Temeswar im Herzen

Prof. Dr. Alexander Sumski in Tübingen verstorben

Foto: Ulrich Metz

Die Heidelberger Musikwissenschaftlerin Silke Leopold, die seit vielen Jahren zu Musik- und Migrationsgeschichte forscht, kritisiert mit Recht, dass musikalische Migranten bestenfalls unter den Orten abgehandelt werden, an denen sie wirkten, statt die Migration und ihre Auswirkungen auf die Kompositionsgeschichte – in unserem Fall die Musikgeschichte – zu thematisieren. Dass aber Musikhistoriographie nicht immer eine nationale oder konfessionelle Angelegenheit sein muss, beweist die Musikgeschichte der Donauschwaben oder jene der Siebenbürger Sachsen. Ich gebe zu, dass wir auch in diesem Bereich noch einen riesigen Nachholbedarf haben an fundamentalen und systematischen Forschungen sowie an der Aufarbeitung von Dokumenten, doch würde es sich besonders in unserer heutigen multimedialen Zeit auszahlen, diese so spannende und faszinierende Arbeit durchzuführen. Darin würde auch der Name von Prof. Dr. Alexander Sumski einen würdigen Platz finden, der am 23. Juli 2022 in Tübingen verstorben ist.

Das Katholische Sonntagsblatt der Diözese Rottenburg-Stuttgart schrieb in einem Nachruf: „Die Diözese trauert um Alexander Sumski, der am 23. Juli 2022 verstorben ist und ein einzigartiges Kulturgut hinterlässt. (…) Dank seiner Initiative wurden bis 2005 fast 300 Kompositionen aus ehemaligen Klöstern Oberschwabens neu entdeckt.“ Und Prof. Philipp Amelung, der seit 2011 als ein Nachfolger Alexander Sumskis in der Funktion des Tübinger Universitätsmusikdirektors tätig ist, schreibt im Schwäbischen Tagblatt: „Sumskis Arbeit als Dirigent war energisch und fordernd. Man hört, sie sei manchmal auch überfordernd gewesen, bis nahezu an die Schmerzgrenze. Und doch war seine überragende Musikalität für alle Beteiligten ein Erlebnis.“

Noch in den letzten Tagen seines Lebens interessierte Sumski sich für das Temeswarer Musikleben, das seiner Heimatstadt, die ihn zu ihrem Ehrenbürger ernannt hat. Er wollte mehr wissen über die Aufführung des Oratoriums „Die Könige in Israel“, komponiert vom Temeswarer Domkapellmeister Wilhelm Franz Speer, und über die Feierlichkeiten zum 150. Jubiläum des Temeswarer Philharmonischen Vereins.

Aus Bessarabien und der Bukowina ins Banat

Am 26. November 1933 kam Alexander Sumski in der Temeswarer Elisabethstadt zur Welt. Sein Vater Vadim Sumski kam aus Bessarabien, wo er in Kischinow/Chi{in˛u nach dem ersten Weltkrieg als Militärkapellmeister tätig war. Im damaligen Großrumänien wurde er 1922 nach Temeswar versetzt. Mit seiner Mutter sprach Alexander Sumski deutsch und ungarisch, mit dem Vater rumänisch. Somit kamen in der eigenen Familie nicht nur mehrere Sprachen zusammen, sondern auch verschiedene Kulturen, die damals auch im Kleinen Wien, wie Temeswar noch genannt wurde, zum Alltag und zum Straßenbild gehörten. Seinen ersten Klavierunterricht erhielt er von seiner Mutter, danach von Eugenia Eckert, die am städtischen Konservatorium unterrichtete. Hier waren namhafte Musiker und Pädagogen tätig, die ihre Studien in Budapest oder Wien absolvierten, wie z.B. Béla Tomm, Josef Brandeisz, Guido Pogatschnigg, Bruno Brauch oder Sabin Drăgoi.

Von Temeswar nach Bukarest

Mit dem Ende des zweiten Weltkriegs wurde zeitweise das Konservatorium der Stadt Czernowitz in der Bukowina nach Temeswar verlegt (1944), was den österreichischen Charakter noch mehr spürbar machte.

