Schulbeginn mit Shakespeare

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Wer über 50 Jahre in Rumänien gelebt hat, der wundert sich eigentlich über nichts mehr. Sowohl die kommunistische, als auch die „demokratische“ Zeit haben den Erfahrungshorizont bis an objektive Grenzen erweitert. So dachte ich zumindest. Shakespeare wusste es schon immer besser. Nach dem Gespräch mit dem Geist seines Vaters, belehrt Hamlet seinen Freund Horatio: „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich erträumen lässt“. Nun weiß ich das auch. Selbst wenn meine Schulweisheit (vielleicht besser: die Weisheit der Schulen, die  i c h besucht habe) es nicht mal im Traum gestattet hätte, folgende Begebenheiten für möglich zu halten, entsprechen sie doch der Realität:

1. Ein Premierminister verkündet zu Beginn einer Regierungssitzung am Samstag, dem 1. September 2012, in einem friedlichen Europa ohne Naturkatastrophen, dass der Schulanfang vom 10. auf den 17. September verlegt wird. Der Ministererlass Nr. 3794/2012, veröffentlicht im Amtsblatt vom 5. Mai 2012, der die Unterrichts- und Ferienzeiten regelt, gilt also nicht mehr. Einfach so. Im Dialog mit dem Regierungschef verkündet Unterrichtsministerin Ecaterina Andronescu, dass die Eröffnungsfeierlichkeiten am Samstag, dem 15. September, stattfinden werden (www.gandul.info/, 1.09.2012, 12.29 Uhr). Natürlich kannte der alte Will Ähnliches schon im Jahre 1603, als sein Drama „Hamlet“ veröffentlicht wurde: „Die Zeit ist aus den Fugen“. Die Botschaft für Schüler aller Klassenstufen ist klar: Auf die 12. Ferienwoche folgt aus heiterem Himmel eine 13. „Ich wittre Morgenluft“ gilt wohl für die meisten, auch wenn sich das erfrischende Lüftchen erst nach 12 Uhr genießen lässt…

2. „Wir werden zwei Semester haben, die Ferientermine werden nicht geändert“, erklärt Frau Andronescu dann noch am gleichen Tag (www.gandul.info/, 1.9.2012, 13.37 Uhr). Auf Anfrage der Online-Zeitung „Gândul” gibt Frau Andronescu weitere Details: „Die Maßnahme der Verlegung des Schulbeginns wurde getroffen, weil traditionsgemäß der erste Schultag in Rumänien immer der 15. September war.” Desgleichen hätten viele Eltern gebeten, den ersten Schultag zu verschieben. Die Präsidentin des „Nationalen Elternverbandes“ sagt der gleichen Zeitung, dass sie von so einer Forderung nichts wisse, die Maßnahme aber begrüßt: „Im September gibt es viel billigere Urlaubsangebote und so werden wohl viele Eltern mit ihren Kinder in die Ferien fahren. Außerdem ist es in dieser Zeit noch heiß und ziemlich schwierig, in Klassenräumen ohne Klimaanlage zu sitzen” (www.gandul.info/, 1.09.2012, 20.18 Uhr). In England hieß es: „Schwachheit, dein Name ist Weib“.

3. Am Sonntagabend gibt es schon wieder Neuigkeiten. Frau Minister: „Es wird nicht mehr zwei Wochen Frühlingsferien geben, sondern nur noch eine. Sowieso haben die Schüler vom 1. bis zum 5. April eine Projektwoche (şcoala altfel) mit extracurricularen Tätigkeiten, die wir auch als Ferienwoche betrachten können, weil die Schüler nicht in die Schule gehen und es keinen Unterricht gibt” (www.gandul.info/, 2.9.2012, 21.40 Uhr). In einem EU-Land des Jahres 2012 ist folglich auf höchster Verantwortungsebene im Erziehungsbereich eine Projektwoche gleichzusetzen mit einer Ferienwoche. „Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode.“

4. Nach den Überraschungen vom Wochenende suche ich am darauffolgenden Montag ebenso wie Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag vergeblich nach einem Ministererlass auf der Webseite des Ministeriums (www.edu.ro), der für all die Neuigkeiten den gesetzlichen Rahmen bietet, denn so was wie einen Dienstweg gibt es ja seit Jahren nicht mehr. Nichts zu finden! Na und? „Bereit sein ist alles.“

5. Am Montag, dem 10. September, ist der neue Ministererlass nun doch im Internet vorhanden, Schulbeginn ist der 17. September, die Frühlingsferien werden um eine Woche verkürzt, die Projektwoche wurde umgetauft, sie heißt nun „Du sollst mehr wissen, Du sollst besser sein!“ („Să ştii mai multe, să fii mai bun!”). Na prima, an die Arbeit, wir wollen ja auch schon vor der Projektwoche alle besser sein! Nein, noch nicht. Es lohnt sich, auch die letzte Zeile des Dokuments zu lesen: Bukarest, Nr. 5635, Datum 31.8.2012!! „Etwas ist faul im Staate Dänemark“, oder?

Und die Reaktion der Lehrer auf das ganze Brimborium? Mehrheitlich wohl Dankbarkeit („Kaviar für das Volk“), schließlich ist das Leben schwer und jeder hat noch 1000 Dinge zu lösen, wobei der Schulbetrieb eher hinderlich ist. Aber „An sich ist nichts entweder gut oder böse, sondern erst das Denken macht es dazu“. Die Schulleiter des natürlich völlig entpolitisierten rumänischen Unterrichtssystems, viele seit wenigen Tagen oder Wochen im Amt, verhalten sich währenddessen schön still in ihren Büros. „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage“ - besonders nach einem Regierungswechsel und vor den Wahlen.

Nun, „Mit einem heitern’ und einem nassen Aug’” sind die Schüler mittlerweile wieder in den Klassenräumen. Sie wissen ja, „Der Rest ist Schweigen“.


Ein Schulleiter