Sind wir Maulwurfphilosophen?

Wort zum Sonntag

Eine alte Sage berichtet: Als Gott die Welt erschaffen hatte, fragte er die Engel, was sie von seinem Werk hielten. Ein Engel sprach: „Dein Werk ist über alle Maßen groß und wunderbar. Aber eines fehlt noch! Es sollte eine Stimme durch das Weltall dringen, stark, klar und volltönend, die überall und allezeit, bei Tag und Nacht, dem Schöpfer das Lied der Dankbarkeit und Verherrlichung singt für alles, was seine Güte geschaffen hat.“ 

Alle Engel baten Gott, diesen Gedanken auszuführen. Gott entschied: „Ich werde ein Geschöpf erschaffen, in dem sich das ganze sichtbare Universum vereint. Diesem Geschöpf werde ich die Gabe verleihen, dass es die Wunder meiner Schöpfung erkennt und mich deshalb verherrlichen kann, wie ihr es wünscht.“ Und Gott schuf am Ende aller Schöpfungstage den Menschen und gab ihm die Vernunft, seinen Schöpfer zu erkennen und ihm die Ehre zu geben für alles, was sein staunendes Menschenauge in Gottes großer Schöpfung sieht.
Wer das Wunderwerk der Schöpfung Gottes mit Vernunft betrachtet, bei Tag die leuchtende Sonne, bei Nacht den gestirnten Himmel, der muss in das Loblied einstimmen: „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre!“ Wer die gewaltigen schneebedeckten Alpen betrachtet, das weite Meer, die Pracht der Blumen und die Schönheit der rauschenden Wälder, bricht in den Jubelruf aus: „Großer Gott, wir loben Dich!“ Wir Menschen sind die vornehmsten Geschöpfe Gottes auf Erden. Er hat uns mit Vernunft begabt, um seine Werke zu erkennen und seine Weisheit und Allmacht zu preisen. Wir tun dies mit Lobgebeten und Dankesliedern. Sind wir doch ständig von den Wundern seiner Schöpfung umgeben. 

Die Samariterin, der Jesus am Jakobsbrunnen begegnete, fragte Jesus, wo man Gott anbeten solle, auf dem Berg Garizim oder im Tempel zu Jerusalem. Christus antwortete auf ihre Frage: „Die Stunde ist schon da, in der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit. Gott ist Geist – solche Anbeter liebt Gott!“ 

Es kommt hauptsächlich nicht auf den Ort an, wo wir Gott loben, sondern auf die Tat, dass wir Gott als Herrn anerkennen und preisen. Leider vergessen das viele Sterbliche. Sie erheben ihre Vernunft nicht zum lichtvollen Himmel empor, sondern wenden sich nur der dunklen Erde zu. Warnend heißt es im 32. Psalm: „Werdet nicht wie Ross und Maultier, die ohne Verstand sind!“ 

Wir gleichen diesen beiden Tieren nicht, aber viele von uns entwickeln eine „Maulwurf-Philosophie“. Sie philosophieren so wie der Maulwurf in der Fabel: „Angeblich soll ein Gott im Licht wohnen. Ich habe ihn noch nie gesehen. Offengestanden: Im Dunkeln fühle ich mich wohler, grabe Stollen, fresse, was mir ins Maul kommt, fürchte mich nur vor dem Fuchs, vor Jagdhund und Igel, sonst vor niemanden. Ich zeuge meine Jungen und halte ihnen das Nest warm. Da hörte ich mit Staunen, dass jenseits des Ackers eine Stadt wächst, mit Brücken, Autos, Häusern und Menschen. Dahinter soll es angeblich noch tausend andere Städte und Länder geben. Ist so etwas überhaupt denkbar? Sollte es wirklich sein, dass es noch schmackhaftere Speisen als meine wohlschmeckenden Engerlinge gibt? Höhere Berge als meinen Maulwurfshügel? Sollte es sogar einen Gott geben, dem man die Schöpfung von allem mir Bekannten zuschreibt? Ich kann das alles nicht glauben.“

Philosophieren auch wir so ähnlich? Befreien wir uns doch von dieser armseligen „Maulwurfphilosophie“. Bleiben wir nicht im bloßen Erwerb des täglichen Brotes und in der Befriedigung unserer leiblichen Bedürfnisse stecken. Wir sind doch keine Maulwürfe. Erheben wir Vernunft und Herz zu Gott, dem allmächtigen Schöpfer der wundervollen Welt, empor. 
Nicht dem Maulwurf, sondern der Lerche wollen wir gleichen, die hoch in den Lüften ihrem Schöpfer ihr Lied trillert. Erfüllen wir, so lange wir noch auf Erden leben, die Aufforderung im 136. Psalm: „Danket dem Herrn, denn er ist gut und sein Erbarmen währt ewig!“