„Viele sind froh, dass sie mal wieder Sächsisch reden können“

Ein Gespräch mit Hildrun Schneider über ein gemeinsames Projekt von Forum und Evangelischer Kirche

Hildrun Schneider | Foto: Michael Mundt

Seit August ist Hildrun Schneider beim Demokratischen Forum der Deutschen in Siebenbürgen (DFDS) für den Kontakt zu den Mitgliedern zuständig. Im Rahmen eines gemeinsamen Projektes zwischen der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) und dem Demokratischen Forum der Deutschen in Siebenbürgen (DFDS) soll die gebürtige Hermannstädterin insbesondere den Kontakt zu den vereinzelten, oftmals vereinsamten Angehörigen der ehemals sächsischen Gemeinden verstärken und ihnen im Falle von schwierigen Lebensumständen auch Unterstützung oder Betreuung zukommen lassen. Knapp 100 Leute in 28 Gemeinden im Kirchenbezirk Hermannstadt hat Hildrun Schneider in den ersten acht Wochen ihrer Arbeit bereits besucht. Manchmal helfen schon Gespräche gegen die Einsamkeit, doch in vielen Fällen gilt es auch materielle Not zu lindern. Mit Hildrun Schneider  sprach ADZ-Redakteur Michael Mundt.

Frau Schneider, erklären Sie mir und den Lesern doch bitte zunächst einmal ihren Tätigkeitsbereich, schließlich wurde Ihre Stelle neu geschaffen und hat beim DFDS vorher nicht existiert.
Die Idee für ein „flächendeckendes Diakoniekonzept“ wurde bereits vor ein paar Jahren vom Heltauer HOG-Vorsitzenden Heinz Hermann entwickelt, die Umsetzung hat mit dem Einrichten der Stelle eines Referenten für den Kontakt zu den Mitgliedern beim Siebenbürgenforum (DFDS) in diesem Jahr begonnen. Mitglieder meint dabei die Angehörigen der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft, welche in der Regel sowohl Mitglied in der EKR als auch im Forum sind. In diesem gemeinsamen, zunächst auf ein Jahr angelegten Projekt von Kirche und DFDS, soll schrittweise ein Betreuungsnetzwerk aufgebaut werden, das die schon vorhandenen kirchlichen, staatlichen und sonstigen Strukturen ergänzt.
Meine Aufgabe ist es, in einer ersten Phase die sächsischen Familien, Paare oder Einzelpersonen im Kirchenbezirk Hermannstadt zu besuchen, die sich materiell oder gesundheitlich in einer schwierigen Lage befinden oder einsam sind, mit ihnen zu sprechen, ihre Nöte zu erkennen und zu überlegen, wie man ihnen helfen kann.

Wie finden Sie denn diese Menschen?
Ich stehe in Verbindung mit der Saxonia-Stiftung, mit den Pfarrern der Gemeindeverbände, in den Dörfern treffe ich zudem die Vorsitzenden der Ortsforen, Kuratoren oder andere Ansprechpartner, die mir gern weiterhelfen und mich gegebenenfalls auch zu den Leuten begleiten. Sie sagen mir auch, ob die Person, die ich besuchen möchte, möglicherweise nicht daheim ist, Fremden die Tür nicht öffnet oder sich ein aggressiver Hund am Hof befindet.

Und wie läuft solch ein Treffen dann ab?
Ich stelle mich erst einmal vor und erzähle von meiner Arbeit. Dabei spreche ich Sächsisch mit den Menschen, was Vertrauen schafft. Viele sind froh, dass sie mal wieder Sächsisch reden können, weil sie im Alltag meist Rumänisch sprechen und kaum Gelegenheit dazu haben. Oft zeigen sie mir ihr Haus, die Zimmer, die Fotogalerie, die Tiere, den Garten – alles, was ihnen wertvoll und wichtig ist. Sie sind sehr herzlich und gastfreundlich. Es ist noch nie vorgekommen, dass jemand nicht mit mir reden wollte.

