Weg aus der Bildungskrise

Nach dreijährigem Abbau zurück zur Berufsschule

Fabrikruinen: Eine Renaissance erhofft man sich durch die Ausbildung erforderlicher Fachkräfte.
Foto: Zoltán Pázmány

Als die Bakkalaureatsergebnisse im vergangenen Sommer bekannt wurden, lösten sie in Rumänien eine Welle der Empörung aus. Über die Hälfte der Abiturienten hatten die Prüfung nicht bestanden. Bildungsminister Daniel Funeriu ging radikal gegen das Abschreiben vor. Es sollte, so Funeriu damals, der Weg für ein besseres Bildungssystem geebnet werden. Mit weiteren Reformen möchte man einen Weg raus aus der rumänischen Bildungskrise finden.

Dabei scheinen die neuen Maßnahmen alte Maßnahmen revidieren zu wollen. So zum Beispiel die Wiedereinführung von Berufsschulen, die bis Herbst 2011 aufgelöst wurden. Doch das Bildungsministerium möchte weiterdenken. Die Berufsschulen sollen nicht bloß wieder eingeführt werden, sie sollen auch modernisiert und den Anforderungen des aktuellen Wirtschaftsmarktes angepasst werden. Unterstützung hat sich Daniel Funeriu in Temeswar geholt. Der deutschsprachige Wirtschaftsclub Banat (DWC) soll eine Brücke zwischen der dualen Berufsausbildung in Deutschland und dem Bildungswesen in Rumänien schlagen. Neun Monate hat der DWC Zeit, um das Pilotprojekt in Temeswar zu starten. Facharbeiter werden auf dem rumänischen Markt dringend gebraucht. Nicht nur ausländischen Unternehmern fehlt es an gut ausgebildeter Arbeitskraft. Auch rumänische Unternehmen, die sich kaum über Wasser halten können, benötigen dringend Facharbeiter, die es  heute in Temeswar nicht mehr gibt.

Dinosaurier-Werke

Die Mechanischen Werke Temeswar/Timişoara (UMT) sind nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Fabrikhallen beherbergten vor 20 Jahren eine 10.000 Mann starke Industriebelegschaft. Bis 2008 schrumpfte die Zahl auf rund 700 Arbeiter. Die Krise zwang das privatisierte Unternehmen in den letzten vier Jahren in die Knie. Vor der Wirtschaftskrise produzierten die Werke zu rund 80 Prozent für den Export. Heute arbeiten noch 273 Facharbeiter in den UMT-Werken. Ausgebildete Arbeitskräfte werden dringend gesucht. Die Zahl der freien Arbeitsstellen ist bescheiden: Gerade mal zehn Stellen sind ausgeschrieben. Seit Dezember wirbt das Unternehmen mit Stellenanzeigen, gemeldet hat sich bisher niemand. Bis 1990 stellten die Werke jährlich 40 bis 50 neue Arbeiter ein. Möglich machte das die Berufsschule der UMT-Werke, die die Ausbildung der Angestellten sicherte. Kinder aus den umliegenden Dörfern oder aus anderen Städten erhielten Unterkunft, Verpflegung und Kleidung von den UMT-Werken. Einzige Bedingung: Die Absolventen mussten fünf Jahre lang in den Werken arbeiten. In der Woche verbrachten die Schüler zwei bis drei Tage in der Schule, die restlichen Tage lernten sie in den Werken in der Praxis. „Es wurden unter anderem Zerspanungsmechaniker, Dreher und Schlosser ausgebildet“, erklärt Produktionsleiter Adrian Tămaş. Nach 1990 wurden die staatlichen Unternehmen privatisiert und die privaten Schulen der Unternehmen verstaatlicht. Trotzdem waren Berufsschulen in den 1990er noch gefragt in Rumänien.

