Wie eine Venezianerin den Bedürftigen in Chitila hilft

Arianna Dina leitet das Sozialunternehmen „Fundația Bucureștii Noi“

Arianna Dina verteilt Snacks an die Kinder im Ferienlager.

Zeichnung der Kinder zu den Tätigkeiten der Stiftung

Arianna Dina und ihre adoptierten Kinder, zusammen mit der Co-Leiterin der Stiftung, Celina Damoc: im Vordergrund Martina (l.) und Luca (r.), im Hintergrund Celina mit Miriam (l.), Alexandru, Arianna und Simon (r.)

„Als die gebürtige Venezianerin Arianna Dina vor knapp 16 Jahren das erste Mal als Studentin nach Rumänien kam, hatte sie noch keine Ahnung, dass das Ehrenamtliche Programm in einer kleinen, von Mutter Teresa besuchten Kirchengemeinde in Rumänien ihr ganzes Leben umkrempeln würde. Was sie ursprünglich als Stippvisite in „ein Land der dritten Welt“ betrachtet hatte – so jedenfalls ihre Erwartungen –, entpuppte sich als gewaltige positive Überraschung und prägte ihren weiteren Lebensweg. Mittlerweile leitet die 35-Jährige die Stiftung „Fundația Bucureștii Noi“ und hat diese in eine bekannte Anlaufstelle in Sachen Bildung und Gesundheitswesen verwandelt, sowohl für Bedürftige als auch andere.

Wer Arianna Dina derzeit sprechen möchte, muss erstmal einen Termin vereinbaren. Denn entweder ist die rührige Italienerin mit dem Afterschool-Programm ihrer Stiftung beschäftigt, nimmt Lieferungen für Bedürftige entgegen oder organisiert deren Entsendung, entwirft das Arbeitsprogramm ihrer Fachärzte und Lehrer oder plant die interaktiven Freizeitbeschäftigungen der  Ehrenamtlichen für die nächsten Schulferien. Arianna Dina ist überall und muss überall mitwirken. Und als wenn das nicht genug wäre, hat sie daheim, mit ihren fünf adoptierten Kindern, abenfalls alle Hände voll zu tun. 

Schicksalhafte Fügung

Ihr ältester Sohn, Alexandru, ist eigentlich der Auslöser für ihr derzeitiges Leben: Als Baby abgeschoben - seine Eltern waren obdachlos, lebten in einem PKW und waren hinzu noch behindert – brauchte er unbedingt Hilfe. Der Kleine ging ihr gleich zu Herzen. Mutig entschloss sie sich 2009, ihn zu adoptieren. Ihre zeitweiligen Ehrenamtlichenbesuche in Bukarest bekamen einen permanenten Charakter. Dank der Unterstützung des Pfarrers Martin Cabala{ an der Katholischen Kirche „Maica îndurerat˛” im Bukarester Stadtviertel Costeasca durfte sie anfangs als Mithelferin der sozialen Stiftung „Fundația Bucureștii Noi“ in Bukarest verweilen und sich um Alexandru zu kümmern. Gleichzeitig beendete sie auch ihr Studium in Mailand, mit der Spezialisierung „Management von Sozialunternehmen“: Oder wie man von einem gemeinschaftlichen Bedürfnis zu einer Geschäftsidee kommt. Ihre Dissertation behandelte die Entwicklung der Stiftung „Fundația Bucureștii Noi“ zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit – Thesen, die sie bis heute aktiv innerhalb der Stiftung einarbeitet und erweitert.

Bei ihrem Umzug nach Bukarest hatte sie nur Alexandru und die Unterkunft innerhalb der Kirche. Freunde aus Italien haben ihr mit Spenden geholfen: Kleider, Spielzeuge, allerhand Brauchbares. Arianna hatte sich vorgenommen, die bereits bestehende Stiftung vom lethargischen Sozialdienst in einen aktiven Gemeinschaftsdienst umwandeln. Und sie wusste die beiden Pfeiler ihres neuen Lebens in Rumänien wundervoll und regelrecht kunstvoll zu vereinen. Auf Grund der psychischen Behinderung Alexandrus entwickelte sich der Drang nach entsprechener Betreuung, eine Betreuung, die zur damaligen Zeit entweder inexistent oder aber prohibitiv teuer war.  Außerdem adoptierte sie weitere vier Kinder mit ähnlichen Bedürfnissen. So kam der Bildungsbereich der sozialen Stiftung ins Leben: Eine Kinderpsychologin, eine Lehrkraft als Afterschool-Betreuung und eine Logopädin wurden angeheuert.

