Wie wichtig ist das Wort?

In der Evangelischen Kirche wird am Sonntag, dem 6. November, das Reformationsfest begangen. Man nennt diese Kirche gerne Kirche des Wortes. Ist das Wort wichtiger als die Tat? Goethe hat in seinem „Faust“ die Tat dem Wort vorgezogen. Es kommt auf den Blickwinkel an. Es lohnt sich jedenfalls, über die Bedeutung des Wortes in unserm Leben nachzudenken.

Es ist überliefert, dass Kaiser Friedrich II. vernommen hat, eine Familie habe Fünflinge bekommen. Weil der Kaiser erkunden wollte, welches die Ursprache der Menschen ist, habe er angeordnet, dass kein Erwachsener mit diesen Kindern sprechen darf, sie sollten zeigen, wie sie miteinander sprechen. Der Chronist, der diesen Sachverhalt festhält, bedauert in seinem Bericht: Leider konnte man das nicht ergründen, denn die Kinder starben alle.

Heute wissen wir: Sie starben, weil niemand mit ihnen geredet hat. Es gibt keine Ursprache der Menschen, es gibt nur Sprachen, viele Sprachen. Aber für das Leben, sogar für das Überleben eines Kindes ist die Sprache, das Reden, das Wort wichtig. In welcher Sprache eine Mutter mit dem Kind redet, ist nicht entscheidend, wenn es aber nicht angesprochen wird, stirbt das Kind.
Dies Wissen macht sehr klar: Wir leben auch vom Wort. Natürlich auch davon, dass wir vom Essen bekommen. Hatte nicht schon das 5. Buch Mose festgehalten: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort ...“.

Ohne Worte ist das Essen vergeblich. Darum ist es selbstverständlich, dass wir am Tisch reden. Das geht gar nicht anders. Wenn früher die Kinder bei Tisch schweigen mussten, dann darum, weil die Eltern sich austauschen wollten und dazu war am Tag nicht viel Zeit. Die Kinder konnten den Tag über tollen und sprechen.

Gemeinschaften werden durch Worte gepflegt. Durch Worte kommt man sich nahe, durch Schweigen kann man Gemeinschaft zerstören. Wir fragen oft: „Warum hast du mir das nicht gesagt?“ Wir nehmen eben nicht alles wahr, was im Menschen, auch uns sehr lieben Menschen vorgeht. Miteinander reden, offen sein, hält Gemeinschaft und schafft neue. Wahrscheinlich müssen wir im Zeitalter der Technik noch mehr reden als früher, wo so vieles selbstverständlich war.

Das Wort der Mutter an das Kind ist ein Wort der Zuneigung, der Liebe. Dieses Wort gibt Lebenskraft. Es ist so stark, dass das Kind, auf diese Weise geliebt, auch Kritik ertragen kann.  Am Anfang ist immer das liebende, Zuneigung schenkende Wort der Mutter, des Vaters, der Großeltern, der Freunde.
Das Wort der Liebe und Zuneigung ist auch die Basis des geistlichen Lebens. Das Evangelium lässt sich zusammenfassen auf: „Du bist geliebt.“ Alles andere ist Auslegung.

Das kleine Kind hört liebende Worte und nimmt sie auf. Wenn man größer wird beginnt man zwischen Wort und Meinung zu unterscheiden. Neben die dankbare Annahme des Wortes tritt der Zweifel über die Wahrhaftigkeit desselben. Das gehört zum Erwachsen-Sein. Darum ruft Jesus im Evangelium dazu auf, wie die Kinder zu werden. Das meint, vertrauensvoll die Zusage annehmen: „Du bist geliebt.“ Es kann auch anders lauten: „Selig seid ihr Leidtragenden“ oder „Ihr seid das Licht der Welt“.

Der Apostel Paulus hat gelehrt: „Wer glaubt, ist gerecht“. Gemeint hat er: Wer dem Evangelium glaubt, wer sich sagen lässt, dass Gott den Menschen in Jesus nahe gekommen ist, dass Gott seine Liebe gezeigt hat, ist in Ordnung vor Gott. Martin Luther hat geschrieben: „Wer diesen Worten glaubt, der hat, was sie sagen und wie sie lauten, nämlich Vergebung der Sünden.“ Wer Vergebung zugesprochen bekommt, ist wieder in Ordnung, ist wieder geliebt, unabhängig davon, ob er sich verirrt oder nur gezweifelt hat.

Das Wort, das unser Leben trägt ist: Du bist geliebt. Es gibt uns Mut und unserm Leben Inhalt und Sinn. So wichtig kann das Wort sein.