Von Schmiergeld bis Mordandrohung

Womit sich die wohlbezahlte Gerichtsbarkeit Rumäniens zu beschäftigen hat

Foto: sxc.hu

Seit 1990 (und bis Ende vergangenen Jahres) sind in Rumänien 1447 Personen wegen Bestechung verurteilt worden, was einem Jahresdurchschnitt von 69 überführten und dann auch verurteilten Bestechern entspricht oder einem Durchschnitt von rund 1,6 Verurteilten pro Verwaltungskreis und Jahr. Wohlgemerkt: nicht pro Gericht und Jahr, denn in jedem Verwaltungskreis gibt es bis zu sechs oder gar zehn Gerichte! Für Bestechlichkeit oder Schmiergeldannahme zwischen 1990 und 2010 sind 2815 Personen verurteilt worden (Jahresschnitt: 134, pro Verwaltungskreis und Jahr 3,90 Verurteilte). So gesehen, darf die Anzahl der endgültigen Urteile als für die Justiz und die Justizverfolgung beschämend betrachtet werden – gemessen an der bekannten Bestechungsmisere („Keine Geste ohne Trinkgeld/ciubuc!“, „Jedem das ihm `Zustehende`“) und dem Ruf Rumäniens als durch und durch korruptes und korrumpierbares Land.

Bestechungsahndung und Politik

Spitzenjahre der von der Justiz geahndeten Bestechungsfälle waren die Jahre 1996 (119 Verurteilte wegen Bestechung und 281 wegen Bestechlichkeit bzw. Annahme von Schmiergeld), 1997 (124/314) und 1998 (107/215). Zufall oder nicht: Das sind die ersten drei Jahre der Mitte-Rechts-Regierungskoalition von 1996-2000. Unter der PSD-Regierung Adrian Năstases (2000-2004) stand die Ahndung von Schmiergeldvergehen wie folgt: 2000 – 35/117; 2001 – 75/123; 2002 – 52/145; 2003 – 56/119 und 2004, dem Jahr des Beginns der EU-Beitrittsverhandlungen und des Übergangs zu einer neuen Regierung, 72/139.

Die (durchaus neutrale) Statistik hat EconText zusammengestellt. Sie umfasst ausschließlich Fälle von endgültigen und unanfechtbaren Urteilen, welche die Justiz in Bestechungsfällen ausgesprochen hat.

Die Warteliste auf Gerichtsurteile in Sachen Schmiergeld ist alt und lang. Namen wie Sorin Ovidiu Vântu, Sorin Apostu, Gigi Becali, Cornel Penescu, Dan Diaconescu, Nati Meir, Costel Căşuneanu sind meist eher wegen ihrer Konflikte mit der Justiz bekannt geworden als durch ihre sozialen oder geschäftlichen Tätigkeiten, zumal letztere allgemein im Dunkeln liegen. Alle waren sie bereits einmal für mindestens 29 Tage in Vorbeugehaft, obwohl das in Rumänien eigentlich gar nichts zu bedeuten hat, eher ein Kavaliersdelikt ist.

Die meisten unter den am häufigsten in den Medien genannten Untersuchungshäftlinge haben es nie bis zu einem endgültigen Urteil „geschafft“. Entweder sind ihre Rechtsanwälte zu clever oder die Justizorgane zu trottlig. Oder es gibt ganz einfach den Willen zu einer Verurteilung nicht.
Anschließend noch ein paar Rekorde aus der Econtext-Statistik. Die wenigsten Urteile für Bestechung hat die rumänische Justiz 1991 ausgesprochen: 14, die meisten 1994, 129. Im vergangenen Jahr waren es 68 Urteile. Die meisten Verurteilungen von Bestechlichkeit gab es 1997 (314) und 1996 (281). Die wenigsten Urteile wegen Bestechlichkeit sprach die Justiz 2010 aus: 43 (ein Jahr zuvor: 49, die zweitgeringste Anzahl). Man könnte fast meinen, die Korruption ist in Rumänien unter der Boc-Regierung von PDL, UNPR und UDMR zurückgegangen....