Worüber reden Sie dann mit den Menschen?
Beim ersten Kennenlernen verschaffe ich mir ein ungefähres Bild vom Leben der Menschen, damit wir wissen, wie wir unterstützen oder helfen können. Zunächst einmal interessiert mich, wie es den Leuten geht, ob sie gesund sind, wie ihr soziales Umfeld ist, ob sie einen Partner und Kinder haben und wo diese leben, aber auch wie das Verhältnis zu den Nachbarn ist. Dabei bekommt man auch mit, ob sie einsam sind oder Unterstützung erfahren und wie sie ganz generell zurechtkommen. Und dann erzählen sie gern, wie es früher war, als noch viele Sachsen im Ort gelebt haben.

Auch Sie haben Siebenbürgen in jungen Jahren verlassen und sind nun für diese Stelle nach Hermannstadt zurückgekehrt.
Genau, ich bin 1985 mit knapp 17 ausgewandert und war dann 1987 und 1989 noch einmal zu Besuch in Hermannstadt. Danach habe ich eine Familie gegründet, Kinder bekommen und war viele Jahre gar nicht mehr in Siebenbürgen. Erst 2007 habe ich wieder ein paar Tage in Hermannstadt verbracht. Es war viel zu kurz, aber lange genug, um in mir eine große Sehnsucht auszulösen und die Gewissheit, dass ich sehr bald wiederkommen würde – was ich dann auch getan habe.
Da ich damals gerade meine Buchhändlerausbildung beendet hatte, habe ich Kontakt zu Jens Kielhorn vom Erasmus Büchercafé aufgenommen und schließlich im August 2008 einen Monat lang dort gearbeitet. Das war eine sehr glückliche Zeit für mich und ich wäre gern länger geblieben. Doch aus diesem Monat in der Erasmus-Buchhandlung hat sich ab dem Jahr darauf meine Arbeit als Vertreterin des Schiller-Verlages in Deutschland ergeben, wo ich bei verschiedenen Sachsentreffen und kulturellen Veranstaltungen mit Büchertischen unterwegs war. Später habe ich auch eine Zeit lang die Abonnenten der Hermannstädter Zeitung (HZ) betreut. Und in der HZ bin ich dann im Mai auch auf die Annonce des Siebenbürgenforums gestoßen.

Und da haben Sie ihre Chance ergriffen?
Ja! Ich hatte sofort das Gefühl, dass ich genau diese Arbeit machen möchte. Sie vereint so vieles, was mir am Herzen liegt, nicht zuletzt steht auch hier der Umgang mit Menschen im Mittelpunkt, wie auf meinem ganzen beruflichen Weg bisher. Und dann ging tatsächlich alles sehr schnell. Ich habe mich beworben und hatte wenige Tage später das Bewerbungsgespräch. Danach brauchte ich noch etwas Zeit, bis ich mich endgültig entschieden hatte. Denn meine Freunde und Familie leben in Deutschland, hier hatte ich 36 Jahre lang meinen Lebensmittelpunkt. Meine Kinder haben mich allerdings sehr unterstützt, diese Stelle anzunehmen und so habe ich Mitte Juni schließlich zugesagt. Da hatte ich dann noch sechs Wochen Zeit, mein Leben komplett umzukrempeln.

Wie fällt denn Ihr erstes Fazit nach drei Monaten aus?
Ich liebe es, so viele Menschen hier kennenzulernen und einen direkten Einblick in ihr Leben, ihre Erfahrungen und ihre Gedanken zu bekommen, aber auch die Dörfer wiederzuentdecken und in die herrliche Landschaft einzutauchen. Es ist eine sehr interessante, vielseitige und auch verantwortungsvolle Tätigkeit und ich empfinde es als sehr bereichernd, zusammen mit den Kollegen von Forum und Kirche den Mitgliedern unserer Gemeinschaft zu helfen und sie zu unterstützen.
Das Fazit ist, dass die Besuche sehr gut ankommen, dass es viel Armut und Elend gibt und wir etwas tun müssen. Die Gespräche sind gut, aber sie reichen nicht aus.

