„Sicher kann man es nicht allen recht machen“

Aber das evangelische Hermannstadt sucht Kontakt zu allen

Mit dem Schlusswort von Moderator Winfried Ziegler auf das „Hermannstädter Gespräch“ am 15. November 2021 war noch lange nicht alles gesagt. Hier Günter Czernetzky, Irmentraud Philippi, Ionuț Martin, Mihai Hașegan (mit gelber Maske), Brita Falch Leutert, Teresa Leonhard und Kilian Dörr (v.l.n.r.) nach Ende der Veranstaltung

Das Westportal der evangelischen Stadtpfarrkirche Hermannstadt in neuer Ausstrahlung. Der alte Zaun aus Gusseisen davor ist weg. Geblieben ist nur der vom Café Wien. | Fotos: der Verfasser

Das erste Farbfoto in Großdruck und Hochformat im Treppenhaus des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) am Standort Hermannstadt/Sibiu zeigt Rumäniens Staatspräsidenten Klaus Johannis 2016 über den Großen Ring/Piața Mare schreitend. Rechts flankiert ihn Rechtsanwalt Bernd Fabritius, links der Theologe und Deutschlands parteiloser Ex-Bundespräsident Joachim Gauck. Wie viel oder was für eine Geschichte spricht aus diesem Foto? 

Um sich einen Reim darauf machen zu können, bietet sich eine Vernetzung mit Bildern vom Herbst 2021 an. Auch die Online-Zeitung „Turnul Sfatului“ brachte unlängst das Foto vom Sonntag, dem 10. Oktober, auf dem Klaus Johannis und Ehegattin Carmen am Huetplatz/Piața Huet zu sehen sind. Links von Stadtpfarrer Kilian Dörr und rechts von Kuratorin Ilse Philippi begleitet, steuert der Ex-Vorsitzende des DFDR und der Ex-Bürgermeister Hermannstadts das Südportal der evangelischen Stadtpfarrkirche an und nimmt Augenblicke später drinnen zu ihrer Wiedereinweihung Platz.

Stadtpfarrer Kilian Dörr und Kuratorin Ilse Philippi sind auch auf dem zweiten und neuesten Vergleichsbild Hauptprotagonisten. Mit dem personellen Unterschied, dass nicht Klaus Johannis von ihnen umrahmt wird, sondern Winfried Ziegler sich auf zentraler Position in der Rolle eines Vermittlers zwischen links und rechts versucht. Als Geschäftsführender der DFDR-Sektion Siebenbürgen moderierte er am 15. November das vom bundesdeutschen Institut für Auslandsbeziehungen (IfA) geförderte und von Kultur-Assistentin Aurelia Brecht vorbereitete „Hermannstädter Gespräch“ unter dem Titel „Begegnung gestalten – Neue Nutzungskonzepte der Evangelischen Stadtpfarrkirche.“ Natürlich im Spiegelsaal des DFDR.

Und gleich zu Beginn offen erklärend, dass bei den Siebenbürger Sachsen „geistliche und weltliche Gemeinschaft traditionell schon seit Jahrhunderten eng zusammenarbeiten.“ So habe auch schon eine Mitgliederversammlung des Zentrumsforums Hermannstadt in der neugestalteten evangelischen Stadtpfarrkirche am Huetplatz stattgefunden.

Alle Antennen auf Empfang

Es ist weder das erste noch letzte „Hermannstädter Gespräch“. Die Veranstaltungsreihe mit dem einfachen wie intriganten Namen hat sich schon lange vor Corona etabliert. Auch am 15. November 2021 zeigt sich im Spiegelsaal des DFDR ein Bild ohne jede Möglichkeit zu einer internen Hie-rarchisierung. „Wenn alles schweigt und einer spricht, dann nennt man dieses Unterricht!“ – das Motto kann dem Denkauftrag „Begegnung gestalten – Neue Nutzungskonzepte der Evangelischen Stadtpfarrkirche“ nichts anhaben. Warum auch, wo das Publikum doch mit Gesprächs-Gästen besetzt ist, die mehr als nur zuhören wollen.

Architekt Hermann Fabini, Sprachforscherin Sigrid Haldenwang, Kreisrats-Mitglied Christine Manta-Klemens (DFDR), Obstbaum-Händlerin Brunhilde Böhls, Referentin Gerhild Rudolf vom Kultur- und Begegnungszentrum „Friedrich Teutsch“ der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR), Jürg Leutert, Musikwart der EKR, Schriftsteller Carol Neustädter, Martin Bottesch, Vorsitzender der Sektion Siebenbürgen des DFDR, Filmregisseur Günter Czernetzky und DFDR-Gründungsmitglied Hans Klein – Interessierte, die sich zu diesem „Hermannstädter Gespräch“ angemeldet haben, um zu erfahren, was denn nun in der Stadtpfarrkirche Sache ist oder noch werden kann.

