Schulprojekt La Bressola:

So gelingt das Eintauchen in die katalanische Sprache

Das Lehrpersonal ist beim spielenden Lernen integriert. Foto: Albert Salamé

Die Europäische Vereinigung von Tageszeitungen in Minderheiten- und Regionalsprachen (MIDAS) wurde 2001 auf Vorschlag der Chefredakteure von Tageszeitungen gegründet, die in Minderheiten- oder Regionalsprachen erscheinen. Ziel war es, ihre Strategien zu koordinieren und die Zusammenarbeit in den Bereichen Informationsaustausch, Druck und Marketing zu fördern. Inzwischen haben sich 27 Zeitungen aus 12 verschiedenen Ländern MIDAS angeschlossen. Die derzeitige Präsidentin ist Edita Slezáková.

 Wir befinden uns in Prada, der Hauptstadt der Region Conflent in Nordkatalonien in Frankreich. Eine Gemeinde mit etwa 6000 Einwohnern, in der die katalanische Sprache nur noch wenig verwendet wird. Außer auf dem Hof der Bressola-Schule: Dort ist es praktisch die einzige Sprache, die gesprochen wird. Manche Kinder sagen bisweilen einige Wörter auf Französisch, besonders die Jüngeren, aber die Spiel- und Einflussdynamik der Älteren kehrt schnell zur katalanischen Sprache zurück. Wie ist die Sprache so präsent, wenn die große Mehrheit der Kinder frankophon ist? Wie erreicht man ein vollständiges Eintauchen in eine Sprache in einer so ungünstigen Umgebung? Die Schlüsselkonzepte sind Intervention und Vertikalität sowie der konsequente Gebrauch der Sprache – vom Mathematikunterricht bis zum Seilspringen.

Auch die Lehrerinnen spielen mit

Insbesondere während der ersten Minuten sind die Lehrkräfte auf dem Schulhof dafür verantwortlich, die meisten Spiele zu beginnen und sie zu beleben: Eine Lehrerin hat das Springseil genommen und angefangen zu singen. In der Sandkiste sitzt eine andere Lehrerin mit Kindern unterschiedlichen Alters. Dank des Spiels antizipiert sie die Wörter, bevor sie die Kindern aussprechen: „Sand“, „Schaufel“, „Eimer“... Und sie wiederholt alles, was ein kleines Kind auf Französisch sagt, auf Katalanisch. 
„Die Lehrerinnen antizipieren das Vokabular auf Katalanisch, bevor das Kind es auf Französisch nutzt“, erklärt die Schulleiterin, Martina Montagne Sansa. „Solange wir die Sprache nicht überall hören, laufen wir auf Hochtouren. Du könntest mit einem Kaffee auf dem Schulhof sitzen und nur aufpassen, aber du kannst nicht von den größeren Kindern verlangen, dass sie die Sprache benutzen, wenn du es selbst nicht tust“, sagt die Direktorin.

Die Kleinen lernen von den Großen

Auf dem Spielplatz treffen wir auf die neunjährige Lilou, die mit einem sechs Jahre alten Jungen und einem dreijährigen Mädchen spielt. „Ich spiele gerne mit den Kleinen“, erklärt sie. Ein weiteres Merkmal der Schule ist die Natürlichkeit, mit der Kinder diverser Altersstufen untereinander interagieren: Die Schule von Prada nimmt Schüler im Alter von zwei bis elf Jahren auf und die Klassen sind nach Zyklen organisiert, die jeweils Kinder aus drei verschiedenen Altersgruppen umfassen. 

Dies ist in in ländlichen Schulen üblich, aber in den Bressola-Zentren ist sie auch in größeren Gemeinden zu sehen. Für die Schaffung einer familiären Atmosphäre und die Weitergabe von Wissen ist die Sprache ein wichtiges Schlüsselelement. Neben den Lehrkräften haben auch die älteren Schülerinnen und Schüler die Aufgabe, den Kleineren und denjenigen, die gerade erst angekommen sind, Katalanisch beizubringen.