Einige Fälle von vielen

Angeführt sei hier unter den Paradebeispielen der Sohn der Unternehmerin, Senatorin und Ex-Sport- und Jugendministerin von 2009, Sorina Plăcintă (PDL), Răzvan Andrei Plăcintă, bei dem die Liste seiner Justizvergehen länger ist als die Liste seiner Studienabschlüsse (u. a. versuchter Mord, Raubüberfall, Gewalttätigkeit und Schlägerei, Zerstörung öffentlichen Guts, Beleidigung, Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung). Der junge Mann ist auf freiem Fuß – obwohl die Staatsanwaltschaft die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen hat – und bemüht sich über seine Advokaten, die gerichtliche Erlaubnis zu erlangen, Rumänien, wie jeder freie und unbelastete Bürger der EU, als Reisender verlassen zu dürfen.

Erinnert sei auch an den Fall der Leitung des Reschitzaer Maschinenbauwerks UCMR, bei dem Stränge in die Hafenverwaltung von Konstanza, ins Innenministerium und in den Nahen Osten führten. Der Staat sollte bei der Mehrwertsteuerrückgabe um viele Millionen Euro übers Ohr gehauen werden – aufgrund betrügerisch hochgeschätzter 20 Jahre alter Motoren von der Haldenproduktion, die angeblich exportiert werden sollten. Die vier Motoren in einem realen Gesamtwert von etwa 200.000 Euro (so einer der untersuchenden Staatsanwälte, der eher ihren Schrottwert meinte) waren auf 250 Millionen Euro angegeben worden, wovon rund ein Fünftel als Mehrwertsteuer unter den Drahtziehern des geplanten Betrugs als staatliche Mehrwertsteuererstattung für Exporte verteilt werden sollte. Keiner der Implizierten – außer dem ehemaligen Leiter der Hafenverwaltung von Konstanza, Eugen Bogatu (der auch noch anderes auf dem Kerbholz hat) – sitzt mehr in Untersuchungshaft und die schnelllebige rumänische Medienlandschaft hat auf den Fall vergessen, bevor er noch der Justiz überantwortet wurde.

Einer der Reschitzaer Direktoren, die den Hut nahmen, Adrian Preda, betätigt sich inzwischen unbeschadet des Justizskandals als Industrieunternehmer in einem Splitterwerk des Maschinenbauwerks, der andere, Ex-Präsident-Generaldirektor Adrian Chebuţiu, hat sich die Filetstücke des Werks – so zwitschern die Reschitzaer Spatzen auf den Dächern – unter den persönlichen Nagel gerissen.

Unrechtsbewusstsein – Tendenz null

Eine Liste der 30 bekanntesten Rechtsfälle, welche die rumänische Justiz und die Medien seit 2009 beschäftigen, umfasst zehn Schmiergeld-/Bestechungsfälle, sieben Fälle von Unterschlagung, Veruntreuungen, Betrug und getricksten Ausschreibungen, sechs Fälle von Einflussnahme, drei Fälle von Erpressung (die OTV-Leute Dan Diaconescu und Doru Pârv sowie Ioan Mureşan, Fußballbeobachter des Rumänischen Fußballbunds FRF), sieben Fälle von unterschiedlichsten Formen der Dokumentenfälschung, einen Fall von Morddrohung (Anghel Sandu, genannt „Bercea Mondialu“), einen Fall geklonter Wertkarten (der Richtersohn Iustin Covei), einen Entführungsfall (der Europarlamentarier Gigi Becali und seine Leibgarde als Täter) und einen von Steuerhinterziehung (Sorin Mihai, Ex-Direktor von Petrom-Service). Für diejenigen, die nachgezählt haben: Hier sind auch die Fälle von Mehr- und Vielfachbeschuldigungen mitgezählt, welche die Staatsanwaltschaft aufgedeckt hat.