Eine beschämende Berufswahl

Heute wird gemunkelt, dass die Berufsschule von vielen als eine beschämende Wahl angesehen wird. Der stellvertretende Schulleiter des „Colegiul Tehnic de Vest“ Cosmin Hogea widerspricht. „Aus unseren Schulen gehen keine Arbeitslosen hervor“, meint der Lehrer, der seit 1997 an dem Kolleg arbeitet. Seit September 2011 ist das Kolleg offiziell keine Berufsschule mehr. Drei Jahre dauerte der Abbau. Verantwortlich für die Abschaffung der Berufsschulen war Bildungsministerin Ecaterina Andronescu. Mit ihren Bildungsreformen schien sie die tatsächlichen Bedürfnisse des Landes zu ignorieren. Bildungsminister Daniel Funeriu traf sich zweimal in Temeswar mit dem deutschsprachigen Wirtschaftsclub Banat. Gemeinsam soll ein duales Berufsausbildungssystem auf die Beine gestellt werden. Deutschland soll das Vorbild liefern, wie es in Zukunft in Rumänien mit den Berufsschulen weitergehen soll. „In Deutschland kann man auch ohne Abitur ein angesehener Mensch werden“, findet der gelernte Diplom-Kaufmann Peter Hochmut. Das findet scheinbar auch Bildungsminister Funeriu, der für radikale Maßnahmen bekannt ist. Dass eine Wende im Bildungssystem nötig ist, bewiesen die schlechten Ergebnisse der letzten Bakkalaureatsprüfungen. Nun sollen Temeswarer Schulen ab Herbst in das Pilotprojekt des Bildungsministeriums und des DWC einsteigen. Das Kolleg soll ab Herbst wieder eine Berufsschule werden, mit im Schlepptau ist das technische Kolleg Ion Mincu aus Temeswar.

Schulen für die Benachteiligten

Die beiden Kollegs wurden aufgrund der schwachen Ergebnisse bei den letzten Bakkalaureatsprüfungen zusammengeschlossen. Nur zwei Prozent der Schüler vom Westkolleg hatten das Abitur bestanden. Die Gründe für die schwachen Ergebnisse sind für den Schulleiter offensichtlich. Ein Blick auf die Ergebnisse der Semesterarbeiten zeigen, dass die Schüler für das Lyzeum nicht geeignet sind. In Mathematik haben die Schüler Mittelnoten zwischen 1 und 3,50. Es fehlt bei vielen an grundlegender Bildung. Als Grund gibt der Lehrer das Desinteresse der Eltern an und versucht dadurch seine Lehrkräfte in Schutz zu nehmen. „Wir haben die Schüler auf Note fünf gebracht, doch die meisten haben die erforderliche sechs nicht erzielt“, erklärt Hogea. Die Eltern seien oft nicht da, um sich um die Bildung ihrer Kinder zu kümmern. Man spreche von Sozialfällen, wo der Vater oder die Mutter im Ausland arbeitet, in manchen Situationen fehlen beide Elternteile. „Wir arbeiten mit Sozialhilfearbeitern, damit die Schüler nicht vom Unterricht schwänzen“, sagt Hogea. „Doch viele arbeiten bereits und müssen sich schon früh selbst ernähren.“

Die UMT-Werke und das Unternehmen Prompt können indessen zum alten Berufsausbildungssystem nicht zurückkehren. „Wir haben keinen Fünfjahresplan mehr“, erklärt Tămaş. „Wir können schwer junge Leute für einen Beruf ausbilden, wenn wir in zwei Jahren was anderes produzieren müssen, wo andere Fachausrichtungen verlangt werden.“
Gleichzeitig wäre er einer Zusammenarbeit mit einer Berufsschule nicht abgeneigt. Das Projekt findet er gut. „Ich denke, es liegt im Interesse des Unternehmens, Fachkräfte auszubilden und sie dann zu halten.“ Nur muss das Unternehmen auch über die nötigen Ressourcen verfügen. Das ist für das Unternehmen spätestens seit 2008 ein Problem.