Wie Misserfolge der Schlüssel zum Erfolg sein können

Erfolgreich scheitern: „Blame Game“ bietet konstruktiven Umgang mit Fehlern, um bessere Entscheidungen zu treffen

Alexandra Gruicin ist eine in Transaktionsanalyse ausgebildete Organisationspsychologin und Psychotherapeutin mit über zehn Jahren Erfahrung in den Bereichen Führung, Coaching und Trainingsprogramme.

„Scheitern ist wichtig. Es braucht Mut, einen Deppen aus sich zu machen.“ Charlie Chaplin

Die Psychologin hat ein Spiel zum Erkennen der Fehler bzw. des Grades des Verschuldens ins Leben gerufen. Das Spiel ist ein Lernförderungsinstrument für Teams, Unternehmen, NGOs usw. und ist auch auf Deutsch erhältlich.

„Blame Game“ (das „Schuldspiel“) ist ein Kartenspiel, das neun Ebenen der Gründe für Fehler und branchenspezifische Herausforderungen darstellt, um zu untersuchen, wie Misserfolge wahrgenommen und bewältigt werden. | Fotos: privat

Wer keine Fehler macht, macht wahrscheinlich auch sonst nichts – so ein Spruch. Fehlermachen ist menschlich, wobei Misserfolge wertvolle Lernchancen bieten können. Man kann sich aus Fehlern weiterentwickeln und beim nächsten Versuch besser werden. In dieser Perspektive ist Scheitern nicht das Ende, sondern ein wichtiger Teil des Prozesses, der letztlich zum Erfolg führen kann. Aber: Nicht alle Fehler sind gleich. Einige sind Lernchancen, die uns helfen, innovativ zu sein und Fortschritte zu machen. Andere sind eben nur Fehler, die hätten vermieden werden sollen, weil sie im beruflichen Umfeld schwerwiegende Folgen haben können. Die Angst, Fehler zu machen, hält uns sowohl im Beruf als auch in persönlichen Beziehungen zurück.
 
In einer Welt, die von Leistung und Erfolg geprägt ist, wird Scheitern oft als Mangel an Fähigkeiten oder als Verlust wahrgenommen. Doch was wäre, wenn wir Scheitern nicht als Niederlage, sondern als wertvolle Gelegenheit betrachten würden? Der Begriff „erfolgreich scheitern“ hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen und stellt eine völlig neue Perspektive auf das Thema Misserfolg dar: die Idee, dass Scheitern nicht nur ein unvermeidlicher Teil des Lebens ist, sondern auch eine Quelle des Lernens und Wachstums.

Tatsache ist, dass die meisten großen Erfolge nicht über Nacht entstehen, sondern das Ergebnis unzähliger Fehler, Anpassungen und von Durchhaltevermögen sind. Wer nie scheitert, hat wahrscheinlich nie etwas gewagt, das wirklich herausfordernd ist. Das kontinuierliche Lernen und Anpassen ist der Schlüssel zum „erfolgreichen Scheitern“. In der Geschichte gibt es viele Beispiele für diese Denkweise, darunter viele berühmte Persönlichkeiten wie: Albert Einstein, Walt Disney, J.K. Rowling – sie alle durchlebten schwere Misserfolge und Niederlagen, bevor sie ihre größten Erfolge feierten. 

Erfolgreich Scheitern bedeutet aber nicht, blind in die nächste Niederlage zu rennen. Sondern, aus Fehlern zu lernen, die eigenen Grenzen zu erkennen und sich immer wieder zu hinterfragen. In vielen Fällen zeigt uns ein Scheitern, was nicht funktioniert und eröffnet neue Wege, die wir vorher vielleicht nicht in Betracht gezogen hätten. Fazit ist, dass „Erfolgreich scheitern“ mehr als ein Konzept ist – es ist eine Lebensphilosophie. 

Davon ausgegangen hat die Temeswarerin Alexandra Gruicin, in Transaktionsanalyse ausgebildete Organisationspsychologin und Psychotherapeutin mit über zehn Jahren Erfahrung in den Bereichen Führung, Coaching und Trainingsprogrammen, ein Spiel zum Erkennen von Fehlern und des Grades eigenen Verschuldens ins Leben gerufen. Es kann Führungskräften, Lehrern oder Eltern helfen, ein Umfeld zu schaffen, in dem Fehler zu Lektionen werden. „Blame Game“ (auf Deutsch „Schuldspiel“) basiert auf dem Modell „Learn from Failure” („Aus Misserfolgen lernen“) von Amy C. Edmondson, eine US-amerikanische Wissenschaftlerin für Führung, Teamarbeit und organisationales Lernen und Professorin an der Harvard Business School. Edmondson ist Autorin des Buches „The Right Kind of Wrong: The Science of Failing Well“ („Die richtige Art von Falsch: Die Wissenschaft vom guten Scheitern“ – 2023). 

„Ich wurde von einem Kunden – einer multinationalen Gesellschaft mit tausenden von Mitarbeitern – vor einem Jahr beauftragt, das Null-Schuld-Thema anzugehen. Es ist in Ordnung, Fehler zu machen, jedoch kann man nicht jeden Fehler übersehen“, sagt die Temeswarer Psychologin. So habe sie Edmondsons Buch analysiert. Die US-amerikanische Wissenschaftlerin entdeckte bei den von ihr untersuchten medizinischen Teams, dass die leistungsstarken Teams, bei denen die Sterblichkeitsrate niedriger war, auch die Teams waren, die mehr Fehler machten. Sie konnte feststellen, dass leistungsstarke Teams eher Fehler melden als leistungsschwache Teams, die keine Verantwortung für ihre Fehler übernehmen wollen. „Ich ging von diesem Modell aus – dem Spektrum der Ursachen von Fehlern. Dieser besteht aus neun Stufen, von tadelnswerten Fehlern bis zu lobenswerten Fehlern – das ist ein Begriff, der sich auf Fehler bezieht, die in einer Situation nicht unbedingt negativ betrachtet werden, weil sie aus einer positiven Absicht oder aus dem Versuch resultieren, etwas zu verbessern oder kreativ zu handeln. Diese Art von Fehlern wird oft als ein Lernprozess, um neue Erkenntnisse oder Lösungen hervorzurufen, betrachtet“, erklärt Alexandra Gruicin zum Entstehen ihres Spiels. 

