„Vielleicht können uns Gegenstände etwas über die jüngste Vergangenheit offenbaren“

Gespräch mit dem Fotokünstler Anton Roland Laub

Foto: Lotte Laub

Das früher allgegenwärtige Portrait des Diktators, ohne Gesicht

Aus dem Band „Mobile Churches/Mobile Kirchen“
Fotos: Anton Roland Laub

Anton Roland Laub, deutscher Fotokünstler rumänischer Herkunft , verdankt den deutsch klingenden Nachnamen seinem französischen Großvater aus Saarlouis nahe Saarbrücken. Geboren wurde er in Bukarest, nach Abschluss der deutschen Schule studierte er Kommunikationswissenschaft an der Universität Bukarest. Anschließend setzte er sein Studium an der Kunsthochschule Weißensee und der Neuen Schule für Fotografie in Berlin fort. Laub hat sich an zahlreichen Ausstellungen in Paris, Athen, Bukarest, Berlin und Kaunas (Litauen) beteiligt und ist in der Sammlung Buch- und Medienkunst der Staatlichen Museen zu Berlin, der Gedenkstätte Berliner Mauer und des Stadtmuseums Bukarest vertreten. Sein neuster Bildband „LAST CHRISTMAS (of Ceaușescu)“, der in der ADZ-Ausgabe vom 29. Januar 2022 vorgestellt wurde, ist nach „Mobile Churches/ Mobile Kirchen“ (2017) der zweite Teil seiner Rumänien-Trilogie, und erschien 2020 beim Kehrer Verlag, Heidelberg. Das Buch wurde im November 2021 für die Longlist des Deutschen Fotobuchpreises nominiert. Beide Bände können online bestellt oder in der Nationalbibliothek, der Bibliothek des Bukarester Goethe-Instituts oder jener der Universität Jassy/Iași durchblättert werden. Die Fotoausstellung, auf der der Bildband „LAST CHRISTMAS (of Ceaușescu)“ basiert, hat das Goethe-Institut vom 2.  Dezember bis zum 8. Januar gezeigt. Anton Roland Laub hat sich bei der Ausstellungseröffnung mit Cristiana Scărlătesu unterhalten, um der ADZ-Leserschaft einen Einblick in sein Schaffen zu geben.

Sie haben die deutsche Schule, heute das Deutsche Goethe-Kolleg, in Bukarest besucht und Kommunikationswissenschaft an der Universität Bukarest studiert. Was hat Sie veranlasst, dann nach Deutschland zu gehen?

Wäre ich nicht nach Deutschland ausgewandert, so hätte ich wahrscheinlich meinen Karrierepfad nicht geändert, um Fotografie zu studieren. Es war jedoch nicht groß geplant. 2000 fanden ja die Präsidentschaftswahlen statt. Dabei hatte die Opposition komplett verloren und es gab keine eigentliche Option für mich. Dies empfand ich als eine totale Enttäuschung und antwortete sofort auf die Einladung eines guten Freunds von mir, nach Deutschland umzusiedeln. Damals war ich 26 Jahre alt und es hat sich so entwickelt, dass ich halt dort geblieben bin.

Haben Sie sich für das Thema der Aufarbeitung und Versöhnung mit der Vergangenheit schon während Ihrer Studienjahre in Bukarest interessiert? Haben Sie schon mal versucht mit den Mitteln der Kommunikationsabteilung etwas in diesem Sinne zu unternehmen?

In Rumänien nicht, weil ich während der ´90er Jahre studiert habe, damals waren alle Ereignisse der kommunistischen Zeit und der Revolution 1989 noch zu frisch, sozusagen. Die öffentliche  Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte habe ich vor allem in Deutschland beobachtet. Und dies wird mittels Kunst auch in Rumänien versucht, wie zum Beispiel durch die Filme von Radu Jude und Cristian Mungiu. Als ich mir Mungius Film „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ (2007) in Bukarest ansah, war der Kinosaal fast leer. 

Bedeutet dies, dass es hierzulande kein Interesse für eine solche Problematik gibt?

Ich bin mir dessen bewusst, dass es in meinem Heimatland ein geringes Interesse für das Zurechtkommen mit der jüngsten Geschichte gibt, vor allem wenn wir darauf schauen, dass diese in den Schulen fast gar nicht unterrichtet wird. Vor ein paar Jahren, als ich die rumänischen Geschichtsbücher fürs Lyzeum durchblättert habe, bemerkte ich, dass dem Kapitel ´89er Revolution nur zwei Absätze gewidmet waren. Und dies ist extrem wenig für ein so schwerwiegendes Thema.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Der Grund dafür ist die Tatsache, dass die unzähligen Verbrechen des kommunistischen Regimes und die Ereignisse um die Revolution öffentlich nicht aufgearbeitet wurden. Mehr als drei Jahrzehnte danach fehlt noch immer das Urteil in diesem Gerichtsverfahren. Deshalb wird dieses Thema in den Geschichtslehrbüchern fast gar nicht oder nicht anständig behandelt. Ich hoffe, dass der Beschluss des EU-Parlaments vom 17. Dezember 2019, anlässlich der 30. Gedenkfeier der Revolution, die rumänischen Behörden zur Analyse der Revolutionsverbrechen antreiben wird. Der Prozess wird nun wieder aufgenommen. Dabei fasziniert mich die Absurdität der Vertagung des Verfahrens, die schon über Generationen greift und wohl zur Verjährung der Taten führen wird. Es gibt zahlreiche Familien, deren Mitglieder Todesopfer der Revolution waren. Die Täter wurden bis dato nicht ermittelt oder vor Gericht gebracht, um den Opfern gerecht zu werden. 