Dadurch gelangte auch der Pianist Tarnavsky ins Banat, bei dem Alexander Sumski ab 1945 Klavierunterricht nehmen wird. Er wollte unbedingt Pianist werden. Im Jahre 1946 löste die aus Wien stammende Klavierpädagogin Gabriele Dobrozemsky Tarnavsky ab und der Unterricht wurde nun in deutscher Sprache fortgesetzt. Zu den damaligen Musikgrößen der Stadt zählten auch Mircea Hoinic, Liviu Rusu und nicht zuletzt Alma Cornea-Ionescu, die gleichzeitig die Klavierklasse des Konservatoriums leitete. Im Jahre 1947 gründete sein Vater Vadim Sumski im Temeswarer Betrieb Electromecanica ein symphonisches Orchester, zu dessen Solisten u.a. der Cellist Doro Goriantz und der Pianist Leo Freund gehörten.

Wegen der Finanzkrise und des Umbruchs in jener Zeit konnte man die Dirigenten nicht mit Geld bezahlen, sondern mit Fahrkarten für die öffentlichen städtischen Verkehrsmitteln. Im Jahre 1950 wurde das Musikinstitut aufgelöst und Alexander Sumski in das Bukarester Konservatorium versetzt. Mit ihm kamen auch Richard Bartzer, Cornel Trăilescu, der Bratscher Ludwig Lang und Stefan Huss, der Bruder des Dirigenten Jan Hugo Huss nach Bukarest. Hier wurde er Studienkollege von Helmut Plattner, Ionescu Vovu, Martha Joja (geb. Robacsek), Dinu Ciocan und zu seinen Lehrern zählten der aus dem Banat stammende Zeno Vancea mit dessen junger Assistent Viorel Cosma.

Nach seinem Staatsexamen (1953) wirkte er als Pianist beim Rumänischen Rundfunk, was ihn als Konzertpianist durch das ganze Land führte. Besonders lagen ihm damals Chopin und Liszt am Herzen, mit dessen Es-Dur-Klavierkonzert er debütierte. Doch sein Traum war es, auch als Dirigent zu wirken. So ergab es sich, dass er als Korrepetitor des Rundfunkchores mehrmals auch diesen geleitet hat. Die Chorleiter waren damals Gheorghe Danga und Constantin Petrovici.

In bester Gesellschaft

In die damalige Zeit gehörte auch seine Freundschaft mit dem Pianisten und Jazzmusiker Richard Waldemar Oschanitzky, mit dem er gemeinsam die Kompositionskurse von Alfred Mendelsohn des Bukarester Konservatoriums besucht hat. Dieser hat in Wien sein Musikstudium absolviert und war ein guter Kenner der Musik Gustav Mahlers. Selbst während seines 1952 erfolgten Militärdienstes in Buz˛u war Alexander Sumski als Musiker nicht allein: Zu seinen Kameraden zählte auch der spätere Komponist und Bukarester Domkapellmeister Andreas Porfetye.

Im Jahre 1960 folgte dazu noch ein halbes Deputat im Fache Theorie und Solfeggio am Bukarester Konservatorium. Mitten in der damaligen Musikszene der rumänischen Hauptstadt hatte Sumski Gelegenheit, mit namhaften Musikern zu wirken, wie mit den Sängern Emilia Petrescu, Ludwig Spiess, Iulia Bucinceanu und Gheorghe Crasnaru und mit den Dirigenten Mircea Popa, György Lehel, Emanuel Elenescu und Iosif Conta. Zwischen 1960 und 1964 wirkte er neben Carol Litvin als zweiter Chormeister des Bukarester Rundfunkchores. Doch die alte Heimat lockte den damals 30-jährigen Musiker wieder nach Temeswar. Hier wird er zwischen 1964 und 1968 gemeinsam mit Nicolae Boboc das Symphonieorchester der Philharmonie Banatul dirigieren – eine Zeit, die ihm noch viele Jahre in bester Erinnerung bleiben wird. Doch  durch die administrativ-politischen Strukturen des sozialistischen Landes war auch das damalige Musikleben sehr zentralisiert, und eigentlich spielten sich die wichtigsten Szenen auf diesem Gebiet in der Hauptstadt ab. So gelangte er 1968 wieder nach Bukarest und wurde Leiter des Akademischen Symphonieorchesters, mit dem er zahlreiche Tourneen im In- und Ausland unternimmt. Wegen seiner Aufmüpfigkeit gegenüber der damaligen Politik des kommunistischen Diktators Nicolae Ceaușescu und dessen indok-triniertem Hofstaat wurde er für ein Jahr sogar nach Ploești versetzt. Die Schuld war vermutlich ein politischer Witz, der von einem Spitzel an die politischen Kader „raportiert“ wurde.

Gelegentlich einer Konzertreise nach Deutschland, als Gast des Stuttgarter Kammerorchesters, nahm er die Chance wahr und ging nicht mehr zurück nach Rumänien. Damit begann ein neues Kapitel seines musikalischen Wirkens – diesmal nicht mehr in einer Diktatur, sondern in einem freien Land.

