Vom hehren Traum zur bitteren Realität

Die Ausbeutung rumänischer Arbeiter auf dem deutschen Arbeitsmarkt

Rumänische Saisonarbeiter beim Spargelstechen | Foto: FES

Gerade in der Baubranche ist Arbeitsausbeutung häufig.

Getrübte Vorfreude auf die Erdbeer- und Spargelsaison: Saisonarbeiter sind besonders anfällig für Ausbeutung.

Jedes Jahr gehen Tausende Rumänen nach Deutschland – mit der Hoffnung, unter guten Bedingungen zu arbeiten und einen anständigen Lohn zu erhalten, mit dem sie sich und ihre Familie versorgen können. Diese Traumvorstellung entpuppt sich jedoch für die meisten als trügerisch, denn einmal auf dem deutschen Arbeitsmarkt angekommen, sind sie mit Missachtung ihrer Rechte und Ausbeutung konfrontiert.
Auf der Konferenz „Die Ausbeutung rumänischer Arbeiter auf dem deutschen Arbeitsmarkt – wie kann man sie schützen“, organisiert von der Friedrich Ebert Stiftung (FES) am 19. Mai, trafen sich Vertreter unterschiedlicher Gewerkschaften sowie der Hilfsorganisation „Faire Mobilität“, um die derzeitige Lage der rumänischen Arbeiter zu besprechen und zu überlegen, wie diese besser unterstützt und geschützt werden können.

Während der Pandemie erhielt diese Frage kurzfristig mehr Aufmerksamkeit, jedoch gab es seitdem keine Verbesserungen. Der Staatssekretär und Vorsitzende der Behörde für rumänische Diaspora, Gheorghe Florin Cârciu, weist daher darauf hin, wie dringlich es ist, dass der rumänische Staat sich mit dem Thema befasse und Initiative ergreife, denn das Innenministerium für öffentliche Ordnung (MAI) zählte zuletzt 5,7 Millionen Rumänen außerhalb der Landesgrenzen. Diese Zahl sei laut Cârciu jedoch unrealistisch, es seien mit Sicherheit um die acht Millionen. 

Vor allem Arbeiter in den Wirtschaftssektoren der Landwirtschaft, Bauindustrie und Fleischindustrie sind der Ausbeutung ausgesetzt. Die schlechte Lage der ausländischen Arbeiter auf dem deutschen Arbeitsmarkt in diesen Branchen ist seit Jahren bekannt, trotzdem wurde die Situation nicht ausreichend verbessert. 

Spielbälle ohne Rechte

Viele Arbeiter kommen ohne einen verbindlichen Arbeitsvertrag nach Deutschland und werden dann um ihr Gehalt betrogen. Die meisten Unternehmen haben die Taktik übernommen, den Arbeitern am letzten Tag den Lohn auszuzahlen, sodass sie ihnen dann weniger als anfänglich vereinbart geben können oder in Extremfällen sogar gar nichts, ohne dass sich die Arbeiter dagegen wehren können.  Viele Arbeiter, zum Beispiel in der Bauindustrie, nehmen nach der geleisteten Arbeit das Geld an und fahren nach Hause – auch wenn es weniger ist als vereinbart, da eine Klage gegen den Arbeitgeber ein zu aufwendiger Prozess ist. 

Auch die Höchstarbeitszeiten und gesetzlichen Feier- und Urlaubstage beachten die Arbeitgeber häufig nicht. Die NGO „Faire Mobilität“ kann mehrere Fälle in den genannten Branchen vorweisen, bei denen Arbeiter darüber klagen, dass weniger Stunden bezahlt wurden als sie eigentlich gearbeitet haben, oder dass das Unternehmen angab, der jeweilige Arbeiter hätte sich an Tagen frei genommen, an denen er tatsächlich gearbeitet hatte. 

Mindestlohn wird weiterhin umgangen

Ein weiteres Problem ist, dass die Arbeitgeber weitgehend Werkverträge und Akkordregelungen mit den Arbeitern schließen. Das bedeutet, dass die Arbeiter nicht für die Stunden bezahlt werden, in denen sie faktisch arbeiten, sondern für die geleistete Arbeit. Saisonarbeiter werden beispielsweise pro Kilogramm geerntetes Obst oder Gemüse bezahlt. Dadurch umgehen die Unternehmen den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn. Lediglich in der Fleischindustrie sind seit diesem Jahr Werkverträge verboten. Um den Mindestlohn weiterhin zu umgehen, ziehen  die Arbeitgeber den Arbeitern auch übermäßig hohe Kosten für die bereitgestellte Unterkunft, Transport und Versorgungspakete vom Lohn ab.

Dabei befinden sich die Unterkünfte, in denen die Arbeiter untergebracht werden, häufig in unzumutbarem Zustand. Während der Coronavirus-Pandemie unternahm NRW Kontrollen in solchen Unterkünften – dabei wurde festgestellt, dass bis zu 20 Personen in einer Unterkunft nächtigen mussten. Auch wurde festgestellt, dass viele Behausungen einsturzgefährdet waren, Schimmelbefall ,  katastrophale Sanitäreinrichtungen, Brandschutzmängel sowie undichte Dächer aufwiesen. 

