Viertes Semester, vierte Welle

Wie hat die UBB den Start ins vierte Pandemie-Semester gemeistert? Die Meinungen gehen auseinander

Vor der technischen Universität stehen wieder Studierende.
Fotos: die Verfasserin

Verlassen dagegen die Räumlichkeiten der Germanistik

Auch in der Mensa gelten Abstandsregeln – außerdem kommen derzeit nur geimpfte und von Covid-19 wieder genesene Studierende in den Wohnheimen unter.
Foto: Pauline Haak

In Klausenburg sind die Studierenden zurück: Plaudernd stehen sie in Gruppen vor den vielen Uni-Gebäuden der Stadt oder bilden Schlangen vor Coffee Shops, das ganze Stadtbild ist merklich verjüngt. Also ein Wintersemester wie „früher“, vor Pandemie und Online-Unterricht? Nur bedingt: Der Präsenzunterricht, den die Babe{-Bolyai-Universität (UBB) im Sommer angekündigt hatte, findet angesichts der hohen Inzidenzen für manche Studierende teilweise, für viele gar nicht statt.

Seit Monaten wurde erwartet, dass die hochansteckende Delta-Variante in Kombination mit der kläglichen Impfrate im Herbst zu einer heftigen vierten Corona-Welle führen würde. Dennoch war im Sommer die Rede davon, dass der Unterricht im Wintersemester hybrid stattfinden werde – also als Kombination aus Online- und Präsenzunterricht. Hat die UBB gehofft, die vierte Welle werde, entgegen anderslautenden Prognosen, doch milde ausfallen? 

Christian Săcarea, Prorektor der UBB und Leiter der deutschen Studienlinie, verneint dies: Laut Umfragen der Uni wollten die Studierenden den Präsenzunterricht zurückhaben. „Wir haben auch betont, es ist wichtig, dass man erstmal alle Sicherheitsvorkehrungen trifft – wir haben die jungen Leute ermutigt, sich impfen zu lassen, wir haben praktisch das umgesetzt, was das Ministerium angeordnet hat.“
Es sei vom Bildungsministerium kommuniziert worden, dass man Präsenzunterricht wünsche. Auch er selbst hält dies für wichtig: „Obwohl wir uns Mühe gegeben haben, online dasselbe Qualitätsniveau zu erhalten, langfristig muss die Ausbildung insbesondere in den praktischeren Fächern onsite stattfinden.“ Die Arbeit an Geräten oder Experimente könne man nicht simulieren – aber: „Es gibt manche Studienrichtungen, wo online oder onsite mehr oder weniger dasselbe bedeutet.“

Die Germanistik bleibt online

Sofern damit etwa die Germanistik gemeint ist, sehen die Studentinnen Sofia Dumbrava und Mara Tudusciuc das anders: „Ich finde es ein bisschen unfair, dass, nur weil wir Sprachen oder ähnliches studieren, unser Unterricht als nicht so wichtig angesehen wird. Denn es ist für uns genauso wichtig, zum Beispiel Diskussionen zu führen – ich wünschte, ich hätte das offline“, sagt Sofia Dumbrava. Mara Tudusciuc, ebenfalls Studentin im zweiten Jahr, stimmt ihr zu, und ergänzt: „Ich habe das Gefühl, dass sie mehr auf die Studierenden fokussieren, die etwas Praktisches wie Ingenieur, Chemie oder Medizin studieren, aber uns überlassen sie den Online-Kursen“. 

Sie beide haben den Eindruck, dass sie dabei weniger lernen als in Präsenz. Mara Tudusciuc plagen deswegen Selbstzweifel: Sie fühle sich „wie eine Betrügerin“ und habe Angst, dass später offenkundig werde, wie viel sie aus dem ersten Jahr wieder vergessen und wie wenig sie online gelernt habe. Sofia Dumbrava meint, dass der Online-Unterricht am Anfang lustig gewesen sei, inzwischen hätten sie aber alle die Nase gestrichen voll. Ihre Kommilitonin dagegen hat persönlich nichts dagegen: „Irgendwie wünschte ich mir, es würde online bleiben, weil ich mich nicht darum kümmern muss, wie andere mich wahrnehmen, was ich anziehen soll… ich habe Angst rauszugehen und der Welt zu begegnen, mit Leuten in echt inter-agieren zu müssen… Aber ich sehe, dass es andere traurig macht, und deshalb wünschte ich, dass es nicht mehr online wäre – es ist einfacher für mich, meine Komfortzone zu verlassen, als zu sehen, wie die Träume anderer zerplatzen.“
Umsonst umgezogen?

