Weißbrotkrise

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„Ach, bring doch bitte ein Brot vom Bahnhof mit“, flötet mein Göttergatte am Telefon. Der Zug hält, ich stürme in den Laden. Und es ist genau so wie in dem rumänischen Witz, wo der Kunde fragt: „Haben Sie denn kein Brot?“ und die Verkäuferin antwortet: „Nein, wir haben keine Kartoffeln. Kein Brot gibt’s im Laden nebenan.“ Im wirklichen Leben gibt es überall Kartoffeln, aber kein Brot. Zumindest nicht nach acht Uhr morgens und dann den ganzen Tag nicht mehr. Und zwar in keinem Laden unseres Dorfs.

Besonders auffällig ist der Brotschwund vor den Feiertagen. Dann ist selbst der tausendmal abgegriffelte Restlaib mit den Daumen-Prüflöchern in der Rinde, den sonst keiner mehr haben will, aus der offenen Wühlkiste verschwunden. Statt dessen kann man Striezel kaufen, Kuchen oder Cremeschnitte. Kein Hinweis also auf einen globalen Nahrungsmittelengpass. Wieso fehlt ausgerechnet Brot?

Weil ich es nun endlich wissen will, lege ich mich auf die Lauer. Es ist ein Tag vor einem Feiertag. Im Licht der Morgendämmerung erwacht die Dorfstraße zum Leben. Autos parken hektisch vor den Läden ein und aus. Menschen defilieren die Straße rauf und runter, unter dem Arm zwei-drei Laibe Brot. Aus Plastiktüten ragt Brot. In Fahrradkörben stecken Brote. Ein Hund quert mit einer Stange Weißbrot im Maul die Straße. Es ist Brotzeit, so viel ist klar. Erst Hamsterkäufe – und dann hat das Brot Freizeit bis zum nächsten verkaufsoffenen Morgen.

Was mag die Ursache für dieses seltsame Phänomen sein? Predigen die Schlankheitspäpste nun vielleicht nach Low Carb, Keto- und Paläo-Diät die ultimative Weißbrotkur? Morgens zwei entrindete, schonend aufgebähte Wecken. Mittags ein herzhafter Brotkanten, in trockenen Brotbröseln geschwenkt. Abends eine Brotsuppe mit Croutons und als Zwischensnack ein mit den Fingern geknetetes Kügelchen aus dem Inneren eines Weißbrots. Da ich niemanden im Dorf an Gewicht verlieren sehe, verwerfe ich diese Theorie. Wenn gesundheitliche Motive wegfallen, sollte man vielleicht mal bei der Wirtschaftlichkeit ansetzen: Brot ist billig. Aber: Vertilgen die Leute deswegen Unmengen an Brot?

Das Geheimnis lüftet sich endlich, als wir eines Tages Futter für unser Federvieh kaufen: geschroteten Mais, Erbsen, Sonnenblumenkerne. Die Bäuerin schüttet den Sack mit dem Gemisch in die Mühle. „Die Leute kaufen solches Futter kaum noch“, klagt sie, während das Mahlwerk rattert. „Sie geben den Tieren lieber Brot.“

Bingo! In Geheimdienstmanier starten wir vorsichtig eine Volksbefragung. Der furchtbare Verdacht erhärtet sich: Der Bauer, bei dem wir den Käse kauften, füttert seine Kuh mit Brot. Es kommt ihm billiger als Kleie und er muss nicht so viel Heu machen. Die Ziegenfrau? Gut geraten: Im Winter fressen ihre Ziegen Brot. So wie die Hühner, die Fische, die Schweine und die Hunde der Leute im Dorf. Die Brotdiät für Tiere spart ihnen vor allem Arbeit. Während billiges Brot mühelos in „hochwertige“ Nahrung transformiert wird, sitzt der Bauer gemütlich vor dem Fernseher.

Und wir überlegen: Ist es besser Fisch, Fleisch und Käse doch wieder im Supermarkt zu erstehen? Denn eigentlich essen wir mit den heimischen Dorfprodukten ja doch nur Brot. Das es als solches aber nur selten zu kaufen gibt...