Teils gute Nachrichten von weiter östlich

Land der fehlenden Ärzte, Land der meisten Bären oder Land der einsamen Kinder, deren Eltern im Ausland arbeiten – wie lässt sich Rumänien am besten charakterisieren?


Der Essay entstand im Rahmen des Mittel- und Osteuropäischen Journalistenseminars in Leipzig (SSM-Seminar der Sächsischen Stiftung für Medienausbildung). Im Rahmen des zweiwöchigen Seminars treffen Journalistinnen und Journalisten zusammen, tauschen sich über die Mediensysteme in ihren Ländern aus und lernen das Mediensystem in Deutschland kennen.

Im Allgemeinen dominieren über Rumänien in den bundesdeutschen Medien die Negativ-Schlagzeilen: Korruption, Diskriminierung der Roma-Minderheit, Missbrauch von Kindern in Heimen, die Armut der Bevölkerung. In letzter Zeit waren es die Braunbären, deren Lebensraum durch den Menschen stark eingeschränkt wird und die in Wohngebiete vordringen, um dort Mülltonnen auf den Kopf zu stellen. Die Bären-Population in Rumänien ist die größte Europas. Etwa 8000 Bären leben in den Wäldern Rumäniens. Ja, der rumänische Problem-Bär hat es eben in sich!

So dominiert eine Wahrheit von Schlaglichtern. Aber Schlaglichter ergeben kein großes Ganzes. Sie bieten außerdem Raum für Missverständnisse, für ein falsches Bild, verzerrte Realitäten. Am Schluss ist die Vorstellung des Bundesdeutschen geprägt von einer landesweiten Misere, zahnlosen Dorfbewohnern, bunte Kopftücher tragenden Roma-Frauen, die an Geister glauben. Von trüben und dunklen Landstrichen, in denen, ab und zu von Graf Dracula überflogen, die Zeit „still steht“. Das tut sie übrigens in fast jeder Dokumentation, die gedreht wird. Neblige und trübe Landschaften, sozialistische Plattenbauten, graue Gesichter und Pferdefuhrwerke. Bloß nicht hinfahren, so die vermeintliche Nachricht.

Keine Frage, Korruption und Willkür sind oft Realität. In der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2023 ereigneten sich mehrere Zwischenfälle, die das Land erschütterten: Im der neben Bukarest gelegenen Stadt Crevedia explodierte eine LPG-Tankstelle, die ihren Betrieb längst hätte einstellen sollen, weil ihr die behördliche Genehmigung seit 2020 wegen unzureichender Sicherheitsstandards entzogen worden war. Trotzdem war die Tankstelle weiter in Betrieb. Sechs Menschen ließen bei der Katastrophe ihr Leben, 50 Menschen wurden schwer verletzt. Viele der Opfer wurden in Krankenhäusern im Ausland behandelt. Die Anwohner hatten sich zwei Jahre lang bei den örtlichen Behörden über einen unnatürlichen Geruch in Haus und Hof beschwert. Warum die Tankstelle weiter arbeiten konnte: Der Vater des Tankstellenbesitzers war Bürgermeister der PSD (Sozialdemokratische Partei Rumäniens). So kamen offenbar lukrative Geschäfte mit öffentlichen Institutionen zustande. 

Andere Zwischenfälle betrafen das Gesundheits- und Pflegesystem: Im August 2023 verstarb eine 25 Jahre alte Schwangere und Mutter von drei Kindern, weil sich im Krankenhaus in Boto{ani niemand um sie kümmerte. Im Juli wurden die Altenheime landesweit einer Untersuchung unterzogen, nachdem im Bukarester Vorort Voluntari ein Altenheim für Schlagzeilen sorgte: Die Heimbewohner waren katastrophalen hygienischen Zuständen und menschenunwürdigen Drangsalierungen ausgesetzt. Auch hinter dieser Schlagzeile stand ein PSD-naher korrupter Machtapparat, aus dem sich Einzelne bereicherten.

Weniger im Bewusstsein der bundesdeutschen Öffentlichkeit sind die vielen Rumäninnen und Rumänen, die aufgrund der vielerorts herrschenden Zustände ein besseres Leben im Ausland suchen. Über 3 Millionen von ihnen leben außerhalb des Landes. Viele davon sind gut ausgebildet, Ärzte, Lehrer, Krankenpfleger, Altenpfleger, Handwerker. Auch sie stützen das Gesundheits- und Pflegesystem in Deutschland oder Österreich – bleiben aber über weite Strecken unsichtbar. Dem rumänischen System hingegen fehlen sie. Nichts gegen Freizügigkeit. 

Weniger problematisiert werden die Daheimgebliebenen. Verlassene Kinder, die in der Obhut der Großeltern oder der Nachbarn groß werden und ihre Eltern allenfalls über Videotelefonie zu Gesicht bekommen. Für einen Schengen-Beitritt haben diese Opfer jedenfalls bisher nicht gereicht. Der Westen ist daran nicht ganz unschuldig. Was geschieht mit Menschen, mit Generationen einer Bevölkerung, die über Jahre und Jahrzehnte getrennt von ihren Kindern lebt? 

Trotzdem, bitte anschnallen – aufgepasst: Es folgen Positivnachrichten. Sie sind leider in den bundesdeutschen Medien weniger sichtbar, obwohl gerade Deutschland und Rumänien eine historische Brücke besitzen, die der Öffentlichkeit in Deutschland jedoch kaum bekannt zu sein scheint. Die Existenz einer deutschen Minderheit, die seit vielen Jahrhunderten in verschiedenen Regionen auf dem heutigen Staatsgebiet Rumäniens ansässig ist, wird in bundesdeutschen Medien meist unterschlagen. Viele Klimmzüge erlauben es irgendwie, die Identität der befragten Menschen zu kaschieren – denn: Menschen die deutsch sprechen – im Osten Europas?! Hat das nicht offensichtlich etwas Bedenkliches, etwas politisch Inkorrektes? Vielleicht, so hat so mancher Berichterstatter den Eindruck, dürfte es das, historisch betrachtet, eigentlich gar nicht mehr geben.

Trotzdem wurde im November 2014 der Angehörige einer deutschen Minderheit Rumäniens, die der Siebenbürger Sachsen, Klaus Werner Johannis, zum Präsidenten Rumäniens gewählt. Ein Lichtblick für viele. Historisch eine Seltenheit. Denn: Wie oft geschieht es schon, dass eine Nation den Angehörigen einer Minderheit zum Staatsoberhaupt wählt?

Die Situation der Minderheiten in Rumänien ist einzigartig: Die 19 anerkannten Minderheiten haben je einen Abgeordneten im rumänischen Parlament. Die Verfassung garantiert den ethnischen Minderheiten Rumäniens weitgehende Individualrechte; sie erhalten durch den Staat Fördermittel zur Pflege ihrer Sprache und Kultur, und er unterhält ein eigenes Netz von Kindergärten und Schulen für sie.

In Deutschland wird derzeit viel über Diversität, über Vielfalt, über eine bunte und solidarische Gesellschaft diskutiert. Vielleicht könnte ein Blick auf das historisch gewachsene Nebeneinander vieler Ethnien in einem Land, das weiter östlich liegt, den Blick weiten. Und vielleicht wären es ebendiese Stimmen aus dem Dazwischen, die einen Einblick geben könnten: in das Leben vor Ort, in die Geschichte von Land und Leuten, in einer Nuancierung und Differenzierung der Zustände und Gegebenheiten in einem Land im Osten Europas.