Stirbt die Bevölkerung in Rumänien aus?

Besorgnis über Rückgang der Geburtenrate in den letzten 20 Jahren

Im Jahr 2000 sollte Rumänien 22 Millionen Einwohner haben. Das wünschte der kommunistische Landesvater und Diktator Nicolae Ceauşescu recht bald nach seiner Inthronisierung in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts und erließ das ominöse Dekret zur Förderung der Geburtenrate, das Verhütungsmittel praktisch verbot und Abtreibungen kriminalisierte.

Der Begriff der „Dekretchen“ – „decreţei“ – kam auf und bezeichnete eine ganze Generation von Kindern, die in den endsechziger Jahren mehr ungewünscht als gewollt zur Welt kamen. Frauen, die ungewollt schwanger wurden und illegal abtreiben ließen, wurden in Notfällen in den Krankenhäusern in Anwesenheit eingeschüchterter oder erpressbarer Ärzte nicht behandelt, wenn sie den Milizleuten nicht verrieten, wer die (stümperhafte) Abtreibung vorgenommen hatte. Kaiserschnitte wurden zur Seltenheit, denn die Gebärfähigkeit musste mit allen Mitteln erhalten bleiben. Engelmacherinnen wurden auf Jahre in Gefängnisse gesteckt, „Heldenmütter“ wurden oft von Ceauşescu persönlich ausgezeichnet und bekamen „lebenslange“ Pensionen, wenn sie mehr als zehn Kinder zur Welt gebracht hatten.

Übervolle Kinderheime mit Scheinwaisen

Die Kehrseite. Die ab 1967-68 geborenen Jahrgänge füllten die Kindergärten und Schulen bis zum Überquellen – denn Neubauten, die dem erzwungenen Kinderboom Rechnung getragen hätten, gab es kaum welche. Auch Kindergärtnerinnen und Lehrer wurden keine zusätzlich angestellt, geschweige denn ausgebildet, sodass ab den 70er-Jahren zahllose Grundschulklassen mit 45 und 48 Kindern in einer Kindergartengruppe, einer Klasse und mit einem Lehrer funktionierten. Prekäre Lehrbedingungen in den Massenklassen von damals dürften die wahre Grundlage der heutigen misslichen Lage des Unterrichts- und Bildungswesens in Rumänien sein, denn viele der damaligen Schüler sind heute in einem holprigen Massenschulwesen schlecht ausgebildete Lehrer.

Aber auch die Kinderheime füllten sich mit missliebigen Säuglingen, weil die ungewollt zur Mutterschaft gekommenen Frauen, vor allem die ledigen Mütter, ihre Neugeborenen in den Entbindungsheimen zurückließen. So entstand die „Waisenhausmisere“, die als internationaler Schock nach 1989 um die Welt ging und gleich nach der Wende wahre Hilfs- und Adoptionswellen auslöste. Die meisten waren gar nicht wirkliche Waisen.

Geburtenmüdigkeit macht sich breit

Nach der jüngsten Volkszählung hat das Nationale Institut für Statistik noch keine Richtzahlen über die gegenwärtige Bevölkerung Rumäniens bekannt gegeben. Erst mal musste sich wohl die Aufregung über die schlechte Organisation und die Verdacht erregenden Fragen des demoskopischen Vorgangs legen. Und die Zahlen um 19 Millionen Einwohner, die anfangs über die Bevölkerungszahl Rumäniens  zirkulierten – vom Statistikinstitut in Umlauf gesetzt durch ihre täglichen Fortschrittsberichte über die Volkszählung – könnten sogar noch übertrieben sein, wenn man vergleicht, was die Statistikinstitute der Verwaltungskreise über die Geburtenzahlen der Zeitspanne 1990-2010 und deren Entwicklung bekannt geben. Diese Zahlen können nämlich ziemlich problemlos – natürlich von Kreis zu Kreis unterschiedlich, aber aufgrund der Informationspflicht erzwingbar – erfahren werden. So konnte eine Übersicht über die Geburtenfreudigkeit der Bevölkerung Rumäniens in den ersten zwei Jahrzehnten nach der Wende aufgestellt werden, die schockiert und zur Frage berechtigt, in wie viel Zeit Rumänien ohne Bevölkerung dastehen wird – oder mit einem total veränderten ethnisch-religiösen Bevölkerungsbild, wo bestenfalls noch die gemeinsame Staatssprache das Bindemittel sein dürfte – von Identitätsbewusstsein und Nationalstolz, von Mentalität und Kulturbewusstsein kann man absehen. Sogar die immer wieder gern zitierten geburtenfreudigen Verwaltungskreise der südlichen Moldau sind laut Statistiken geburtenmüde geworden.