Können Sie uns noch einen tieferen Einblick in ihre Besuche und Gespräche geben?
Es gibt einige Menschen, die wirklich sehr verarmt sind. Da wohnt zum Beispiel eine Frau auf einem Dorf, zu deren Haus man erst mal 200 Meter von der Straße hinauf durch hohes Gras gehen muss, um dann bei einem verfallenen Rohbau anzukommen, der zum Garten hin offen ist. Drinnen steht ein windschiefes, verwahrlostes Bett, um das viele kleine Katzen und Hunde herumwuseln und draußen liegen unzählige Waschschüsseln und Plastikgefäße. Im Winter schläft sie wohl in der Stube, aber Strom und Holz fehlen. Auf meine Frage hin, wovon sie lebt, hat sie nur mit den Achseln gezuckt.
Dann gibt es einen Mann, dessen Haus schon halb eingestürzt ist. Er lebt im vorderen Teil, aber auch da ist es nur noch eine Frage der Zeit … Strom und Holz fehlen auch hier, und auch Geld für Lebensmittel. 
Ein weiterer Mann wohnt im Block ganz oben. In der Decke klafft ein dickes Loch, wo es he-reinregnet. Die Wände sind feucht und schimmelig, das Geld reicht nicht für die nötigsten Reparaturen und Wärme und Lebensmittel sind knapp. Ich könnte noch weiter erzählen von der Frau, die eine Beinprothese braucht und wieder einer anderen, die neue Reifen für ihren Rollstuhl benötigt …  

Wie lässt sich denn in solchen Fällen helfen?
Kurzfristig mit Holz, Decken, warmer Kleidung und Lebensmitteln. Die größeren Dinge gilt es zu organisieren beziehungsweise anzuschaffen. Manchmal helfen auch die Leute im Dorf. Sie bringen Essen vorbei, machen Einkäufe oder holen Medikamente von der Apotheke. Es ist schön, zu sehen, wie sich die Menschen füreinander verantwortlich fühlen und zwar unabhängig davon, ob sie Sachsen oder Rumänen sind.
Es gibt natürlich auch viele schöne Momente. Einmal konnte ich eine Hausnummer nicht finden. Aus einem Fenster beobachtete mich jemand, wie sich herausstellte der Kurator, der eigentlich keine Zeit hatte, mich aber dann doch zu zwei Adressen begleitete. Als wir gerade auf dem Weg zu einer dritten Adresse waren, kam uns die Frau entgegen, die wir gesucht hatten. Sie nahm mich dann mit zu sich nach Hause, zeigte mir ihr ganzes Haus, bis in den letzten Winkel – Hof, Hund, Garten, alles was sie besaß. Es war ihr ein großes Anliegen, mir reichlich Obst und Gemüse einzupacken. Zum Schluss hat sie mich angeschaut, den Kopf schräg gestellt und mich gefragt: Gehen wir jetzt noch auf den Friedhof? Ich habe mir dann die Zeit genommen, denn es war ihr wichtig, mir zu zeigen, wo ihr Mann begraben liegt. Sie ist eine sehr einsame Frau und klingelt auch mal bei den Nachbarn, egal bei wem, um zu schauen, was die so machen. Bei dieser Person ist es einfach nur wichtig, sie zu besuchen, damit sie jemanden zum Reden hat.

Und was haben Sie als langfristige Hilfe geplant?
Nachdem ich in der ersten Phase meiner Arbeit mit dem Erfassen der Lage der von den sächsischen Dorfgemeinschaften noch übrigen Mitglieder beschäftigt war, folgt in der zweiten Phase des Projekts das Suchen nach Möglichkeiten, ihr Leben dauerhaft zu verbessern. Wie das aussehen kann, muss in jedem Fall individuell entschieden werden. Ich bin mir aber sicher, dass wir in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche, der Saxonia-Stiftung und anderen sozialen und diakonischen Einrichtungen gute Lösungen finden werden.


Wenn Sie die materiellen Hilfsleistungen des DFDS und der EKR für die Angehörigen der sächsischen Gemeinschaft unterstützen möchten, dann können Sie dies mit einer Spende in Euro oder Lei tun. Bitte geben Sie dabei unbedingt den Betreff „Diakonieprojekt Forum-Kirche“ an.

Spendenkonto für Überweisungen in Lei
Consistoriul Superior al Bisericii Evanghelice C.A. din România
Banca Comercială Română – Sucursala Sibiu
Cont: RO09 RNCB 0227 0360 6026 0001
Cod SWIF/BIC: RNCBROBU Lei

Spendenkonto für Überweisungen in Euro
Consistoriul Superior al Bisericii Evanghelice C.A. din România
Banca Comercială Română – Sucursala Sibiu
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