Diese Vertikalität wird durch einige Methoden genutzt. Es werden z.B. Sprachpaare gebildet, wobei ein älteres Kind der „Pate“ des Kleineren ist. Im September, wenn bei vielen Schülern das Katalanische nach den Ferien eingerostet ist, beginnen die älteren Schüler einige Tage zuvor und bereiten die Aufnahme der anderen vor. Ein Raum, in dem diese Vertikalität besonders deutlich wird, ist das Esszimmer, in dem kleine und große Kinder sowie Lehrkräfte gemeinsam sitzen. Letztere schlagen Gesprächsthemen vor und die Großen kümmern sich um die Kleinen, helfen ihnen und übersetzen auch Wörter für sie. „Wasser heißt aigua, Glas heißt got, Haare heißt cabell...“, wiederholt Gemma für Lina.
Bildung durch Projekte auf Katalanisch
In den Schulen im Süden (Anm. d. Red. in demjenigen Teil des katalanischen Sprachraums, der in Spanien liegt) konnte festgestellt werden, dass die Projektarbeit bisher nicht dazu beigetragen hat, die Sprache im Klassenzimmer zu erhalten, da Spanisch noch präsenter wird, wenn sich Schülergruppen zusammenschließen. 

Auch die Bressola-Schule setzt auf Projekte, aber mit Intervention der Lehrerinnen und Lehrer, um die Sprache nicht zu verlieren. Sie formulieren um, übersetzen und lassen das wiederholen, was ein Kind auf Französisch sagen kann. Auch deshalb werden die Gruppen mit Kindern unterschiedlichen Alters gebildet und niemals zwei neue Schüler zusammen.
„Wenn eine Aktivität der Sprache nicht nützt, werden wir sie nicht durchführen und eine andere suchen. Die Sprache ist das Werkzeug, aber auch das Ziel. Du kannst keine Gruppen organisieren und nicht vorhergesehen haben, was sie sagen sollen, welche Worte ihnen fehlen werden“, sagt die pädagogische Leiterin, Olatz de Bilbao.

Bei der Projektvorbereitung hilft ein älteres Mädchen einem jüngeren mit einem Wort, das es nicht findet, aber es ist auch die Lehrerin, die beim Umschreiben von Sätzen aus dem Französischen ins Katalanische hilft.

Die Aussprache in lauter Stimme wird ständig gefördert. Die Unterrichtsstunden beginnen mit dem „Guten Morgen“ – einem Raum, in dem Kinder alles ausdrücken können, was sie erklären möchten, während die anderen Kinder und Lehrkräfte Fragen stellen und ihnen bei der mündlichen Ausdrucksweise helfen. Die Gruppenarbeit und das Sprechen sind in allen Altersstufen gegenwärtig. Heute hilft Tao der Lehrerin im Mathematikunterricht, die Lektion zu erklären, indem er verbalisiert, was er tut, während seine Klassenkameraden, ebenfalls nach Alter gemischt, ihm Fragen stellen, aber niemals auf Französisch. 

In den Bressola-Sekundarschulen gibt es ebenfalls Vertikalität, aber das Eingreifen muss auf andere Weise erfolgen. „Wir suchen Dinge, an denen sie interessiert sind. Katalanische Musik, zu der sie keinen Zugang haben, TV3-Serien, Unterstützung bei Akzeptanz- und Beziehungsproble-men...usw.“, erklärt die pädagogische Leiterin. Das Problem ist jedoch, dass es im Bressola-System derzeit noch kein Lyzeum gibt und daher die letzten Jahre der Sekundarschule in anderen Schulen absolviert werden.