Von Bukarest nach Tübingen

Alexander Sumksi gelangte so nach Tübingen, wo er als Nachfolger Wilfried Fischers zum Universitätsmusikdirektor ernannt wurde. Was das für einen so vielseitig aktiven Musiker in Rumänien bedeutete: Auf einen Schlag hin wurden alle Rundfunk- und Fernsehproduktionen mit ihm in Bukarest gestrichen und da er als „Landesverräter“ eingestuft wurde, musste seine bisherige Tätigkeit als Pianist und Dirigent in Vergessenheit geraten. Doch das Blatt wendete sich nach 1989.

Den akademischen Doktorgrad im Fach Musikwissenschaft erlangte er an der Universität Hamburg, die Universität Tübingen verlieh ihm den Titel eines Professors. Über sein Wirken als Tübinger Universitätsmusikdirektor in der Zeit 1972 bis 1999 zu schreiben wäre eine besondere Aufgabe. So leitete er ab 1973 auch das Tübinger Kammerorchester, und zwischen 1978 und 1980 wirkte er als Chordirektor beim Norddeutschen Rundfunk in Hamburg. Tourneereisen führten ihn in viele Länder Europas, nach Nord- und Südamerika sowie nach Afrika, Asien und Australien.

Als Dirigent war Alexander Sumski Gast zahlreicher renommierter Symphonieorchester, unter anderem beim Norddeutschen Rundfunk in Hamburg und Hannover, beim Orquesta Nacional in Caracas, bei den Minsker Philharmonikern, beim Nationalorchester des Rumänischen Rundfunks in Bukarest. Des weiteren leitete er Konzerte bedeutender internationaler Musikfestivals, so beim Amazonas-Festival in Manaus, beim Enescu-Festival in Bukarest, beim Festival für Geistliche Musik in Riga und beim Bodenseefestival. Unter seiner Leitung sind in Deutschland, Frankreich und Rumänien über 50 Titel auf Tonträger erschienen; der SWR (ehemals SWF) und das Rumänische Fernsehen gaben eine Reihe von Videoproduktionen heraus.

Mit Genugtuung erinnerte er sich an die Konzerte, die er gemeinsam mit der damals 11-jährigen Anne-Sophie Mutter gegeben hat, an die Zusammenarbeit mit dem Pianisten Radu Lupu oder mit der Sopranistin Ileana Cotruba{. Einige seiner damaligen Studenten werden ebenfalls als Musikwissenschaftler tätig sein, wie Prof. Dr. Hartmut Schick an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, Dr. Hans Krugschawig beim Carus-Verlag oder Dr. Peter Leitner in München.

Oberschwäbische Klostermusik

Den Schwerpunkt der musikwissenschaftlichen Tätigkeit Alexander Sumskis bildet die Erforschung, Bearbeitung und Wiederaufführung von Werken oberschwäbischer Klosterkompositionen des 18. Jahrhunderts. Unter seiner Leitung sind bei Orchestrola in der Reihe „Musik in Oberschwäbischen Klöstern“ 14 CDs erschienen. Im Mittelpunkt stehen dabei die kirchenmusikalischen Werke von Nikolaus Betscher, Sixt Bachmann, Ernst Weinrauch, Franz Xaver Schnizer, Andreas Heichling, Franz Xaver Schlecht, Conradin Kreutzer, u.a. Aber auch seine Notenpublikationen in diesem Bereich sind erwähnenswert, so die beiden Veröffentlichungen von Werken Nikolaus Betschers (1745-1811) „Wider die Mode“ zum 200. Geburtstag des Komponisten im Jahre 2011 und dessen „Missa pastoritia“ 2013, im Verlag der Diözesanbibliothek Rottenburg.

Ein erfülltes Leben als Musiker

Prof. Dr. Alexander Sumski war stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Komponistenverbandes sowie Mitglied des SWR-Rundfunkrates. Für seine Tätigkeit wurde er 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet, im Jahre 2008 wurde er Ehrenbürger seiner Heimatstadt Temeswar, und 2011 hat ihm Papst Be-nedikt XVI. die Würde eines Komturs des Hl. Silvester verliehen.

Mit dem Tod von Prof. Alexander Sumski verliert nicht nur Tübingen, sondern auch Temeswar einen Musiker und Musikwissenschaftler mit Herz und Seele, dessen Berufung als Musiker unzählige Menschen und Weggefährten begeistert hat. Ihm sind wir zu tiefem Dank verpflichtet.