeheimdienst GRU zugerechnet. Sie soll 2018 gegründet und auch im Donbass eingesetzt worden sein, auch heute in Bachmut. Angeblich soll Patriot mit bis zu 15.000 Euro im Monat weitaus besser bezahlen als Wagner, wo der Sold maximal 3000 Euro beträgt. Wie genau sich Patriot einen legalen Anstrich verleiht – etwa wie Wagner als Privatunternehmen – sei nicht bekannt, aber ihre Existenz möglicherweise in einem Machtkampf zwischen Prigoschin und Schoigu begründet. 

Sabine Adler nennt außerdem noch zwei weitere private Militärverbände, über die man aber kaum etwas wisse – eine laute auf den Namen „Schit“ (dt. Schild), die andere „Russitsch“. Es sei anzunehmen, dass beide seit dem Beginn des Kriegs in der Ostukraine 2014 auch dort im Einsatz seien. Von Russitsch ist bekannt, dass es wohl zu Wagner gehöre, aber von den bekannten Neonazis Alexei Miltschakow und Jan Petrowski gegründet wurde und seine Söldner im rechtsextremen Milieu, auch außerhalb Russlands, rekrutiert. Der Gruppe wird besondere Grausamkeit vorgeworfen, unter anderem die Ermordung von 40 ukrainischen Soldaten in der Region Charkiw – auf Videos zeigen die Söldner, wie sie die Leichen verstümmeln. Auch Kriegsverbrechen in Syrien werden der Truppe vorgeworfen.

Und dann gibt es noch die einzige russische Söldnertruppe, gegen die die russische Generalstaatsanwaltschaft laut Adler vorgeht: Die „Legion der Freiheit Russlands“. Kein Wunder: Es handelt sich dabei um eine Einheit der ukrainischen Armee, die aus übergelaufenen russischen Soldaten besteht. Sie rekrutieren Deserteure und Freiwillige aus Russland, das bekannteste Mitglied ist wohl Igor Wolobujew, ehemaliger Vize-Präsident der Gazprom-Bank, der kurz nach Beginn der Invasion Russland verlassen hatte. Erklärtes Ziel dieser Söldnertruppe ist es, die Ukraine von russischen Truppen und Russland vom Regime Wladimir Putins zu befreien.