Sportveranstaltungen als „Waschmittel“ für ein sauberes Image

Wie Regime „Sportswashing“ nutzen, um ihre Außendarstellung zu verbessern

Das Lusail Iconic Stadium liegt 15 Kilometer nördlich Zentrums der Hauptstadt Doha. Es bietet knapp 89.000 Zuschauern platzt und soll Austragungsort für das Finale am 18. Dezember sein. | Foto: Visit Qatar, www.unsplash.com

Das offizielle Veranstaltungsplakat zu den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin. | Foto: Franz Würbel, www.olympic-museum.de

Seit einigen Wochen rollt der Ball bei der 22. Fussball-Weltmeisterschaft in Katar. Das Turnier gehört zu den umstrittensten in der WM-Geschichte. Schon die Vergabe zur Austragung an das Emirat sorgte für Diskussionen und Kritik, die bis heute nicht verstummt sind. Katar investierte hunderte Milliarden in die Infrastruktur. Zahlreiche Sportstadien wurden mit der Arbeitskraft von hunderttausenden Arbeitsmigranten gebaut. Tote auf den Baustellen, fehlende Grundrechte, Korruption und verletzte Menschenrechte verleihen dem Staat ein fragwürdiges Image. Die Ausrichtung der Weltmeisterschaft soll dieses in ein besseres Licht rücken. Man spricht dabei auch von „Sportswashing“.

„Sportswashing“ nennt man, wenn Staaten sich von der grundsätzlich positiven Strahlkraft von Sportereignissen einen Nutzen versprechen, um das eigene Image aufzubessern. Mit der medialen Reichweite des Sportevents soll von Menschenrechtsverletzungen, Demokratiedefiziten oder auch gesellschaftlichen und sozialen Problemen abgelenkt und das eigene Image metaphorisch reingewaschen werden. Die Tatsache, dass Sportgroßereignisse in autokratischen Ländern wie Russland (Fussball-WM 2018), China (Olympische Winterspiele 2022) und jetzt Katar ausgetragen wurden, hat die Debatte jedoch verändert. Beim „Sportswashing“ geht es eben nicht nur darum, sein Image zu verbessern und die eigenen Leistungen zu inszenieren, sondern den Sport gezielt auch als Vehikel zur Ablenkung einzusetzen. Längst sind es nicht mehr nur große Sportereignisse, die dafür genutzt werden. Vor allem Golfstaaten investieren seit Jahren direkt in Sportclubs und Sportarten. 2008 übernahm die Investmentfirma der königlichen Familie Abu Dhabis den englischen Traditionsverein Manchester City. 2011 kaufte die Investorengruppe Qatar Sports Investments den französischen Hauptstadtklub Paris St. Germain. Seither flossen insgesamt Milliarden in diese Klubs. Im vergangenen Jahr erwarb der saudische Staatsfonds den englischen Klub Newcastle United. 2022 veranstaltete die Formel 1 drei Rennen in Staaten am Persischen Golf. Diese Investitionen haben auch einen politischen Charakter. 

Historische Wurzeln im antiken Griechenland

Dass Staaten oder Regionen Sportereignisse als Strategie zur eigenen Imageverbesserung nutzen wollen, ist allerdings kein modernes Phänomen. Einige Historiker weisen daraufhin, dass es frühe Formen von „Sportswashing“ bereits im antiken Griechenland gab. So soll ein aufstrebender Athener Politiker namens Alkibiades die Olympischen Spiele im Jahre 416 v. Chr. für ein geopolitisches Ablenkungsmanöver genutzt haben. Er nahm während der Spiele mit mehreren Streitwagen an vierspännigen Wagenrennen  teil und erreichte dabei mehrfach die vordersten Plätze. Die Erfolge sollten ein starkes und stabiles Bild der Griechen abgeben, die sich zur selben Zeit in einem seit Jahren dauernden Krieg mit Sparta befanden. 

Olympia unter dem Hakenkreuz

Ein weiteres Beispiel für eine frühe Form des „Sportswashing“ waren die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Bereits 1931, zwei Jahre vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, wurden die Spiele durch das IOC an die deutsche Hauptstadt vergeben. Schon im Vorfeld der Sportevents gab es große Kritik an der Austragung der Spiele im nationalsozialistischen Deutschen Reich. Es gibt einige Parallelen zu den Diskussionen um die Weltmeisterschaft in Katar. Das nationalsozialistische Regime nutzte die Spiele nicht nur für die Außendarstellung, sondern vor allem auch als machtvolles Propagandainstrument innerhalb des Reichs. Der Umstand, dass deutsche Sportler die meisten Medaillen abräumten, spielte dem Propagandaministerium in die Hände. Der deutsche Athlet und seine Erfolge wurden mit arischen Tugenden stilisiert und auf das Volk projiziert.