Diese Stufen sind in verschiedenen Kontexten wie Lernen, psychologischen Prozessen oder in der Fehleranalyse von Bedeutung. Beim „Blame Game“ ist die Version des Neun-Stufen-Spektrums folgende: 1. Abweichung: Ein Fehler entsteht, weil jemand absichtlich gegen einen vorgeschriebenen Ablauf oder eine Regel verstößt. Ist eindeutig ein Fehler, der Konsequenzen braucht; 2. Unaufmerksamkeit: Unbeabsichtigte Abweichung von Abläufen und Regeln – Fehler aufgrund von Ablenkung, Müdigkeit oder Unkonzentriertheit. Je nach Kontext sind Konsequenzen nötig; 3. Mangelnde Fähigkeit: Unzureichende Fähigkeiten, Schulung oder Erfahrung zur Ausführung einer Arbeit führen zu Fehlern. Erfordert eher Entwicklung als Schuldzuweisung; 4. Unzulänglichkeit des Prozesses: Fehlerhafte oder unvollständige Prozesse führen zu Fehlern. Dies deutet eher auf systemische/organisatorische Probleme hin; 5. Aufgaben-Herausforderung: Die Aufgabe ist für jeden zu schwierig, um jedes Mal korrekt und zuverlässig ausgeführt zu werden. Misserfolge treten unvermeidlich auf; 6. Prozess-Komplexität: Der Prozess hängt von vielen Variablen ab, die fehlschlagen können. Misserfolge sind auf die Komplexität von System oder Aufgabe zurückzuführen, Fehler oft unvermeidbar, sie spiegeln die Herausforderung des Umgangs mit komplexen Vorgängen wider; 7. Ungewissheit: Handeln mit vernünftigen Entscheidungen in unplanbaren oder neuartigen Situationen, in denen das Ergebnis unvorhersehbar ist. Misserfolge entstehen aufgrund der Unklarheit möglicher Folgen; 8. Experimentieren: Die Unklarheit erlaubt nur Hypothesen, diese werden mit gut durchdachten Experimenten getestet. Sie führen zu unerwünschten Ergebnissen und Misserfolgen, und tragen damit zu Lernen und Verbesserung bei; 9. Erkundung: Durchführen von Experimenten in Situationen maximaler Unklarheit, um das Wissen zu erweitern. Diese führen zu unerwünschten Ergebnissen und Misserfolgen, fördern damit Innovation. 

Das Spiel ist ein konstruktiver Umgang mit Fehlern und ermöglicht Teams, ihre kollektive Intelligenz zu nutzen, die psychologische Sicherheit zu fördern und in komplexen Situationen bessere Entscheidungen zu treffen. Das „Blame Game“ verwendet Karten, das die neun Ebenen der Gründe für Fehler und branchenspezifische Herausforderungen darstellt, um zu untersuchen, wie Misserfolge wahrgenommen und bewältigt werden. Im Zusammenhang mit der Führungs- und Teamkultur ist das Lernen aus Fehlern entscheidend für die Förderung von Wachstum und Innovation.

Das Spiel kann mit dem gesamten Team oder in großen Gruppen gespielt werden. Es bietet eine strukturierte Möglichkeit, Herausforderungen aus dem realen Leben zu besprechen und sie auf einer Skala von „tadelnswert“ bis „lobenswert“ einzuordnen. Alle Teilnehmer beteiligen sich aktiv an der Analyse von Szenarien und diskutieren die Gründe für jede Art von Fehler. Dies führt zu einem gemeinsamen Verständnis und zu vereinbarten Praktiken für die Reaktion auf verschiedene Fehlersituationen. „Jeder trägt dazu bei, indem er Argumente dafür vorbringt und anhört, wie mit Fehlern umgegangen werden sollte, um einen gemeinsamen Rahmen zu schaffen, der Lernen statt Schuldzuweisungen fördert. Das Team erhält Klarheit darüber, wie mit Fehlern umgegangen wird, wodurch es in die Lage versetzt wird, verantwortungsvolle Risiken einzugehen, und eine Kultur der Selbstorganisation und des Vertrauens gefördert wird. Transparenz und ein gemeinsames Verständnis stärken das Bewusstsein des Teams, erhöhen das Vertrauen der Führungskraft in die Förderung einer offenen Kommunikation und stärken das Vertrauen durch eine umfassende Beteiligung. Die Führungskraft legt klare Standards für den Umgang mit Fehlern fest und kann sich auf diese gemeinsamen Erkenntnisse stützen, um eine Kultur zu fördern, in der Fehler als Chance für Wachstum und Innovation gesehen werden“, erklärt die Temeswarer Psychologin. 

„The Blame Game“ ist in mehreren Sprachen erhältlich – auf Englisch, Rumänisch und Deutsch. Die Temeswarerin hat in der Zwischenzeit auch eine Version des Spieles in ungarischer und finnischer Sprache in Arbeit. „Denn die Art und Weise, wie wir mit Fehlern umgehen, ist universell. Es gibt Aspekte des Systems, dem wir angehören, die wir auf dieser Ebene betrachten können“, schließt Alexandra Gruicin.