Inklusion durch Lernen, Pflicht und Spiel

Gleichzeitig dazu konnte die Stiftung auf eine weitere Nachfrage der Gemeinde- und Bezirksmitglieder eingehen, welche während der Ferien alle ein Problem mit der Betreuung ihrer Kinder hatten: Dutzende Ehrenamtliche aus Italien, Frankreich oder Spanien – im Jahr 2019 waren es über hundert – konnten während der Ferien die Kinder der Gemeinde betreuen und gemeinsame Unterhaltungsprogramme durchführen – ob katholisch, orthodox oder evangelisch, ob Rumänen oder Roma. Nicht nur, dass die Kinder beaufsichtigt waren, sie wurden Teil einer Gemeinschaft und konnten neue Aktivitäten kennenlernen oder sich mit bekannten in einer etwas anderen Form als der üblichen schulischen die Zeit vertreiben. Die Verbesserung des sozialen Verhaltens der Kinder unterschiedlichster Milieus, die Erhöhung des Verständnisses für Gruppenzugehörigkeit und für die Wichtigkeit einer Zusammenarbeit in der Gruppe, um bestimmte, für Kinder oftmals unübliche Tätigkeiten durchzuführen- Essen servieren oder gemeinsam Geschirr spülen – haben viele Eltern überzeugt, ihre Kinder immer wieder den Freizeitprogrammen der Stiftung anzuvertrauen. Und mit Besuchen auf Bauernhöfen in der Umgebung Bukarests und der Hilfe bei der Ernte konnte die Stiftung sowohl kleineren Landwirtschaften helfen, als auch den Kindern und Eltern Themen wie Nachhaltigkeit, Umweltschutz oder Sparsamkeit näher bringen. Zahlreiche Freundschaften wurden innerhalb der Gemeinde geknüpft – sowohl zwischen den Kleinen, als auch den Großen. 

Ebenfalls auf Anfrage der Eltern konnte Arianna das Freizeitprogramm um ein weiteres Afterschool-Angebot erweitern, in dem bis zu 20 Kinder unterschiedlichen Alters gemeinsam ihre Hausaufgaben unter Beaufsichtigung erledigen und danach Spaß haben konnten. Und Spaß heißt für Arianna nicht nur Herumtoben auf dem neuen Spielplatz der Stiftung, sondern auch die Teilnahme an interaktiven Tätigkeiten und Workshops, wie das Erlernen der Kerzenmacherkunst oder die Herstellung von Märzchen. Um Zeitgenössisches mit Traditionellem zu vereinen, konnten die Kinder auch PC- oder Englischkenntnisse spielerisch erwerben und gleichzeitig sowohl die traditionellen Brettspiele ihrer Eltern wie auch neue  Denkspiele erlernen.

An den Bedürfnissen der Adoptivkinder gewachsen

Die Probleme in Ariannas neuer Familie haben ihr den Weg zu den in der Stiftung heute  angebotenen Gesundheitsdienstleistungen gezeichnet. Zu allererst benötigte Alexandru logopädische und psychologische Betreuung, danach auch seine Geschwister. Und somit entstand die psychologische Beratungsstelle für Kinder und Eltern, welche derzeit sogar Verhaltens- und Eingliederungsprobleme behandelt. Die Stiftung war auch eine der ersten Stellen in Bukarest, welche für Kinder Berufsberatung durch Experten angeboten hat. 

Aufgrund der heutzutage langen, vor dem Bildschirm verbrachten Zeit der Kinder und Jugendlichen entstand auch das Bedürfnis, eine Haltungskorrektur vorzunehmen. Zahlreiche Eltern in der Gemeinde beklagten sich bereits vor der Pandemie über die falsche Rücken- und Nackenposition ihrer Kinder. Zusammen mit einem italienischen Facharzt bot die Stiftung daraufhin monatliche Untersuchungen an, welche von lokalen Praktikanten wöchentlich weiter verfolgt wurden. Parallel zur Physiotherapie wurde ein Angebot für Entspannung und therapeutische Massage entwickelt, in das bereits vier Fachkräfte eingebunden sind. 

Zusätzlich hat Arianna auch die bei ihrer Ankunft in Rumänien bereits bestehende, aber fast ungenutzte Zahnartzpraxis der Stiftung erweitert und mittels Spenden aus Italien auf den neuesten Stand der Technik gebracht. Hier wird bedürftigen Kindern der Gemeinde sowohl kostenlose prophylaktische, aber auch kostenpflichtige  Behandlung angeboten.

Selbsterhalt ohne Profitdenken

Derzeit hat Arianna ihren ersten großen Plan verwirklicht: Die Stiftung ist in der Gemeinde und weit darüber hinaus bekannt, hat eine eigene dreistöckige Immobilie und kann sich selbst finanzieren. Spenden sind jederzeit willkommen, aber ein Plus, nicht ein Muss für die weitläufige soziale Tätigkeit. Als echtes Sozialunternehmen kommt die Stiftung mit jedem Angebot den Bedürfnissen der Gemeinde entgegen, wobei der Akzent stets auf dem Gemeinschaftswohl und den Bedürftigen liegt. Nicht nur, dass die kostenpflichtigen Leistungen auf einem tragbaren Niveau liegen, die Stiftung stellt den unterschiedlichen Fachkräften die Räumlichkeiten für deren Tätigkeiten zur Verfügung, wobei diese im Gegenzug sämtliche sozialen Fälle entweder kostenlos oder zu deutlich geringeren Preisen behandeln. Alle scheinen damit zufrieden zu sein.

Über die zukünftige Entwicklung der Stiftung ist Arianna teilweise selbst noch unschlüssig. Zwar wurden vorige Woche die Ziele der nächsten drei Jahre festgelegt, jedoch soll die Stiftung kein Profitunternehmen werden, sondern ein echtes Sozialunternehmen bleiben, welches den Anforderungen und Bedürfnissen der Gemeinde so gut wie möglich entgegenkommt, sei es mit sozialen, gesundheitlichen, bildungs- oder freizeitbezogenen Dienstleistungen. Aber „die Gemeinde zeigt mir immer, wie es weiter geht“, meint Arianna Dina zuversichtlich.