„Patron“. So steht’s an seiner Bürotür. Und so nennen sie ihn auch. Dabei ist das Alfred Barth, 75, fast schon ein wenig unangenehm: „Aber hier, in Rumänien, heißt der Chef einer Firma halt so“ – und zwar egal, wo der Chef eigentlich herkommt. Alfred Barth ist in Binzwangen im Landkreis Biberach, also in Oberschwaben, zuhause. Aber eigentlich auch ganz woanders – nämlich in Temeswar/Timișoara. Dort betreibt Barth, ein oberschwäbischer Unternehmer durch und durch, seit Mitte der 90er Jahre die „Barum Technik“, ein Tochterunternehmen seines metallverarbeitenden Betriebs in Binzwangen. Nach über einem Vierteljahrhundert als „Patron“ eines rumänischen Unternehmens ist Barth gerade dabei, die operative Leitung seiner rumänischen Tochterfirma in neue Hände zu geben.
Rumänien – der Neuanfang
Am 15. Dezember werden genau 30 Jahre vergangen sein, als der Aufstand gegen das kommunistische Ceaușescu-Regime begann. Was folgte, war ein politisches und wirtschaftliches Holterdipolter: Korruptionsskandale, bestechliche Politiker, kommunistische Nostalgien versus Traum vom Güldenen Westen, zuletzt der Versuch, durch eine umstrittene Justizreform europäische Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in vollster Blauäugigkeit zu unterwühlen.
Aber da gibt es noch die andere Seite Rumäniens, gerne zu besichtigen in einer Großstadt wie Temeswar. Wer durch die Ausfallstraßen fährt, (fast) egal in welche Richtung, sieht riesige Transparente allzu bekannter Großkonzerne wie Bosch, Continental, ZF Friedrichshafen, aber auch etwas kleinere Unternehmungen wie Hella und Dräxelmeier. Sie haben sich hier in den vergangenen Jahren nach und nach angesiedelt, schätzen vor allem die gut ausgebildeten Ingenieure und IT-Experten, aber auch die Arbeit der Beschäftigten in den Werkhallen und sogar das soziale und naturgegebene Ambiente.
Der Binzwanger war vor den Branchengrößen vor Ort
Doch Alfred Barth war lang vor den „Großen“ wie ZF und Conti da. „1992 bin ich zum ersten Mal nach Temeswar gereist“, erinnert sich der entschlossen wirkende Binz-wanger. Teile für die Autoindustrie und für die Baumaschinenproduktion wollte er zukaufen. „Die Qualität der Warenmuster war hervorragend – und die Preise auch.“
Das hat den Schwaben Barth damals entzückt. Weniger entzückt war er, als seine rumänischen Geschäftspartner die ersten Serienprodukte anlieferten: Da häuften sich dann Qualitätsprobleme in einem Ausmaß, das nicht mehr zu vertreten war. Dabei, so Barth, hatte er doch gesehen: „Sie können es eigentlich da unten.“
Und dann ist er halt nochmals „da unten“ hingefahren, nach Rumänien. Und hat entdeckt: „Sehr gute Mitarbeiter, die was draufhaben. Aber ihnen hat die Führung gefehlt – einer, der die Qualität kontrolliert, der alles zusammenhält.“ Und dann hat er entschieden, dass er selbst eine Firma gründet; Metallteile bearbeitet, lackiert, nach Deutschland bringt.
Das war die Idee, die Barths Leben veränderte: Sein Zuhause war fortan häufiger die große Stadt Temeswar, denn das oberschwäbische Dörfchen Binzwangen. Und er machte ein großes Fass auf: Die Mitarbeiterzahl seiner rumänischen Unternehmung steigt in Hochzeiten auf über 700 Köpfe.
