Wegschauen scheint die einfachste Lösung zu sein

Antwort auf 134 Fragen zur Lage der Roma in Europa

Wenn im Sommer Roma aus Osteuropa in Berliner Parks kampieren, läuft die Presse in der deutschen Hauptstadt heiß. Das ist der Stoff, mit dem sie das berühmt-berüchtigte Loch im Sommer stopfen. Auch in diesem August übernachteten zwischen 20 und 30 Menschen etwa einen Monat lang im Görlitzer Park. Politiker zeigten sich besorgt – immerhin war Wahlkampf. Getan haben sie nichts. Nichts, außer sich gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben, bis das Problem sich wie von selbst gelöst hat – noch vor der Wahl.

Nun, nicht ganz von selbst. Der Wohnungsgeber, der die drei Familien aus Rumänien Ende Juli vor die Tür gesetzt hat, musste um seinen angeschlagenen Ruf bangen. Wohl deshalb verschaffte er einer der Familien eine neue Bleibe am Stadtrand. Zur Wohnungsübergabe lud er – wie man das als seriöser Makler so tut – auch die Lokalmedien. (Da kein Dolmetscher anwesend war, sprang der Autor, des Rumänischen mächtig, kurzerhand als Übersetzer ein). Kurz darauf verschwanden auch die übrigen Familien aus dem Park. Sie sind wohl zurück nach Rumänien gefahren; das zumindest hatte eines der Familienoberhäupter als Ultima Ratio angekündigt, schließlich wurde es kalt. Der Sommer war vorbei und das Thema war vom Tisch.

Zumindest für das Tagesgeschäft der Berliner Lokalmedien. Das Problem ist jedoch größer als der Görlitzer Park. Das ist auch bis in die Reihen der Politik vorgedrungen (zugegeben nicht erst seit gestern). Einer, der sich mit der Lage der Roma befasst, ist Simon Pabst. Er ist menschenrechtspolitischer Referent des Bundestagsabgeordneten Volker Beck (Grüne). Im April hat er in einer großen Anfrage an die Bundesregierung 134 Fragen zur Lage der Roma in Europa verfasst. Kürzlich kam die Antwort – 64 Seiten lang.

Das Dokument ist in Teilen ein Abriss über die Verfolgung und Diskriminierung der größten europäischen Minderheit in der EU. In der Slowakei etwa wurde vor gut einem Jahr eine Roma-Siedlung auf einen Bürgerentscheid hin durch eine Mauer vom Rest des Ortes abgeschnitten. In Tschechien haben Ärzte Roma-Frauen Jahrzehnte lang zwangssterilisiert. Die Praxis kommt aus der sozialistischen Zeit, doch der „jüngste der Bundesregierung bekannte Fall stammt aus dem Jahr 2007“, erklärt die Regierung. Weiter heißt es: „Keiner der Ärzte wurde bisher verurteilt.“ Zu Ostern dieses Jahres marschierte eine militante Bürgerwehr durch ein ostungarisches Dorf und tyrannisiert die dort lebende Romabevölkerung. In den Jahren davor wurden etliche Roma aus rassistischen Gründen in Ungarn ermordet. Die Liste der Ereignisse ist lang und erinnert uns Deutsche an unsere dunkelbraune  Vergangenheit.

Die Fälle kursierten auch in den deutschen Medien. Man zeigte sich geschockt und war schnell mit einem Urteil zur Stelle. Die Politik folgte auf den Fuß. Auch die Bundesregierung rügt in ihrer Antwort an die Grünen die Probleme in den oben genannten Staaten. (Sie lobt allerdings auch ergriffene Maßnahmen.) Alles das wäre der Rede nicht wert, würde die deutsche Bundesregierung dabei nicht den eigenen Dreck unter den Teppich kehren. Erstaunlich ist nämlich, wie wenig selbstkritisch sie sich im Umgang mit Sinti und Roma im eigenen Land zeigt.

Über einen offensichtlichen Mangel an Initiativen für Roma in Sachen Bildung, Arbeitsmarkt, Integration und Schutz vor Diskriminierung scheint man in Berlin nicht zu stolpern. Angaben über die Situation der Minderheit in Deutschland bleibt die Regierung den Fragenden mit der Begründung schuldig, die ethnische Zugehörigkeit würde von deutschen Behörden nicht erfasst. Außerdem gebe es Maßnahmen für Migranten unabhängig von deren Herkunft. Wegschauen scheint die einfachste Lösung zu sein.