Wettbewerbsfähig durch nachhaltige Produktkonzepte

Die letzte Langstapelspinnerei Deutschlands blickt in die Zukunft

Fotograf Sven Cichowicz wollte es mit eigenen Augen sehen: die Zerstörung eines orientalischen Märchens. Der Aralsee war einst der viertgrößte Binnensee der Erde. Heute sind 90 Prozent seiner Fläche ausgetrocknet. Die verbliebenen zehn Prozent wurden von Osteuropahistorikerin Dr. Eva-Maria Stolberg als „ökologisch tot“ beschrieben.

Der Grund: Mit 40 Gramm pro Liter ist der Salzgehalt zu groß. Seit den 1980er Jahren wird von einer der schlimmsten Umweltkatastrophen des 20. Jahrhunderts gesprochen. Sven Cichowiczs Bilder von dem ausgetrockneten Salzsee zeigen, wieso: Große Fischereischiffe rosten heute mitten in der Wüste dahin. Für den jungen Fotografen war die Stimmung gespenstisch, der Ort unwirklich. Jede Rettung kommt heute zu spät.

Nicht nur für den Aralsee, sondern auch für die über 60.000 Usbeken und Kasachen, die früher vom Fischfang lebten. Kaum ein Journalist kommt nach einer Reise vom Salzsee mit guten Nachrichten zurück. Dimitri Ladischensky schrieb vor sieben Jahren über den verseuchten Boden und den giftigen Staub in der Luft, der die Menschen krank macht. Nicht umsonst erhielt die Aralsee-Katastrophe den Beinamen „Stilles Chernobyl“.

Hauptarchitekt dieses Desasters war die Sowjetunion. Mit der „Neulandkampagne“ sollten große Teile der UdSSR in den 1950er Jahren urbar gemacht werden. Usbekistan sollte der große Baumwollhersteller der Sowjetunion werden. Drei Millionen Hektar Fläche wurden dafür bewässert. Das Wasser verbrauchte man im großen Stil. Jährlich wurde tonnenweise Wasser verschwendet. An die Zukunft dachte damals niemand.

Heute wird das Aralseedesaster nicht mehr ausschließlich von Umweltschützern thematisiert. In Industrieländern wie Deutschland wächst das Umweltbewusstsein. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, setzen viele auf nachhaltige Produktkonzepte. Auch die Unternehmer Andreas Merkel und Carl-Heinz Otto gehen von der Aralsee-Katastrophe aus, wenn sie ihre nachhaltigen Produktkonzepte vorstellen.  Durch ihre „Sustainable Concepts“ möchten sich Merkel und Otto von der Konkurrenz abheben.

Die Brüder betreiben die letzte Langstapelspinnerei Deutschlands. Andere Unternehmer aus ihrem Gewerbe haben die Produktion längst ins Ausland verlagert. „Dafür muss ich nicht studiert haben“, sagt Merkel. „Geschickt ist man als Unternehmer erst dann, wenn man eine Lösung findet, in Deutschland zu bleiben.“

Otto Garne ist ein Familienunternehmen, das inzwischen seit 110 Jahren besteht. 2010 erhielt die Firma den Umweltpreis für Unternehmen aus Baden-Württemberg. Der mit 50.000 Euro dotierte Preis wurde an fünf Unternehmen vergeben. Die Spinnerei Otto wurde mit einer Anerkennung im Sektor Industrie ausgezeichnet. „Für uns war es eine Bestätigung, dass wir auf den richtigen Weg sind,“ sagt Andreas Merkel über die Auszeichnung.

Das Unternehmen hat eine neue Technologie entwickelt, um hochwertige Garne aus recycelter Baumwolle zu gewinnen. Durch das Recot2–Verfahren werden 10.000 Liter Wasser eingespart. Entwickelt wurde das Verfahren an der Universität Ulm durch die finanzielle Unterstützung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. 

Von „nachhaltiger Entwicklung“ spricht Merkel als Megatrend. Er und sein Bruder möchten dabei nicht nur mitreden können, sondern führend sein. „Es haben schon vor 20 Jahren Unternehmen versucht, auf Öko umzusteigen und sind daran gescheitert“, meint der Geschäftsführer. Im Textilgewerbe werden seit Jahren die gleichen Umweltfragen aufgeworfen. Die Aralsee-Katastrophe zeigt, wie umweltschädlich die Baumwollproduktion ist, besonders wenn das Klima und die natürlichen Anbaubedingungen nicht gegeben sind.

Große Länder wie China und Indien, die in der Baumwollproduktion marktführend sind, versuchen möglichst viel und möglichst billig zu produzieren. Die wertvollste Ressource bleibt das Wasser, besonders aufgrund des ungünstigen Klimas. Der englische Geograf John Anthony Allan prägte 1995 für das Wasser, das zur Erzeugung eines Produkts notwendig ist, den Begriff „virtuelles Wasser“.

Bei der Produktion von einem Kilogramm Baumwolle wird so viel virtuelles Wasser verbraucht, wie man für rund 250 Badewannenfüllungen bräuchte.  Darum zeigen auch Statistiken an, dass in den nächsten 50 Jahren Länder wie China oder Indien an Wasserknappheit leiden werden.

„Die Frage könnte natürlich heißen: Was kümmert es uns?“, wirft Merkel ein. „Dabei hat die Erfahrung gezeigt, dass, wenn es diesen Ländern gut geht, es auch uns automatisch besser geht.“

Damit bezieht sich der Geschäftsführer von Otto Garne auch auf Länder aus der dritten Welt. Das Unternehmen betreibt seit 2007 Fairtrade-Handel. Unabhängig von den Weltmarktpreisen zahlen sie für Baumwolle mehr und unterstützen dadurch Baumwollanbauer, die mit Großproduzenten nicht mithalten können. 

Die Beweggründe sind nicht ganz selbstlos. Das Garnunternehmen möchte auf Qualität statt Quantität setzen und spielt mit dem wachsenden Umweltbewusstsein der Kunden, die für hochwertigere Produkte gerne mehr zahlen.
Die Probleme stellen sich selten in Deutschland oder westlichen Ländern. Dort, wo die Umweltfrage noch oft ignoriert wird, sitzen die Hauptlieferanten. Wie lange noch, fragen sich Experten, die auf die Statistiken schauen. Auch am ausgetrockneten Aralsee wird die Baumwollproduktion mit dem Sterben des einst viertgrößten Binnensees der Welt untergehen.