Finale in Hörweite der Folterkammern

„Ich bitte Gott unseren Herrn darum, dass dieses Ereignis wirklich dazu beitragen wird, den Frieden zu bejahen. Den Frieden, den wir alle wollen, für die Menschen in der ganzen Welt.“ Mit diesen Worten eröffnete Jorge Rafael Videla, Präsident der Militärjunta, die Fussball-Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien. Die Junta – Regierung der Generäle – hatte sich nur knapp zwei Jahre zuvor an die Macht geputscht. Das Regime sah das Weltmeisterschaftsturnier als gelegene Möglichkeit, ihr Image vor allem international zu verbessern. Rindersteaks und eine begeistert jubelnde Bevölkerung sollten dafür sorgen, dieses Bild zu vermitteln. Die feinfühlenden Worte des Präsidenten waren jedoch nur Schein. Die Folter- und Mordmaschinerie der Militärdiktatur kam auch während der Weltmeisterschaft nicht zum Stillstand. Insgesamt wurden 30.000 Menschen während der Diktatur ermordet. Über das Schicksal vieler Opfer ist bis heute nichts bekannt. Weder der Fussball-Weltverband FIFA, noch die meisten Teilnehmerländer äußersten sich kritisch gegenüber der Militärdiktatur und ihrer Verbrechen. Der sportliche Erfolg und die volle Konzentration auf ein reibungslos ablaufendes Weltturnier standen über allem. Die FIFA hatte bereits 1966 die Weltmeisterschaft nach Argentinien vergeben. Auch nach der Errichtung eines nationalistischen Militärregimes Jahre später distanzierte sich der Weltverband nicht vom Gastgeberland. „Die FIFA dankt der argentinischen Regierung und dem argentinischen Volk für die großartige Arbeit, die sie für die Weltmeisterschaft geleistet hat“, lobte der damalige FIFA-Präsident, Joao Havelange, den Gastgeber. Niemand schien sich daran zu stören, dass das Finale des Turniers im River-Plate-Stadion stattfand, welches in unmittelbarer Nähe zur Militärakademie ESMA lag. Dieses diente dem Regime als Geheimgefängnis. Allein dort wurden über 4000 Menschen gefangengehalten, gefoltert und ermordet. In welcher verzerrten Wahrnehmung sich auch Spieler befanden, belegen Aussagen deutscher Nationalspieler. Manfred Kaltz sagte: „Belasten tut mich nicht, dass dort gefoltert wird. Ich habe andere Probleme.“ Klaus Fischer äußerte sich ähnlich: „Die politischen Zustände in Argentinien interessieren mich überhaupt nicht. Ich konzentriere mich auf die Weltmeisterschaft. Das Militär stört mich da auch nicht.“ Völlig kritiklos kam das Regime jedoch nicht davon. In europäischen Ländern wie den Niederlanden und Frankreich, die ebenfalls am Turnier teilnahmen, wurden Boykott-Forderungen laut.

Die „Waschmaschine“ stottert

Bei der gegenwärtigen WM in Katar ist die Situation eine etwas andere. Hier zeigte die bereits seit der Vergabe massive und anhaltende öffentliche Kritik, die auch zahlreiche Boykott-Aufrufe einschloss, dass es zumindest in Westeuropa erheblichen Widerstand gibt. Das öffentliche Bewusstsein für die Menschenrechtslage in Katar ist durch die Vorberichterstattung zur WM sehr hoch. Der Tod vermutlich tausender Gastarbeiter auf den Baustellen oder der restriktive Umgang mit Homosexualität lieferten Negativschlagzeilen für Medien. In den Wochen vor Turnierbeginn gab es täglich neue kritische Beiträge und Dokumentationen über Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Überwachung per App oder die Einschränkung von Pressefreiheit. Der Versuch Katars, das Land mit Hilfe der WM flankiert mit eindrucksvollen Bildern in das ‘rechte Licht‘ zu rücken, dürfte so kaum gelingen. Ist Katars Strategie des „Sportswashing“ daher jetzt schon gescheitert? Bei denjenigen, die die WM boykottieren, werden negative Einstellungen gegenüber Katar bleiben. Diejenigen, die die WM verfolgen, könnten ihre Meinungen über das Emirat aber noch ändern. Entscheidend wird sein, ob weitere negative Ereignisse die Berichterstattung beherrschen werden oder von nun an andere Bilder im Mittelpunkt stehen. Schaut man auf einige frühere Gastgeberländer – wie z.B. Brasilien bei der Fussball-Weltmeisterschaft 2014 und den Olympischen Spielen 2016 –, so hat sich das Image vor allem als Reiseland wesentlich verbessert, obwohl auch sozio-ökonomische Probleme im Land mit Sorge betrachtet wurden.

Imageverbesserung, Imageverschlechterung oder gar kein Effekt?

In der Kritik stehende Regime konnten Sportveranstaltung in der Vergangenheit wesentlich effizienter für eine Imagemanipulation nutzen. In einer Welt ohne Internet und den damit einhergehenden immer verfügbaren sozialen Medien hatte der Veranstalter ein Vorrecht auf die Berichterstattung. Die überall und zu jeder Zeit zugänglichen sozialen Medien erschweren die Imagebildung der Gastgeberländer im Internetzeitalter. 

Aktuell, so scheint es, sind die Vorstellungen über Katar bei vielen äußerst negativ eingefärbt. Statt strahlend weißer Weste, wird der „Fußball-Waschgang“ im Emirat wahrscheinlich eher Flecken produzieren. Schlechtere Einschaltquoten bei den Fernsehübertragungen, kaum ausverkaufte Stadien, Journalisten, die an der freien Berichterstattung gehindert werden, sowie die ablehnende Haltung beispielsweise gegenüber der öffentlichen Darstellung des Regenbogen-Symbols, erschweren den Waschgang erheblich. Zumindest in Westeuropa scheint sich das negative Image noch nicht zu wandeln. In anderen Teilen der Welt könnte das „Sportswashing“ durchaus erfolgreicher sein. Fest steht, dass ein endgültiges Fazit über das Image Katars als WM-Gastgeber innerhalb des Landes und in der Außenansicht noch aussteht. Die bisherige Berichterstattung zeigt jedoch auf, dass der Glanz Katars, aber auch der FIFA verblasst sind.