Handarbeit ist in Rumänien noch rentabel
Vom Büro des „Patrons“ bis in eine der Produktionshallen dauert es gerade mal zwei Minuten. Zu hören ist das Zischen von Pressluftgeräten, das leise Surren von Motoren. „Hier machen wir gerade die Kühlflüssigkeitsleitungen für die S-Klasse von Mercedes. Da ist noch viel Handarbeit dabei.“ Und genau die sei in Deutschland zu teuer – abgesehen davon, dass „wir uns schwertun, in Oberschwaben überhaupt Leute für so etwas zu finden.“ Insofern kann Barth der aufgeregten These, durch die Investition in Rumänien Jobs gen Osten verlagert zu haben, nur ein müdes Lächeln abgewinnen. Das Gegenteil sei wahr: „Durch die Fertigung hier und die Aufträge konnte ich auch meine Leute in Binzwangen halten“ – abgesehen mal davon, dass die Zeit der Billiglöhne in der ‚Boomregion‘ Temeswar längst vorbei ist: Umgerechnet um die 800 bis 900 Euro netto zahlt Barth seinen rumänischen Arbeiterinnen und Arbeitern pro Monat. Das ist in der Regel mehr als das Gehalt vieler Gymnasiallehrer.
Ohnehin ist nicht alles Gold, was glänzt: Die Mühlen der Bürokratie mahlen häufig (nervenzerreibend) langsam in Rumänien. Da kann es schon mal eine gefühlte halbe Ewigkeit dauern, bis die Genehmigung zum Bau einer neuen Werkhalle vorliegt. Oder bis eine neue Erschließungsstraße gebaut werden darf.
Korruption in den oberen Rängen der Politik
Schließlich das leidige Thema Korruption: Auf operativer Ebene, also im täglichen Umgang mit Polizei und Behörden, sei Korruption so gut wie vollständig aus dem Alltag verschwunden, was ganz früher, zu Beginn der 90er Jahre, schon mal grundsätzlich anders war. „Nur auf hoher politischer Ebene“, sagt Barth, „da ist es nach wie vor schlimm.“ Da werden, wie sich auch täglich in den rumänischen Gazetten und Online-Portalen nachlesen lässt, Millionenbeträge an Schmiergeldern für rentable öffentliche Aufträge über die Tische geschoben. Allerdings sind auch schon etliche Strippenzieher zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Alfred Barth machte sich da den alten ober-schwäbischen Grundsatz zu eigen: „Mir gebet nix.“ Denn: „Wer da mal anfängt zu schmieren, ist verloren – spricht sich das erst mal rum, dann werden die Begehrlichkeiten von Tag zu Tag ein bisschen größer.“
Gute Rumänischkenntnisse als „Patron“ wichtig
Wer den Wahl-Rumänen aus dem Oberschwäbischen so reden hört, erkennt eine gewisse Leidenschaft für Land und Leute rund um Temeswar. Da schwärmt Barth mal von der Oper, mal von den ausgedehnten Spaziergängen in den Waldregionen rings um die Stadt. Die Botschaft lautet: Hier lässt es sich leben – auch und gerade als Oberschwabe. Und dann ist da noch die Sprache: Bei Besprechungen mit Mitarbeitern wechselt Barth schnell mal von Schwäbisch auf ziemlich perfektes Rumänisch. „Eineinhalb Jahre habe ich dazu gebraucht“, sagt er 75-Jährige, „doch das war notwendig. Man wird hier eigentlich erst so richtig ernst genommen und akzeptiert, wenn man die Sprache spricht.“
Nun allerdings, nach über einem Vierteljahrhundert Werkeln und Wirken in Rumänien, will sich Barth aus der operativen Unternehmensleitung zurückziehen. Eines seiner inzwischen im Raum Temeswar gegründeten Unternehmensteile hat er an den österreichischen Voest-Alpine-Konzern verkauft, einen anderen seinen beiden Söhnen übergeben. Eine Managerin schließlich soll neue Eigentümerin der Lackiererei werden. Ganz Abschied nehmen von Rumänien will Alfred Barth aber dennoch nicht: „Die Arbeit hier hat mir immer Spaß gemacht“, gesteht er. Viele gute Mitarbeiter sehe er heute in den Reihen seiner Firma. „Und da fliege ich dann schon ab und zu nochmals rüber, um mit denen zu reden.“ Der „Patron“ hat mit Rumänien noch lange nicht alles abgeschlossen.