Nur die Gesamtzahl der Fälschungen – mit allen Feinnuancen dafür, mit denen die rumänische Justiz und die Gesetzgebung zu arbeiten beliebt – übertrifft die Zahl der Schmiergeldfälle. Nicht umsonst verfügt das Rumänische über eine Überfülle von Begriffen für Manipulation mittels Schmiergeld und Bestechung bzw. Bestechlichkeit, wobei die meisten unter ihnen einen solchen Beigeschmack an Normalität im Alltagsgebrauch haben, dass ihre kriminelle Überfrachtung meist gar nicht auffällt, etwa ganz normale Alltagsfragen oder -aussagen (in wörtlicher Übersetzung) wie: „Hast du ihm auch sein Recht gegeben?“, „Und dabei hab ich ihm sein Recht überreichlich zugesteckt!“ (wenn trotz Schmiergeld etwas nicht „wie geschmiert“ lief), „Wie viel gibt man in solchen Fällen?“, „Was ist sein Preis?“ usw. Das Unrechtsbewusstsein im Falle von Manipulationen mittels Bestechung ist äußerst schwach entwickelt.

„Investitionen“ in Richterposten

Hingegen verdienen die Richter in Rumänien unverschämt viel Geld. Zugegeben: Sie müssen vom Staat gut bezahlt werden, um gegen Bestechung und andere Versuchungen gefeit zu sein. Und der rumänische Staat hat lange Jahre dazu gebraucht, um zu dieser Binsenweisheit zu gelangen. Aber dass ein Richter eines Kreisgerichts zwischen 5897 (im Verwaltungskreis Alba) und 13.916 Lei brutto verdient (im Verwaltungskreis Hermannstadt – alle Angaben ebenfalls von Econtext), bei einem landesweiten Durchschnittslohn der Gerichtspräsidenten von 9238 Lei (es gibt 14 Präsidenten von Kreisgerichten in Rumänien, die mehr als 10.000 Lei monatlich auf ihrer Lohnliste stehen haben, sowie sieben, die zwischen 9000 und 10.000 Lei verdienen, und sechs, die zwischen 8000 und 9000 Lei monatlich einstecken), das bringt einen doch auf so allerhand Gedanken, wenn man gelegentlich durch die Staatsanwälte von korrupten Richtern erfährt, in einem Staat, wo eine Textilarbeiterin oft weit unter 1000 Lei netto verdient und der Bruttolohn eines im Fach durchschnittlich ausgebildeten Arbeiters in einer stinknormalen Montagefabrik bei 1200-1500 Lei liegt. Ganz zu schweigen vom Lohn eines Lehrers, der ausbildungsmäßig mit einem Juristen zu vergleichen ist und von der nervlichen Belastung diesem auch nicht nachsteht.

Dass Gerüchte zirkulieren, dass ein Richterposten „auf sicher“ – „la sigur“ im Sprachgebrauch der Interessenten – anlässlich von Ausschreibungen auf den höheren Ebenen des Justizministeriums erkauft werden kann mit 15.000 bis 20.000 Euro oder Dollar (da scheiden sich die Gerüchtegeister) – wen wundert das noch und wer ist nicht geneigt, solchen Gerüchten bereitwillig und ohne viel Nachprüfung Glauben zu schenken. Er muss ja nur nachrechnen, wie viel Zeit ein Gerichtspräses (Grundlage: ihre eigenen Vermögenserklärungen, die im Internet nachzulesen sind) braucht, um sich das Geld – genannt „die Investition“ – völlig legal vom Staat zurückzuholen. In Raten, als Monatslohn.

Dass sich die Richter hinter ihrer Unantastbarkeit zu verbergen suchen, wenn gegen sie wegen Korruption ermittelt wird – man erinnere sich an den jüngsten Fall der Bukarester Richterin, die behauptete, sie stehe sogar zusätzlich im Genuss des Schutzschirms der Unantastbarkeit ihres Ehemanns, Richter am Straßburger Gerichtshof für Menschenrechtsvergehen – und dass sie sich bei Ermittlungen mit dem Richterlohn als Basis in die (hohe) Rente hinüberzuretten suchen, bevor die Justiz eventuell zuschlägt und sie ihrer Lohn- und Rentenrechte verlustig gehen könnten – wer kann es ihnen verdenken?