Vom Unbehagen an der Demokratie

Daniel Barbu diagnostiziert in „Die abwesende Republik“ die Defizite der politischen Entwicklung in Rumänien nach 1989

Daniel Barbu: „Die abwesende Republik“. Aus dem Rumänischen übersetzt von Larissa Schippel; Berlin: Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 2009, 362 S., ISBN 978-3-86596-208-9 (= Forum Rumänien, Bd. 3)

Die rumänischen Intellektuellen nach 1989 haben so ihre Probleme mit der rumänischen Demokratie nach 1989. Wer Werke zur politischen Kultur des Landes seit der Wende liest, spürt deren regelrechte Verzweiflung an der real existierenden Demokratie. Oft entsteht dabei der Eindruck, die Autoren wünschten sich nicht nur eine andere Demokratie, sondern gleich auch ein anderes Volk, weil sie das eigene für ziemlich demokratieunfähig halten. Selten kommt indes die Kritik so intelligent, historisch begründet und nachvollziehbar daher wie bei dem vorliegenden Band des Bukarester Politikwissenschaftlers Daniel Barbu.

Der Direktor des Instituts für Politische Studien der Universität Bukarest diagnostiziert seinem Land und Volk nicht weniger als die Abwesenheit von Republik und demokratisch-ziviler Gesinnung, trotz der seit 1990 etablierten politischen Institutionen und regelmäßiger Wahlen und sogar Machtwechsel. Er sieht dies in einem größeren Zusammenhang und spricht von „Transformationsdemokratie ohne demokratische Legitimation“.

Die Demokratie in Rumänien ist für Barbu virtuell: Er sieht die Ausübung der Politik weniger von einem Bruch, sondern von der Kontinuität zur totalitären Vergangenheit gekennzeichnet. Die Demokratisierung der osteuropäischen Gesellschaften habe sich als „gesellschaftliches Experiment ohne möglichen Rückgriff auf Vergangenes“ (S. 21) erwiesen, der Kommunismus sei nicht gestürzt worden, sondern „verfault“ (S. 233).

Die Rumänen hätten die kommunistische Politik zwar als Last empfunden und den Totalitarismus aus dem Gedächtnis gestrichen. Doch verweigerten sie sich seither der Frage nach einem alternativen Gesellschaftsmodell. Die Rumänen hätten ihre Chance verpasst, ihre res publica neu zu erfinden: „Der Untergang des Kommunismus mündete in einen verpassten Wandel.“ (S. 31)
Barbu skizziert das Personalproblem der postkommunistischen Diktatur mit den Worten: „Die Angehörigen der kommunistischen Eliten gingen als Individuen in die Transformation, und zwar mit ihrer kompletten Erbschaft an Ressourcen, Beziehungen und Netzwerken.“ (S. 25) Zur „nahezu offiziellen Hermeneutik der jüngsten Vergangenheit“ gehöre es, dass die Eliminierung der politischen Eliten im Kommunismus wenigen Akteuren angelastet werde und die Nation als Ganzes entschuldigt werde.

Dass Barbu in einzelnen Fragen manchmal maßlos einseitig argumentiert, schmälert die analytische Schärfe dieses Essays zum Zustand der rumänischen Demokratie nicht wirklich, das von Larissa Schippel kongenial ins Deutsche übersetzt wurde. Die Kritik am „Zustand moralischer Emigration“ und „ethischem Autismus“ (S. 68 ff) während des Kommunismus lässt sich nach der Wende fraglos leicht üben. Natürlich hat Barbu recht mit dem Hinweis auf die „nationale Flucht vor der persönlichen Schuld“ (S. 122). Ob aber „den Menschen“ pauschal die Schuld für den Totalitarismus zugeschoben werden kann, darf sehr bezweifelt werden, trotz der Tatsache, dass 1989 rund 16 Prozent der rumänischen Staatsbürger der Kommunistischen Partei angehörten. Dazu zählten nämlich auch der Feuerwehrkommandant und der Dorflehrer. Und die berühmte „Schere im Kopf“ hatten alle.

Im Überwachungsstaat Rumänien war Opposition gleichbedeutend mit dem Marsch in die politischen Kerker von Jilava oder Aiud. Dabei zitiert Barbu selbst Corneliu Coposu, der von 282.000 politisch Inhaftierten ausgeht, von denen rund 190.000 in der Haft starben (S. 107). Wenn er aber nur 12 Prozent der Bevölkerung zugesteht, politische Opfer des Systems gewesen zu sein, dann greift das viel zu kurz in einem Land, in dem jede Schreibmaschine der Polizei gemeldet werden musste.

Immerhin differenziert er zwischen Widerstand, politischer Schuld, moralischer Schuld und krimineller Schuld. Und natürlich hat er recht, wenn er festhält: „Die Utopie kann verrückt sein, aber sie tötet nicht. Die Ideologie kann lügen, aber sie unterdrückt nicht. All diese Menschen wurden unterdrückt und getötet von anderen Menschen.“ (S. 125) Bedenkenswert ist seine These, dass die Securitate das Land von 1948 bis 1989 letztlich geführt hat und dass dem Geheimdienst die volle Verantwortung für die Taten des totalitären Regimes gebühre. Trotzdem braucht es bei der Diagnose des Widerstands mehr Differenzierung.

Der Leser wird bei der Lektüre dieses manchmal sehr subjektiven politischen Essays immer wieder zur Haltung aufgefordert. Barbus Kritik an der Definition des rumänischen Staates als Nationalstaat darf angesichts weitreichender Minderheitenrechte in Rumänien durchaus hinterfragt werden. Seine scharfe Kritik an der „postkommunistischen Partidokratie“, „Klientelismus“ und „Kolonisierung der ökonomischen Gesellschaft“ durch Parteien und Koalitionen hinwiederum verdient uneingeschränkte Zustimmung. Barbus Generalkritik an der rumänischen Demokratie, die nach den „prämodernen Regeln einer Standesgesellschaft“ funktioniere (S. 294), kann nur unterschrieben werden: Die Parteien herrschen, aber sie regieren nicht.

Natürlich darf auch die Kritik an der Orthodoxie nicht fehlen. Hier werden leider Begriffe wie säkulare Gesellschaft, laizistischer bzw. religiös neutraler Staat bunt durcheinander geworfen. Rumänien hat sich auf der Basis der eigenen kulturellen Traditionen für das Kooperationsmodell zwischen Staat und Kirche nach dem Muster z. B. Deutschlands entschieden, nicht für die strikte Trennung wie in Frankreich, auch wenn dies (wenig repräsentativen) kirchenkritischen Kreisen nicht gefällt.

Wollten früher die Kommunisten die Kirchen aus dem öffentlichen Diskurs in die Gotteshäuser verbannen, so versuchen dies heute solche Kreise und ihre intellektuellen Wortführer. Hier greift manche laizistische Argumentation einfach zu kurz. Der rumänische Erzmufti Yussuf Muurat etwa warnt deutlich, dass fundamentalistische arabische Kreise nur auf einen Rückzug des Staates aus der Förderung der Religionen in Rumänien warten, um dort selbst aktiv zu werden.

Barbus Essay gehört trotz mancher Schwäche und Überzeichnung in Wahrnehmung und Urteil zu den wichtigsten politischen Analysen in Rumänien seit 1989. Es ist sehr zu begrüßen, dass dieses Buch nun auch auf Deutsch zu lesen ist. Sigmund Freud hatte einst Aufsehen erregt mit seinem Essay „Vom Unbehagen an der Kultur“. Daniel Barbu zeigt in seinem Buch das Unbehagen an der postrevolutionären Demokratie in Rumänien.