Sie alle könnten genauso gut vorne am Podium der Veranstaltung statt in den voll ausgebuchten Publikumsreihen sitzen, ohne dass dadurch das Niveau der Diskussion sänke. Als Impulsgeber jedoch macht letztlich Kilian Dörr den Anfang. Wie viele Kirchgänger und Besucher des Gotteshauses am Huetplatz ist auch der Stadtpfarrer vom neuen Weiß begeistert. „Es ersetzt das frühere Mörtel-Grau.“ Die aufgehellte Wandfarbe „lässt auch die Seele irgendwie hell und Licht werden.“ Zudem wurde die Stadtpfarrkirche direkt am Café Wien von ihrem Zaun aus Gusseisen vor schräger Betonfläche und zugemauerter Kirchentüre befreit und wieder mit einem hölzernen Westportal aufgerüstet. Neun neue Stufen aus alten Steinen führen darauf zu.

„Dieses neu geöffnete Portal ist wie ein Symbol für mich: hinaus zu gehen, mit den Nachbarn am Huetplatz zusammenzuarbeiten. Zum Beispiel mit jenen, die das Stadtteilfest ´Huet Urban´ organisieren“, sagt Kilian Dörr. Überzeugt ist er auch von der Glasplatte über dem halbrunden Fundamentbau der Vorgängerkirche aus sehr alter Zeit unter dem Chorraum: „So, als würde man direkt einen Blick in das 13. Jahrhundert werfen“, was auch die mehrheitliche Meinung der evangelischen Kirchengemeinde A.B. Hermannstadt widerspiegelt. „Der Raum baut die Seele. Gemeint ist, dass wir den Glauben nicht unveränderbar in unserem Innern haben und mit uns herumtragen, sondern ihn auch von diesem neugestalteten Raum in unser Herz hineinlesen.“

Kriterien für Kreativität

Ein Auftrag, der selbstverständlich mit einer Mindestdosis Respekt erfüllt sein möchte, wie Brita Falch Leutert abends im Spiegelsaal des DFDR ins Feld führt. „Unsere Stadtpfarrkirche ist mit starken Symbolen ausgestattet: Altäre, Taufbecken, Fresken, Epitaphien, Gräber und so weiter. Alle, die die Kirche betreten, treten mit den Symbolen in einen Dialog, gleichgültig, um welche Veranstaltung es sich handelt. Symbole geben ganz klar Einschränkungen. Man kann z. B. nicht alles direkt vor einem Altar machen, nur weil dort freier Raum ist. Aber die Symbole sind auch Inspirationsquellen und öffnen neue Türen“, so die Kantorin am noch nicht volle 500 Jahre protestantischen Huetplatz. „Was ist die Motivation für ein Konzert, zu einer Tanz- oder Theatervorstellung? Warum möchte ich das gerade hier halten? (...) Die Grenze für das, was passt, und was nicht, ist nicht immer deutlich (…) Wir können einander intern beraten, was unsere eigenen Veranstaltungen betrifft, und machen das auch.“

„Auswärtige Veranstaltungen sind schwieriger zu steuern“, fährt Brita Falch Leutert fort. Sie schließt die Reihe der Podiumsgäste auf der linken Seite neben Kilian Dörr sitzend ab. „Es gibt Anfragen, die uns ganz eindeutig ansprechen. Andere wiederum sprengen den Rahmen, ignorieren den Gehalt der Symbole und missachten den Respekt für die Kirchengemeinde. Und es gibt auch Fälle, wo Rückfragen nötig werden: Warum soll diese Vorstellung gerade in unserer Kirche stattfinden und nicht im Kino, im Thalia-Saal oder im Ion-Besoiu-Kulturzentrum? (früher Gewerkschaftskulturhaus, Anm. d. Red.) Vielleicht liegt gar keine Motivation zugrunde. Oder wir entdecken dabei interessante Zusammenhänge, die uns bis jetzt entgangen waren und für Spiritualität einen Gewinn darstellen. Ich heiße jede Art von Kreativität in unserer Kirche willkommen“, gibt Kantorin Brita Falch Leutert zu Protokoll. Betonend, dass die noch zu bestimmenden Kriterien die Kirche als einen Ort der Spiritualität erhalten sollen.