Keine Sozialversicherung, keine Rente

Die meisten osteuropäischen Arbeiter, die nach Deutschland kommen, arbeiten Kurzzeitarbeit, als Saisonkräfte in der Landwirtschaft oder für befristete Zeit auf einer Baustelle. Das heißt, ihr Arbeitsvertrag beläuft sich nur auf ein paar Wochen, höchsten Monate. Das Problem der Kurzzeitarbeit ist, dass sie eigentlich als Sekundärarbeit angedacht ist, sodass die Arbeiter vom Arbeitgeber nicht sozialversichert werden müssen und oftmals nur gegen Arbeitsunfälle versichert sind. Während der Pandemie verlängerte die Regierung sogar die Zeitspanne, in der ausländische Arbeiter ohne Sozialversicherung bleiben können von 70 auf 115 Tage. 

Die Arbeiter, deren einziges Einkommen beispielsweise die Saisonarbeit ist, kommen somit nach Deutschland, ohne in ihrem Heimatland versichert zu sein, sodass während der Pandemie die hohen Kosten eines Krankenhausaufenthalts bei einer Infizierung mit Covid-19 auf die Saisonarbeiter zurückfielen. Oftmals wird ihnen sogar bei Arbeitsunfähigkeit nach einem Arbeitsunfall direkt gekündigt. Sie müssen dann die Unterkunft räumen und werden auch nicht für den Zeitraum der Erkrankung bezahlt. Viele Arbeiter wissen nicht, dass diese Praktiken gegen ihre Arbeitsrechte verstoßen. 

Darüber hinaus hat das Fehlen einer Sozialversicherung auch im Alter für die Arbeiter verheerende Auswirkungen, denn sie werden keinen Anspruch auf Rente haben, da ihre Arbeitgeber nie in die Rentenversicherung eingezahlt haben.

Intransparente Verhältnisse durch Subunternehmer

Obwohl es sich in den meisten Fällen um klare Verstöße gegen das Arbeitsrecht handelt, ist die strafrechtliche Verfolgung nur sehr schwer durchsetzbar, denn die Unternehmen schaffen gezielt Intransparenz durch das Anstellen mehrerer Subunternehmen, meist Briefkastenfirmen, die nur auf dem Papier existieren. Dadurch ist nur schwer nachweisbar, wer der eigentlich Verantwortliche für die Arbeiter ist und die Schuld an Missständen und Arbeitsrechtverstößen trägt. Der Hauptunternehmer beschuldigt das Subunternehmen, dem die Arbeiter unterstellt sind, und gibt an, nicht direkter Arbeitgeber zu sein; dagegen behauptet das Subunternehmen, die Schuld liege beim Hauptunternehmen. Ein Erfolg war trotzdem, dass zumindest in der Fleischindustrie seit Anfang 2021 das Beauftragen von Subunternehmern verboten ist. 

Behörden beider Länder gefordert

Die Teilnehmer der Konferenz betonten immer wieder, dass die rumänischen Arbeiter sowohl von deutscher als auch von rumänischer Seite besser geschützt werden müssen, und dass dies nur durch strategische Zusammenarbeit und einen durchgängigen Informationsfluss gelingen könne. Im Weiteren sei die Ausbeutung der rumänischen bzw. osteuropäischen Arbeiter nicht nur ein Phänomen in Deutschland, sondern aller europäischen Länder, die ausländische Arbeitskräfte beschäftigen. 

Der Vorsitzende des nationalen Gewerkschaftsbund, Dumitru Costin, sagte: „Wirtschaftliche Migration ist eine unumgängliche Folge der Globalisierung. (…) Es ist unsere Aufgabe, rumänische Arbeiter zu unterstützen und zu jeder Zeit Unterstützung anzubieten.“ Dafür ist es aber wichtig, dass Gewerkschaften, da sie das Bindeglied zwischen  Arbeitnehmer und Arbeitgeber darstellen, in ihrem Handeln von deutschen und rumänischen Behörden und Institutionen unterstützt werden.  Entsprechend müssen die bilateralen Beziehungen ständig gefördert werden. Die Repräsentanten der Organisation „Faire Mobilität“ wiesen nochmals darauf hin, dass es zur Bekämpfung der Ausbeutung in Deutschland wichtig sei, dass der Staat sektorenspezifische Gesetze erlässt, die die Unternehmen besser regulieren. 

Es ist des Weiteren auch wichtig, nach dem Vorbild der Fleischindustrie, eine elektronische und somit nicht manipulierbare Erfassung der Arbeitszeiten in der Landwirtschaft und Bauwirtschaft einzuführen und die Kurzzeitarbeit zu verbieten, sodass die Arbeiter normale Verträge erhalten, die eine Sozialversicherung mit einschließen. 

Selbstschutz ist der beste Schutz

Zum Schluss wurden Hinweise gegeben, wie sich Arbeiter selbst vor Ausbeutung besser schützen können: Sie sollen sich noch vor ihrer Abreise über ihre Arbeitsrechte in dem jeweiligen Land informieren und sich kundig machen, wie sie bei Verstößen diese einfordern und wo sie Unterstützung erhalten können. Vor allem muss darauf bestanden werden, dass man eine Kopie des Arbeitsvertrags erhält. Für den Fall, dass man später Arbeitsrechte einklagen muss, ist eine Dokumentation der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und eine Liste der Namen der Kollegen als eventuelle Zeugen unumgänglich.