Elternschaft kann und soll erlernt werden. Über diese Aussage sind sich bestimmt nicht alle einig, auch wenn in den letzten Jahren das Interesse an den neuen Methoden der Kindererziehung auch in Rumänien wächst. Die Anzahl der Fachbücher, Blogs, Seminare, Workshops zum Thema steigt an.
Aber wieso sollte man lernen, Mutter oder Vater zu sein!? Man ist es einfach, sobald das erste Kind zur Welt kommt. Man kriegt das Baby in die Hände und los geht es. Man soll es nun wickeln, waschen, füttern. Das zeigt der jungen Mutter die Hebamme, Assistentin, die eigene Mutter. In der rumänischen Tradition mischen sich auch Nachbarinnen ein, Ratschläge bekommt man auch im Park oder auf der Straße von fremden Frauen, sogar von älteren Herren. Sobald das Kind krabbelt und die Welt erkundet, immerfort die Wäsche aus den Schubladen herauszieht oder den Computer ein- und ausschaltet, wird es dann problematisch, weil es nicht mehr nur lieblich schläft. Und wenn es geht und auch redet und ständig „Nein“ sagt, dann wird es erst richtig spannend. Dann wünscht man sich als Elternteil manchmal, eine Fernbedienung für den Sprössling zu haben, mit dem man ihn mindestens einige Minuten täglich ausschaltet oder zum Folgen bringt. Am liebsten zu blindem Folgen, ohne jegliche Diskussion und Emotion.
Traditionell oder modern?
Die meisten Eltern benehmen sich mit ihren Kindern, wie sie es von zu Hause kennen, als sie selbst Kinder waren. Der Minderjährige hat zu gehorchen, sich manierlich zu benehmen, zu grüßen, aufzuräumen, brav zu sein. Das ist ein Traum jeder Mutter, ein Vorzeigekind zu haben, das genau dann macht, was Mama will, wenn Mama es verlangt. Doch wie erreicht man dieses Ideal, ohne es mit Bedingungen zu verbinden, ohne zu drohen oder zu schimpfen und vor allem indem man auch die Bedürfnisse und Vorstellungen des Kindes in Betracht zieht?! Wie reagiert man, wenn es sich im Geschäft auf dem Boden wälzt und laut schreit, nicht zu Tisch kommt, die Spielsachen nicht aufräumt, die Hausaufgaben nicht machen will oder sich ins Zimmer einsperrt und jegliche Diskussion mit den Eltern ablehnt?!
Elternschaft als Beruf
Wie das Autofahren soll auch die Erziehung des Kindes erlernt werden, sodass es sich zu einem selbständigen, glücklichen, zufriedenen und ausgewogenen Erwachsenen entwickelt, der begeistert ist von dem, was er arbeitet, und der mit starkem Selbstbewusstsein soziale Verantwortung übernimmt. Das meint Urania Cremene, Parenting-Trainer. Parenting ist, laut dem Cambridge English Dictionary, das Großziehen von Kindern und die Übernahme aller Verantwortungen und Tätigkeiten, die dieses einschließt.
Die ehemalige Trainerin für Leadership (Führung) und öffentliche Sprecherin, die über 15 Jahre lang im Bereich Erwachsenenbildung bei mehreren Unternehmen tätig war, berät seit zehn Jahren Eltern, ihre Kinder großzuziehen und zu erziehen. Cremene, Mutter eines achtjährigen Jungen, hat einen im Land einmaligen Online-Kurs entwickelt, in dem sie Tipps und Tricks verrät, um „die beste Mutter, beziehungsweise der beste Vater zu sein, der du für dein Kind sein kannst“. Der aus zahlreichen neueren Studien und Theorien zusammengefasste Kurs „All About Parenting“ bietet neun Module, die man während eines Jahres online durchgeht und auf die man lebenslänglich zugreifen kann. Brennende Themen werden da behandelt: Wie sicherst du den Erfolg deines Kindes, wie kannst du ihm helfen, verantwortungsbewusst zu sein, wie bringst du es dazu, mit dir zusammenzuarbeiten, wie gehst du negatives Benehmen des Kindes an, wie meisterst du Konflikte zwischen Geschwistern oder zwischen Kindern?!
Von Edward Decis und Richard Ryans Selbstbestimmungstheorie ausgehend, spricht sich Cremene gegen Bestrafung und Belohnungen aus, Methoden, die uns, Erwachsenen, aus unserer Kindheit allzu bekannt sind.
Die Lösung
Das Kind sei kooperativ und handle aus eigener Initiative wünschenswert, wenn seine drei psychischen Grundbedürfnisse befriedigt seien: das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit, jenes nach Kompetenz und das nach Autonomie / Selbstbestimmung. Dazu ist Empathie erforderlich, sagt die Expertin. Die Ursache seines Verhaltens zu verstehen, also die Folge einer bestimmten Motivation, ist dabei maßgebend, denn nur so könne man sich in seine Haltungen einfühlen und ihm beweisen, dass man es wahrnimmt.
Sie ermutigt die Eltern, die intrinsische Motivation des Kindes zu fördern, also diesem die Möglichkeit zu lassen, aus Freude zu handeln, nicht etwa wegen einer Belohnung oder Bestrafung. Auf lange Sicht führe die Unterstützung der natürlichen Tendenz, Herausforderungen zu suchen und die eigenen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, zu Erfolg. Ganz im Gegensatz dazu steht die extrinsische Motivation, bei der das Kind wegen Außenstimuli wie gute Noten, Süßigkeiten, Lobesworte handelt, mit der Zeit aber keine Genugtuung mehr an der Tätigkeit, die zu verrichten ist, findet.
Darüber und über Wege, diese Vorhaben zu erfüllen, haben ein paar Dutzend Eltern, unter ihnen auch einige Väter und Großeltern aus Kronstadt, Anfang des Monats im Rahmen des kostenlosen Seminars „18 Grundtechniken der Erziehung“ einiges erfahren. Im Laufe von vier Stunden hat eine Trainerin, eine Mitarbeiterin von Urania Cremene, anhand von Erklärungen und Beispielen gezeigt, wie man das negative Verhalten, Ausbrüche und Trotzphasen der eigenen Sprösslinge verstehen und wie man damit umgehen kann, sodass die Beziehung Eltern-Kind gut bleibt.
Landesweite Seminare
Während der vier Seminarstunden wurden die Teilnehmer versichert – auch jene, die es schon wussten – dass die Erziehung ein Prozess ist, dessen Effekte manchmal erst in Jahren sichtbar sein werden. Diese Ermutigung erhalten Hunderte Eltern in rund 20 rumänischen Städten und Chișinău, die bei diesem Seminar, das im Laufe des Februar stattfindet, eingeschrieben sind. Tausende haben in den letzten Jahren daran teilgenommen.
Dass immer mehr rumänische Eltern offen sind und ihre Kinder bewusst erziehen, sich dafür mit viel Geduld und bedingungsloser Liebe einsetzen und auf gedrucktes, gesprochenes oder Online-Wort zurückgreifen, kann nur lobenswert sein. Dass nicht immer alle Methoden und Ratschläge wirken, darauf bereitet das Seminar die Eltern auch vor. Für über 3000 Lei jedoch gibt es eine einjährige Betreuung seitens Cremene, die auf alle Fragen zu ihrem Kurs und zu Erziehung antwortet. Etwa 8000 Rumänen haben den Kurs gekauft, für viele andere aber müssen wohl der eigene Instinkt und die eigenen Gefühle der Maßstab für gute Erziehung bleiben. Sie werden es wohl schaffen.