Mich interessiert die aktuelle Perspektive auf die damaligen Ereignisse und die sogenannten Tatorte oder Trauma-Orte, die ich fotografiere und ausschnittsweise, entkontextualisiert zeige. Diese Fotos stellen Teile eines Puzzles dar, genauso wie der Prozess der Revolution figürlich einem undurchschaubaren Puzzle gleicht.

Gab es Hindernisse seitens der rumänischen Behörden, als Sie für Ihren Bildband recherchiert haben?

Nein, weil ich der Öffentlichkeit zugängliche Stätten besucht und sie als stumme Zeugen der Geschichte fotografiert habe. Darun-ter die Privatwohnung des Diktatorenpaares Elena und Nicolae Ceau{escu in der Bukarester Prim²verii-Straße, ihr Hinrichtungsort an der Militärbasis in Târgovi{te und der Ceaușescu-Palast „Casa Poporului“. Im Fokus meines Kameraobjektivs rücken vor allem die Gegenstände. Heute leben wir mit vielen unbeantworteten Fragen und ich dachte, dass vielleicht diese Dinge als Artefakte der vergangenen kommunistischen Zeit fungieren. 
Wenn wir seit 33 Jahren gegen eine Wand sprechen, können uns vielleicht Gegenstände etwas über die jüngste Vergangenheit offenbaren. Diese ist meine Herangehensweise. Ich richte den Blick auf diese Dinge, auf die Verhältnisse zwischen ihnen. In meinem Werk schenke ich diesen stummen Zeugen unaussprechlicher Ereignisse eine Stimme und befrage die Orte. Sie übernehmen daher die Agens-Rolle.

Was offenbaren uns die Dinge und Orte?

Ein Beispiel, das Ihre Leserschaft zum Nachdenken anregen soll: Heute war ich wieder in der Privatwohnung der Ceaușescus mit meinem Fotoapparat. Dort kann man sich hinsetzen, ein Stalin-Käffchen bestellen und es eventuell genießen! So leicht wird der emotional geladene Ort verharmlost…

Die Menschen weisen auf der anderen Seite auch starke emotionale Bezüge zu einigen Dingen auf, wie zum Beispiel eine ältere Frau, die heute am Ceaușescu-Porträt mit ausgelöschtem Gesicht vom Eingang des Ausstellungssaales vorbeiging. Dieses Porträt war vor der Wende 1989 allgegenwärtig, auf der dritten Umschlagseite aller Bücher, in Unterrichtssälen und Staatsinstitutionen – überall. Die Dame erkannte das Porträt des Diktators sofort und flüsterte zu sich: „Das muss ich auch noch ertragen?!“

In wieweit wurden diese Trauma-Orte, die Sie fotografiert haben, mythisiert oder sogar mystifiziert?

Während des Kommunismus gab es diese Gerüchte um das Badezimmer aus Gold in der Privatwohnung der Ceau{escus. Als ich das Zimmer betrat, erinnerte ich mich sofort an das ikonische Bild der Kriegsfotografin Lee Miller, die sich in der Badewanne in Hitlers Münchener Privatwohnung fotografieren ließ. Es ist nämlich eine sehr interessante Sache, wenn man in den intimsten Ort eines Diktators eindringen darf. Auf einmal wird man mit einer Goldfälschung konfrontiert, wo man eine gewisse Banalität entdeckt! 

Welche Bedeutung hat das Bild mit der dunklen Silhouette des Vampirs Nosferatu aus dem gleichnamigen Film (1922) von Friedrich Wilhelm Murnau in der Ausstellung ?

Wenn man bedenkt, dass die Ceau{escus in dem Ort verhaftet wurden, wo früher die Hauptstadt der Walachei, der Fürstenhof und die Residenz des Fürsten Vlad der Pfähler (an den die Figur des Dracula angelehnt ist) war, ist es nachvollziehbar, warum Târgovi{te als ein makabrer Ort der Hinrichtung wirkt. Daher auch die Verbindung zu Nosferatu als Symbol des Vampirismus. Diese unnatürlichen Tode, die Menschen, die bei der Revolution starben und denen die rumänische Justiz nicht gerecht wurde, tragen alle zu einem ungesunden, vampirischen Verhältnis bei. Die rumänische Gesellschaft steht seit drei Jahrzehnten in einem vampirischen Verhältnis zu ihrer jüngsten Geschichte. Die gespenstische Vergangenheit der Rumänen verzehrt sie langsam-langsam. Die Lage der Gesellschaft ist dramatisch, und obwohl die Unzufriedenheit wegen dieses Unrechts ab und zu ausbricht, ist es die Pflicht der Behörden, mit der Geschichte rechtlich zurechtzukommen. Andernfalls wird das bestehende Problem von einer Generation zur anderen vererbt und das Prozess wird verjährt, um in Vergessenheit zu geraten.

Sie arbeiten nun am dritten Teil Ihrer Rumänien-Trilogie. Wann dürfen wir damit rechnen? Können Sie uns bitte ein paar Details darüber verraten?

Am ersten Teil, der Ausstellung „Mobile Churches“, über die Verschiebung rumänisch-orthodoxer Kirchen hinter Wohnblocks, habe ich zwischen 2013 und 2017 gearbeitet. „Last Christmas…“ habe ich zwischen 2015 und 2020 entwickelt. Am dritten Teil arbeite ich seit 2014, und ich brauche noch eine Weile. Es ist eine schwere Geburt, sagen wir so (lächelt), aber es soll 2022 veröffentlicht werden. Genauso wie die ersten zwei Projekte, handelt auch dieses rückblickend von Bukarest und einem absurden Moment in der Geschichte der rumänischen Hauptstadt.

Wir bedanken uns für das interessante Gespräch und wünschen Ihnen auch weiterhin viel Erfolg!