Eine Sprache des Lebens, nicht der Aufbürdung

In Nordkatalonien wurde Katalanisch früher aus den Schulen verbannt und mit Schildern wie „Bleibt sauber, sprecht Französisch“ bekämpft. Mit dieser immer noch offenen Wunde ist es klar, dass Zwang niemals der Weg ist. „Wir arbeiten nicht mit Unterdrückung, sondern mit Begleitung. Wir sagen ihnen nicht ‚Sprecht nicht Französisch‘, sondern ‚Kennt ihr dieses Wort nicht? Suchen wir es zusammen‘“, erklärt Martina Montagne Sansa. Das Ziel ist es, eine Sprache des Lebens zu schaffen, nicht nur eine Sprache des Klassenzimmers. „Wir geben ihnen eine Sprache zurück, die ihre eigene ist, aber die sie nicht haben. Wir reproduzieren die familiäre Struktur, damit es eine Verbindung gibt, damit sie sie lieben. Es gibt Schülerinnen und Schüler, die sagen, dass sie zwei Muttersprachen haben, die Sprache zu Hause und die in der Schule“, argumentiert Olatz de Bilbao. 

Sprachkompetenz der Lehrkräfte wird gefördert

Um dieses katalanischsprachige Klima in französischsprachigen Gebieten zu erreichen, ist es auch unerlässlich, dass die Lehrerinnen und Lehrer, die bei La Bressola sowohl aus dem Norden als auch aus dem Süden des Sprachraums (Anm. d. Red.: also Frank-reich und Spanien) stammen, eine gute Sprach-ausbildung haben.


„Im Auswahl-prozess können wir jemanden ohne sprachliche Kompetenz nicht einstellen. Wir haben auch Kurse in Katalanisch, um es zu verbessern. Im ersten Jahr haben die Lehrer auch einen Tutor, der sie begleitet. In Frankreich ist es undenkbar, dass ein Lehrer Rechtschreibfehler auf Französisch macht. Im Süden lassen wir das zu, aber das geht gegen die sprachliche Würde“, schildert Olatz de Bilbao.

Die Sprache der Großeltern zurückbringen 

Eine Besonderheit ist auch, dass die Eltern das Modell von La Bressola unterstützen, obwohl es „nur“ eine Genossenschaftsschule ist. Sie wären gerne eine öffentliche Schule, aber das war bisher unmöglich. Die Sprachpolitik des französischen Staates hat bisher kein umfassendes öffentliches Immersionsmodell in allen Altersgruppen ermöglicht. 
Deshalb zahlen bei La Bressola alle ihrem Einkommen entsprechend, was zu sozialer Diversität führt. Und es sind außerdem nicht nur katalanischsprachige Familien, die möchten, dass ihr Kind die Sprache erlernt: Es gibt auch solche, die wollen, dass ihre Kinder in Girona oder Barcelona studieren oder die das pädagogische Projekt mögen oder einfach den kulturellen Horizont des Kindes erweitern wollen. 

„Viele Eltern haben durch ihre Kinder die katalanische Sprache erlernt. Es gibt Eltern, die die Sprache von ihren Großeltern haben, aber sie nicht mit ihren Kindern sprechen. Es ist sehr komplex und wir möchten, dass diese Generation der Kinder stolz ist, Katalanisch auf der Straße zu sprechen. Jetzt kämpft das Katalanische hier ums Überleben, aber zumindest in diesen Fällen sind die Kinder Träger einer Sprache, die man mit Scham und Stigma unterdrücken wollte“, schlussfolgert die pädagogische Leiterin zum Schluss die Situation.


La Bressola (deutsch: „die Wiege“) ist ein 1976 gegründeter katalanischer Kulturverein im zu Frankreich gehörenden Nordkatalonien, welcher ein Netzwerk katalanischsprachiger Schulen betreibt. Ziel ist der Erhalt und die Verbreitung der katalanischen Sprache in Nordkatalonien.

VilaWeb ist ein Nachrichtenportal mit täglicher Berichterstattung in katalanischer Sprache, welches im Mai 1995 von den Journalisten Vicent Partal und Assumpció Maresma gegründet wurde. Es war das erste vollständig auf Katalanisch produzierte Online-Medium.