Stadtpfarrer Kilian Dörr teilt ihre Offenheit, schreckt in Grenzfällen aber nicht vor der einzig richtigen Lösung zurück. „Wir haben auch schon einem Death-Metal-Konzert abgesagt, das mit satanistischen Texten und Zügen bei uns hätte passieren sollen. Hier ist eine klare Grenze.“

Ökumenisch und umweltfreundlich

Nach einer Stunde Gesprächszeit spielt Moderator Winfried Ziegler die höchste Karte – „Vielleicht sage ich es jetzt provokant, plakativ: es gibt doch erstaunlich viele Bewohner Hermannstadts, die dieses Gebäude nicht kennen, das da im Zentrum steht. Woran liegt das, und was können wir als Kirchengemeinde und als Reiseleiter tun?“ Teresa Leonhard hat es als Lehrerin erlebt, dass Schülerinnen und Schüler der 12. Klasse am Samuel-von-Brukenthal-Gymnasium ihr gesagt hätten, „noch nie in dieser Kirche gewesen zu sein.“ Anders dagegen Reiseleiter Mihai Hașegan, Gründer des Vereins und der Kontaktbörse „Sibiu Guides“. Er ist Ex-Abiturient des Gymnasiums gegenüber der evangelischen Stadtpfarrkirche am Huetplatz und findet, „Kirchenführer sollen konfessionelle Unterschiede erklären können“. Kuratorin Ilse Philippi als seine Podiums-Nachbarin auf dem „Hermannstädter Gespräch“ im Spiegelsaal pflichtet ihm bei: „Wir können nicht so tun, als ob wir die Einzigen in Hermannstadt wären.“

Noch einen Schritt weiter geht Elfriede Dörr, als sie Mihai Hașegan und Reiseleitern überhaupt empfiehlt, Hermannstadts evangelische Stadtpfarrkirche wirklich so gut zu kennen, dass eine Gästeführung auch ohne die Mithilfe einer stellvertretenden Person vonseiten der Kirchengemeinde spannend bleibt. Und von einem Statement ihres Ehepartners Kilian Dörr ausgehend („die Heizung der Kirche vom Erdgas wegbringen“) stellt sie den Stadtrats-Mitgliedern des DFDR statt den Podiums-Gästen offen die Frage, „wie ihr die Chance seht, dass der grüne Gedanke in eure Entscheidungen aufgenommen wird?“

Augenblicke später schlägt Mihai Ha{egan „eine Kirchenführung für die Stadtrats-Mitglieder bei ihrer nächsten Sitzung“ vor. Doch Winfried Ziegler lehnt es ab, über die von Elfriede Dörr aufgestellte Frage nach dem Ob und Wie der grünen Politik diskutieren zu lassen. „Weil sie den Raum der Kirche sprengt. Aber ein wichtiger Ansatz, den man auf jeden Fall weiter diskutieren muss.“ Daraus ließe sich ein Thema für ein nächstes „Hermannstädter Gespräch“ gestalten.

Ob auch alle acht gewählten Stadtrats-Mitglieder des DFDR sich für ein „Hermannstädter Gespräch“ zu einem solchen Thema interessierten? Nur einer von ihnen mischt sich unter die Zuhörer der spannenden Gesprächsrunde über „Neue Nutzungskonzepte der Evangelischen Stadtpfarrkirche“.

Arbeiten „weltliche und geistliche Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen“ tatsächlich so „eng“ zusammen, wie Moderator Winfried Ziegler es zu Beginn des Abends unterstrichen hat? Genauso wie der Geschäftsführer der Sektion Siebenbürgen des DFDR geht auch Stadtrat Wolfgang-Alexander Guib nicht auf Elfriede Dörr´s Frage nach grüner Politik ein. Aber er wirbt für den „Green Governance Summit“ der UNO vom 24. bis 27. Mai 2022, der in Hermannstadt stattfinden soll.

Indizien positiver Diskriminierung?

„Ich finde, wir sollen Leute gut behandeln und gerne willkommen heißen, aber wir sollen nicht um jeden Preis die Arme ausbreiten und sagen, ´kommt, kommt, kommt!´ Wir können einen gewissen Anspruch an Leute erheben, die uns besuchen“, meint Musikwart Jürg Leutert eine Viertelstunde vor Ende des „Hermannstädter Gespräches.“ Regelmäßig fragen Chöre bei ihm um Auftrittsmöglichkeiten in Siebenbürgen an. „Sehr oft kommt die Rückfrage, ´ja, könnt ihr uns nicht ein Papier ausfüllen, so dass wir nachher in Deutschland um Spenden für diese Reise anfragen können?´ Ein sehr bitteres Gefühl, wenn man ´gebraucht´ wird, um eine Reise für im weitesten Sinne wohlhabendere Gesellschaften zu finanzieren.“