Ob die beiden Studentinnen allgemein mit dem Pandemie-Management der Uni zufrieden sind? „Absolut nicht!“, lautet die klare Antwort. Letztes und auch dieses Jahr hätte es viel zu lange gedauert, bis sie Informationen bekommen hätten. Mitte Sommer habe es noch geheißen, dass alle geimpften Studierenden physisch am Unterricht teilnehmen könnten – erst wenige Tage vor Semesterbeginn wurden sie informiert, dass dies doch nicht der Fall sei. 

Da seien viele schon wieder nach Klausenburg gezogen, niemand kenne sich aus, wie es mit Unterkunft und Job weitergehen solle. „Sie haben gesagt, dass wir einen praktischen Kurs in Präsenzunterricht hätten, also sind die Leute wieder in die Wohnheime gezogen, nur um ein paar Tage später zu erfahren, dass es doch keinen Präsenzunterricht und damit keinen Grund gäbe, nach Cluj zu kommen“, kritisiert Mira Duca. Sie stammt aus Großwardein/Oradea, hat sich ein Zimmer organisiert und weiß jetzt nicht, ob sie weiter Miete zahlen oder wieder zu ihren Eltern ziehen soll.

Alina Andreica unterrichtet im Institut für Informatik, sie gibt zu bedenken, dass Entwicklungen derzeit schwer vorherzusagen sind – „Alle wollten, dass Unterricht wieder in Präsenz stattfindet diesen Herbst, aber nachdem die Schulen geöffnet hatten, war es klar, dass die Infektionsrate hinaufgegangen ist“. Sofia Dumbrava hat weniger Verständnis: „Ich kann mich erinnern, dass in den Medien Anfang Sommer gesagt wurde, dass die vierte Welle im September kommen würde, und ich denke, dass sie deshalb genug Zeit hatten, sich besser vorzubereiten.“

Das hält wiederum Christian Săcarea für „ein bisschen unfair“: Schließlich seien alle Beschlüsse öffentlich gewesen. Man habe die Pläne geändert, als die Zahlen explodiert seien, und bis Mitte September sei die Inzidenz sehr niedrig gewesen. 

Die Kritik der Studentinnen kann er nicht nachvollziehen: „Wir wollten die Studenten nach Cluj bringen, die müssen das universitäre Leben erleben.“ Niemand werde gezwungen, wieder zu den Eltern zu fahren – man könne weiterhin Bibliotheken besuchen und sich mit Lehrkräften treffen, sagt er. Das mag stimmen, aber oft stellt das Studium für die Studierenden und ihre Familien eine große finanzielle Belastung dar. Viele arbeiten nebenher, um sich das teure Leben in Klausenburg leisten zu können. Sie hätten es wohl geschätzt, wenn man ihnen selbst die Entscheidung überlassen hätte, ob es sich lohnt, in die Stadt zurückzukehren. 

Christian S˛carea verweist zu Recht auf die niedrige Inzidenz letzten Monat – am 15. betrug diese im Kreis Klausenburg 1,66 Neuinfektionen je 1000 Einwohner binnen 14 Tagen. Allerdings lag sie eine Woche vorher bei 1,09, und wiederum eine Woche vorher bei 0,72 – die Tendenz war eindeutig. Auch verweist Christian S˛carea selbst auf eine von einem Forschungsteam der UBB vorgenommene Modellrechnung, die drei Wochen vor Semesterbeginn eine Inzidenz von 6,1 bis dahin vorhersagte, was am 4. Oktober auch eintrat.

Sicherer Unterricht?

Dass Lerngruppen in der Biblio-thek oder Treffen mit Lehrenden dem Studium überaus zuträglich sind, steht außer Frage – aber ist dies auch ratsam, während aufgrund einer ansteckenden Viruserkrankung die Spitalskapazitäten immer knapper werden? Ist Präsenzunterricht unter diesen Umständen überhaupt zu verantworten? 

