Schokolade ohne Brokkoli

Wie Videospiele politische Bildung vermitteln können

„Papers, please“ ist für Smartphone oder Computer erhältlich unter: papersplea.se

Kinder der 80er und 90er Jahre wissen, wie es sich anfühlt, als kleiner italienischer Klempner Münzen zu sammeln, Schildkröten zu werfen und von feuerspuckenden Blumen umgebracht zu werden. Der Frage, ob Videospiele jenseits von „Super Mario“ auch sinnvolles Wissen vermitteln können, geht eine interaktive Spiele -Ausstellung in Klausenburg/Cluj-Napoca nach.

Am vergangenen Wochenende fand das Clujotronic statt – ein Festival der elektronischen Künste, jährlich organisiert vom Deutschen Kulturzentrum Klausenburg und dem Institut Français. Das diesjährige Thema lautet „Games and Politics“ –  eine noch bis Sonntag laufende interaktive Ausstellung ist Spielen gewidmet, die mehr als unterhalten wollen.

Bereits am Freitag fand eine Podiumsdiskussion zum Thema „Videospiele als politisches Medium“ statt – die Teilnehmenden gingen dabei der Frage nach, ob und wie Videospiele politisches Wissen vermitteln können. Dafür sind sie ja im Grunde prädestiniert: Spielen ist die älteste Form des Lernens, spielend lernen Kinder sich und die Welt kennen. Videospiele ermöglichen, dass Wissen nicht einfach präsentiert, sondern erlebbar gemacht wird, was einen tiefgreifenderen Lernprozess ermöglicht. In Spielen können nicht nur fiktive Welten erforscht werden, sie können auch durch Perspektiven erlebt werden, die wir in der realen Welt nicht einnehmen können.

Eine Erweiterung des Erfahrungshorizonts

Ein Beispiel dafür stellt das Simulationsspiel „Papers, please“ (Papiere, bitte) dar: Der Spieler oder die Spielerin wird darin zum Grenzkontrolleur im totalitären fiktiven Staat Arstotzka und entscheidet, welche Reisenden passieren dürfen und welche nicht. Er muss abgelaufene oder gefälschte Dokumente erkennen, auf Attentäter oder Flüchtlinge schießen, Bestechungsgelder annehmen oder nicht. Für diese Entscheidungen wird er monetär entlohnt oder bestraft, wobei er mit diesem Geld für seine Familie sorgen muss – lässt er einen Flüchtling laufen, geht das eigene Kind hungrig schlafen.

„Für Menschlichkeit fehlt die Zeit. Jeder kleine Fehler wird bemerkt. Ich werde überwacht und immer nervöser. Und verstehe immer mehr, wie Menschen gegen ihre eigene Menschlichkeit handeln können. Wie sie sich selbst verraten und auch andere. Wie sie keine Alternative sehen können. Und wie sie gleichzeitig an so etwas einfachem wie dem Vergleichen von Pässen Spaß haben können.“ – so beschreibt Carsten Görig von Spiegel Online seine Erfahrung. „Papers, please“ wurde nicht nur vielfach ausgezeichnet, sondern auch millionenfach verkauft – ein überaus erfreuliches Beispiel also dafür, wie Videospiele uns ermöglichen können, über den Erfahrungshorizont unseres eigenen Lebens hinauszuwachsen – und dabei unterhalten zu werden.

Angst vor Kontroverse

Allerdings gibt es Perspektiven, die nur sehr schwer in einem Spiel unterzubringen sind: Jeanette Neustadt vom Goethe Institut München etwa wünscht sich ein gutes Spiel zum Thema Armut, was aber nur schwer zu bewerkstelligen sei. Denn der Spaß beim Spielen liege eben darin, dass man aktiv agieren kann, dass das eigene Handeln Auswirkungen hat, man also eine gewisse Macht verspürt – während Armut Menschen das Gegenteil aufzwingt, nämlich Ohnmacht.