Bukarest und Ilfov sind geburtenfreudig

Es gibt in der Zeitspanne 1990-2010 nur zwei Verwaltungseinheiten, wo die Geburtenzahl gestiegen ist: der Großraum Bukarest und der ländliche, unmittelbar angrenzende Verwaltungskreis Ilfov. Ansonsten sanken die Geburtenzahlen in ganz Rumänien seit 1989 um 18 bis 50 Prozent. Am drastischsten im Verwaltungskreis Hunedoara: 1990 sind dort 7358 Kinder geboren worden, 2010 waren es 3683, also ein Rückgang von mehr als 50 Prozent.

Dass der Geburtenrückgang in ganz Rumänien nicht nur einfach auf eine verminderte Gebärfreudigkeit zurückgeführt werden kann, ist genauso offensichtlich wie die Tatsache, dass im Großraum Bukarest auch der Zuzug vieler junger Ehepaare und das reiche Angebot an besser bezahlten Arbeitsplätzen die Geburtenfreudigkeit mit beeinflussen. Zudem ist die Emigrationstendenz (Arbeitsmigration in die reicheren Länder West- und Südeuropas) in der „Provinz“ – und hier ragen die zu sonstigen Zeiten geburtenreichen Verwaltungskreise Ost- und Nordwestrumäniens sowie Olteniens heraus – betonter, was zum Abzug junger Ehepaare und implizite zu weniger Nachwuchs führt.

Reichere haben mehr Kinder

Eine von den Statistikinstituten unterstrichene Tendenz ist auch, dass in den großen und bevölkerungsreicheren Verwaltungskreisen, die zudem noch wirtschaftlich besser bis gut dastehen, der Geburtenrückgang gebremster ist, was unbedingt auf einen starken Zusammenhang zwischen materiellem Stand (=Einkommen) der Bevölkerung und Geburtenfreudigkeit hinweist. Fakt bleibt als Schlussfolgerung der Entwicklungstendenzen der ersten zwanzig Jahre nach der Wende, dass die früher bevölkerungsreichen, aber armen Verwaltungskreise schneller bevölkerungsmäßig schrumpfen als die reicheren Verwaltungskreise, denen es immer besser ging und die immer schon Magneten für die Binnenmigration waren.

Trotzdem bleibt Ostrumänien ein geburtenfreudiges Gebiet. Sieht man allein auf das Jahr 2010, als in Bukarest 21.147 Kinder zur Welt kamen, so liegt an zweiter Stelle der Verwaltungskreis Jassy/Iaşi mit 9499 Geburten. Ihnen folgen Konstanza/Constanţa mit 8161 Neugeborenen, Suceava (8001) und Bacău (7305), durch die Bank ostrumänische Regionen. Prahova (7172), Klausenburg (6839) und Temesch (6837) nuancieren das Bild und schieben es stärker in Richtung „reichere Regionen“. Bukarest, Temesch und Klausenburg sind nicht zuletzt die wirtschaftlich weitaus am besten entwickelten in dieser Gruppe der geburtenfreudigeren Verwaltungskreise. Am Ende der Tabelle stehen kleine und bevölkerungsarme Verwaltungskreise, etwa Covasna, Tulcea oder Sălaj.

Was den statistischen Rückgang der Geburtenrate betrifft, so folgt auf Hunedoara mit seinem 50-prozentigen Rückgang zwischen 1990 und 2010 ziemlich überraschend Olt (-48 Prozent), Teleorman (-48 Prozent), Vaslui (-47 Prozent), Botoşani (-46 Prozent),  Gorj (-46 Prozent) und Vâlcea (-46 Prozent) sowie die Gruppe Karasch-Severin/Caraş-Severin, Marmarosch/Maramureş, Neamţ und Tulcea mit je 44 Prozent Geburtenrückgang in den ersten 20 Jahren nach der Wende.

In derselben Zeitspanne betrug der Geburtenrückgang in den Verwaltungskreisen Hermannstadt (-26 Prozent), Arad, Klausenburg, Konstanza, Sălaj, Tulcea und Covasna (-18 Prozent) zwischen rund einem Fünftel und einem Viertel von 1989.
Die Bevölkerung Rumäniens ist nicht nur immer geringer, sondern sie altert auch zunehmend. Internationale Prognosen, die von einem „bevölkerungsleeren Rumänien“ gegen Ende des 21. Jahrhunderts sprechen, sollten nicht voller Überheblichkeit von der Hand gewiesen werden und die zaghaften Rufe nach einem dringend nötigen höheren Lebensstandard der Bürger Rumäniens auch nicht. Es steht schlimm.