Vom Fleiß der Abgeordneten

Oder die kollegiale Hilfe im rumänischen Parlament

„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Fleißigste im ganzen Land?“ Natürlich sind es weder Lehrer, noch Ärzte, noch Polizisten oder Feuerwehrleute. Es sind die Parlamentsabgeordneten, die vom Fleiß förmlich befallen sind. Im Unterschied zu den anderen Staatsangestellten, welche, wenn sie überhaupt arbeiten, kaum ihre eigene Norm erledigen, schuften die Volksvertreter auch für den Kollegen.

Die Journalisten einer landesweit verbreiteten Zeitung erwischten am 8. November gleichzeitig drei Abgeordnete beim Hantieren mit mehreren Stimmkarten im Parlament. Einer davon fühlte sich unwohl, als er erfuhr, dass man ihn bei dieser ganz normalen Tätigkeit filmte, und wechselte den „Arbeitsplatz“. Dort setzte er die mehrstimmige Abstimmung fort. Dieses Mal bedienten sich die Sozialdemokraten der Nachbarskarten. Den bis dato ungebrochenen Rekord im Abstimmen auch für den Kollegen hält mit 26(!) Doppelstimmabgaben während einer Sitzung ein Vertreter der PDL.

Auf die Frage der neugierigen Journalisten, warum sie denn auch für den Nachbarn abstimmten, behaupteten die Abgeordneten, sie hätten es nur getan, weil „der Kollege gerade eine Pause machte“. Einer der Stimmsünder wollte sich nicht daran erinnern, gleich für drei Kollegen gestimmt zu haben. Eine Abgeordnete versprach, dergleichen „nicht wieder zu tun“.

Wahrscheinlich nur dann, wenn sie dabei gefilmt wird. Die Pausen im Parlament scheinen lange zu dauern, denn keiner der abwesenden Parteikollegen schaffte es, bis zum Ende der Sitzung im Saal zu erscheinen.
Sieht man in den Nachrichtensendungen den Saal der Abgeordnetenkammer, könnte man glauben, dass der Vorschlag von Präsident Băsescu zur Reduzierung der Parlamentarieranzahl bereits Wirklichkeit geworden ist.

Der Saal ist fast immer halb leer. Wo sind denn diese Männer und Frauen, die „im Dienste des Volkes“ stehen, dieses vertreten und durch welche eben dieses Volk seine Souveränität ausübt? Mancher könnte glauben, sie seien mit den Anliegen der Wähler in ihren Wahlbezirken beschäftigt. Jedoch erscheinen sie viel öfter in den politischen Talkshows in den Bukarestern Fernsehstudios als in der Provinz. Bei solchen Shows ist man weitaus sichtbarer, als im großen Sitzungssaal.

Für einen Abgeordneten oder einen Senator ist es ein unprofitabler Einfall, während der Parlamentssession nach Hause zu fahren. Laut Gesetz verliert ein Abgeordneter einen Teil seiner „Entschädigung“ (des Lohns) und das Tagegeld, wenn er mehr als fünf Plenarsitzungen nacheinander fernbleibt. Das Tagegeld ist aber ein guter Zuschlag zum ach so mageren Gehalt: Zwischen 1800 und 2000 Euro verdient ein rumänischer Volksvertreter im Monat. Darum ist er auch auf verschiedene Beihilfen angewiesen: Tagegeld, Mietzuschlag etc.

Zum Glück gibt es aber wirklich fleißige Kollegen, die allen Parlamentssitzungen beiwohnen. Sie kann man um Hilfe bitten. Wer kann schon nachweisen, dass einer die Sitzung geschwänzt hat, wenn er mit seiner Stimmkarte für einen Gesetzesentwurf gestimmt hat? Wären da nicht diese penetranten Journalisten, die sich in das Innenleben des Parlaments ständig einmischen!

Vielleicht war die Idee des Präsidenten mit der Kürzung der Abgeordneten- und Senatorenzahl gar nicht so schlecht. Aber nicht auf 300, sondern auf drei, die ständig im Parlament sitzen. Die Restlichen sollten ihren Wahlbezirk nicht verlassen, denn ihre Stimme können sie auch per Internet abgeben. So spart der Staat eine ganze Menge Geld und befreit gleichzeitig die Straßen des Landes und Bukarests von rasenden Abgeordnetenfahrzeugen.