Ein anderes Problem, das nicht den Mechanismen von Spielen selbst, sondern denen der Spieleindustrie zuzuschreiben ist, erwähnt Spieleexperte Andrei Istrate: Ein Spiel zu produzieren sei sehr, sehr teuer – und während etwa in der Filmindustrie bekannt ist, welche Handlungsstruktur, welche Darsteller und Darstellerinnen klingelnde Kassen versprechen, bewegt sich die Spieleentwicklung noch vielfach auf unbekanntem Terrain. Dies führt dazu, dass Firmen keine Risiken eingehen – und Spiele mit politischen Inhalten bringen eben die Gefahr gesellschaftlicher Kontroversen und damit finanzieller Verluste mit sich. Daher werden Spiele wie „Papers, please“ von kleinen, unabhängigen Entwicklern produziert.

Miteinander statt gegeneinander

Bildung im Sinne sozialer Kompetenzen kann allerdings nicht nur über den Spielinhalt vermittelt werden, sondern auch über den Spielmodus: Etwa durch Spiele, in denen nicht im Wettkampf gegeneinander, sondern kooperativ gespielt wird. Ein Beispiel hierfür wäre Minecraft, in dem zwar gekämpft, aber auch gemeinsam das Spieluniversum gebaut werden kann – es zählt zu den erfolgreichsten und einflussreichsten Videospielen der 2010er Jahre. Es ermöglicht außerdem, wie viele kooperative Online-Spiele, dass Menschen aus allen Ecken der Welt miteinander spielen können. Ein anderes Beispiel wäre „It takes two“ (Es braucht zwei), in dem ein zerstrittenes Ehepaar in zwei Puppen der Tochter verwandelt und von einem lebendig gewordenen Beziehungsratgeber gezwungen wird, gemeinsam Aufgaben zu lösen.

Wie sehr das Konzept kooperativer Spiele – die auch in Brettform existieren – in die Hose gehen können, merkt ein Besucher der Podiumsdiskussion an: Er verweist auf den Klassiker Monopoly, dessen Erfinderin Lizzie Magie eigentlich demonstrieren wollte, dass Gemeinwohl und Solidarität alle Beteiligten reicher macht. Was wohl auch stimmt – allerdings war die alternative Spielvariante, die sich an den Regeln des Kapitalismus orientiert, einfach viel lustiger zu spielen und setzte sich durch.

Es muss aber eben auch Spaß machen

Dieses Problem, das viele Spiele vorweisen, die Werte oder Bildung vermitteln wollen, bezeichnete Jeanette Neustadt bei der Podiumsdiskussion so treffend als „chocolate covered brokkoli“, also als schokoladeüberzogenen Brokkoli. Die Akteure, die hinter solchen Spielen stehen – etwa Bildungseinrichtungen oder NGOs – haben meist viel Ahnung von dem betreffenden Thema, aber wenig von den Mechanismen des Spiels. So entstehen langweilige Spiele, die niemand wirklich spielen mag, und die damit ihr Ziel nicht erfüllen.

Ein Lösungsvorschlag aus der Runde, der für Heiterkeit sorgt, lautet: Spielerinnen und Spieler sind ja offensichtlich willig, sich grauenhafte Werbefilmchen anzusehen, die regelmäßig das Spiel unterbrechen (viele kostenlose Online- und Handyspiele zwingen dazu) – könnte man dann nicht in populäre Spiele kurze Doku-Sequenzen einfügen, um den Leuten die Aufklärung quasi aufzwingen?

Auf subtilere Art vermittelt aber im Grunde jedes Spiel Wissen, Fähigkeiten und Werte, und wie jedes Medium sind Videospiele inhärent politisch. Man denke nur an den Klassiker Super Mario: Wir haben mit dem Spiel gelernt, wie es ist, als Mario Abenteuer zu erleben und den Bösewicht zu besiegen – nicht aber, wie es ist, als Prinzessin vom Bösewicht entführt zu werden und darauf zu warten, gerettet zu werden.

Vor ein paar Jahren erlangte genau deshalb ein Vater im Internet Bekanntheit: Er hatte das Spiel gehackt, so dass seine kleine Tochter in der Rolle der Prinzessin losziehen konnte, um Mario zu retten.


In der interaktiven Ausstellung „Games and politics“ können noch bis Sonntag, den 16. Oktober, allerlei Spiele ausprobiert werden. Geöffnet täglich von 16 – 20 Uhr, Pia]a Unirii 24, Klausenburg – der Eintritt ist kostenlos.