Laut Christian Săcarea sind die Sicherheitsvorkehrungen wie Masken, Lüften und Abstandhalten ausreichend, außerdem, unabhängig von der Inzidenz in der Stadt: „Wenn ich in einer Gruppe gar keine Fälle habe, und alle bleiben sauber – weshalb soll ich dann online sein?“ Allerdings verlaufen gerade bei jungen Menschen viele Infektionen asymptomatisch – wie kann man also wissen, ob nicht doch jemand infiziert ist? „Das weiß man ja wegen der Gesundheitsbehörde, die melden sich in dem Augenblick, wo man sich ansteckt und einen positiven Test hat, man wird benachrichtigt“, so der Prorektor. Dazu müsste die betreffende Person sich aber erst einmal testen lassen – und das ist auch über eineinhalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie in Rumänien noch aufwendig und teuer. Eine 3G-Regelung – Zutritt nur für Genesene, Getestete und Geimpfte – habe die Uni einführen wollen, dies sei aber juristisch nicht umsetzbar, weil es im Ministerorden nicht enthalten ist. Aber: Man könne sich auch auf der Straße anstecken, und Christian Săcarea hält das Risiko in der Mall für größer als in einem Klassenzimmer. Zwar genügt für eine Ansteckung mit der Delta-Variante tatsächlich ein flüchtiger Kontakt, etwa in einer Mall – während des Unterrichts in einem geschlossenen Raum sind Studierende wie Lehrende aber dem Aerosol einer infizierten Person deutlich länger ausgesetzt. 

Allgemein gilt daher die Regelung: Pro Person muss ein Quadratmeter zur Verfügung stehen. Große Vorlesungen müssen also weiterhin online stattfinden, Seminare und Kurse mit wenig Teilnehmenden können in größeren Räumen stattfinden. Dies erfordert eine enorme Logistik, so Christian Săcarea: „Wir fangen halb acht an, das geht dann bis zwanzig Uhr, jeweils Blöcke von 90 Minuten, 30 Minuten lüften und desinfizieren“. Als man im September gesehen habe, dass die Inzidenz steigt, wurde beschlossen, dass dezen-tral entschieden werden sollte, wie der Unterricht abgehalten wird.

Eine Entscheidung der Lehrstühle

Damit fiel die Verantwortung Personen wie Daniela Vladu zu, Lehrstuhlinhaberin der Germanistik Klausenburg. Sie versteht zwar, dass manche Entscheidungen nicht einheitlich getroffen werden können, aber: „Wir alle sind ein bisschen unzufrieden, im Sinne, dass die ganze Organisation den Lehrstühlen zugeschoben wurde.“ 

Alle hätten sich gefreut, als zu Sommerbeginn Präsenzunterricht für das nächste Semester versprochen wurde – bis Mitte September hätte es auch keine anderslautenden Informationen gegeben, man sei also von hybrider Unterrichtsgestaltung ausgegangen „Wir haben uns sehr gequält mit dem Stundenplan, es war einheitlich gedacht auf Fakultätsebene, dass bis 13 Uhr die Seminare und praktischen Übungen Priorität haben, dann hätten die Studierenden eine Stunde, eineinhalb Pause, um in ihre Heime oder nach Hause zurückzukehren, und ab zwei sollten dann die großen Vorlesungen online stattfinden.“ 

Dieser Plan konnte aber nicht umgesetzt werden, denn: „Dann kam bei einer Ratssitzung vom Rektorat die Meldung, ihr müsst euch selbst organisieren und einen Entschluss fassen – und dann gab es ein Chaos“. Nachdem man bei einer Sitzung der Fakultät für Geisteswissenschaft am 21. September festgestellt habe, dass es für Präsenzunterricht unter den vorgegebenen Sicherheitsmaßnahmen keine ausreichenden räumlichen Kapazitäten gebe, musste man die Studierenden informieren, dass der Unterricht weiterhin nur online stattfinden könne.

Daniela Vladu weiß, dass diese Information für viele sehr spät kam – sie hat ähnliches Vorgehen aber auch bei anderen Universitäten des Landes beobachtet, die ihre Studierenden teils bis zum Semesterbeginn nicht informiert hätten, dass Präsenzunterricht wenig bis gar nicht möglich sei. Möglicherweise hängt dies mit den außerordentlich niedrigen Immatrikulationszahlen des letzten Jahres zusammen? Manche entscheiden sich wohl nach Schulabschluss zunächst gegen ein Studium, wenn dieses daraus besteht, im Kinderzimmer der Elternwohnung zu sitzen und auf einen Bildschirm zu starren.

Alina Andreica meint abschließend: „Ich denke, dass bessere Kommunikation immer hilfreich ist“, Sofia Dumbrava und Mara Tudusciuc stimmen ihr zu. Christian Săcarea sieht hier kein Manko: „Das ist sehr einfach so zu sagen, man hat mir nicht kommuniziert – wir müssen verstehen, dass wir besondere Zeiten erleben.“